Wenn die Gefühle auf anderen Wegen flanieren - "Sommernachtsträume", ein buntes Verwirrspiel zwischen Realität und Illusion

Manche Träume sind härter als Stein, wertvoller als Reichtümer, eindringlicher als Rhetorik, prachtvoller als Kunst und lebendiger als die Realität. Wolfgang Schuch sagte einst: "Im Traum habe ich schon alles erreicht, wozu in der Wirklichkeit keine Zeit war." Dem Traum wohnt eine ganz eigene Magie inne, gemalt mit den Farben unserer Emotionen, unserer Hoffnungen und Visionen - irgendwo zwischen Wirklichkeit und Illusion treffen wir auf uns selbst und sind uns nah. Umgeben von der Flüchtigkeit des Alltags und der Monarchie unserer Gedanken sind es die träumenden Momente, die uns Innehalten lassen und uns manchmal am klarsten sehen lassen, wer wir sind und wer wir sein wollen, was uns glücklich und dankbar macht und was uns im Leben fehlt.
Und ist nicht auch genau das der Grund, warum wir Theater so lieben? Warum der Duft der Bühne und der Klang der Ouvertüre bei uns Gänsehaut verursachen? Weil Theater die Kraft hat, Träume zu schenken, uns an gut gehütete Wünsche und Sehnsüchte - tief in unserem Inneren eingeschlossen - zu erinnern und uns Flügel zu verleihen, um die Grenzen der Wirklichkeit zu überwinden. 
Wer einmal wieder seinen Träumen nachspüren und in eine magische Sphäre abtauchen möchte, den laden die Bad Hersfelder Festspiele Sommer für Sommer zu einer kunstvollen Reise zwischen Realität und Illusion ein. In diesem Jahr verwandelt sich mit der Produktion "Sommernachtsträume" die wundervolle Kulisse der Stiftsruine einmal mehr in ein wogendes Meer voller Sterne, die ihr Strahlen der Brillanz besonderer Theatermomente verdanken. Die Hessischen Festspiele stehen wie kaum ein anderes Format für theatralen Genuss in höchster Qualität. Mit der Inszenierung der "Sommernachtsträume" ist es in dieser Spielzeit gelungen, einen Klassiker in der Melange von Original und Neuinterpretation auf die Bühne zu bringen und dabei in aller Raffinesse ein Werk zu schaffen, das die Zuschauer auf unterhaltsame wie kunstvolle Weise in ein buntes Verwirrspiel der Gefühle eintauchen lässt. 

(c) Bad Hersfelder Festspiele/Johannes Schembs 

Erzählt wird eine inhaltlich bunt erstrahlende Geschichte rund um die Suche nach der großen Liebe, um Sehnsüchte und um die großen Verwirrungen des Lebens, die die Melodie der vermeintlichen Sicherheit aus dem Takt geraten lassen.
Am Hofe des Herzogs Theseus beherrschen Vorfreude, hektische Betriebsamkeit und gespannte Erregung das Leben, denn mit der Hochzeit des Herzogs höchstpersönlich steht ein besonderes Ereignis bevor, für das es so allerhand vorzubereiten gilt. Während die Bediensteten fleißig ihren Aufgaben nachgehen und sich in die Festtagsplanung stürzen, proben die Handwerker am Hof für ihren großen Auftritt. Gemeinsam sollen sie im Rahmen der Feierlichkeiten ein Theaterstück aufführen und den anwesenden Gästen mit ihrer Kunst Frohsinn bereiten. Doch was von außen vielleicht den Anschein eines emsigen Treibens im Sinne der Hochzeitsvorbereitungen erweckt, entpuppt sich im Inneren des Palastes als betriebsames Tohuwabohu, das die eigentlich so gut geplante Struktur des Festes mit tumultartigen Zuständen und dem Alltag entspringenden Wirrungen unterläuft. Die Hochzeitsplanung rückt in den Schatten der individuellen Lebenssituationen, Bedürfnisse sowie Konflikte, die jeder Einzelne am Hofe im Angesicht persönlicher Wünsche und Hürden auszutragen hat. Die Konfusion spitzt sich zu und findet ihre Krönung schließlich in der Nacht vor der Hochzeit, in der sich der Palast in eine magische Traumwelt zu verwandeln und die Bewohner mit einem Spiel zwischen Wirklichkeit und Illusion zu konfrontieren scheint. Umgeben von einer zauberhaften Elfenwelt erwachen Fragen nach der eigenen Identität, der Liebe des Lebens sowie der Sprunghaftigkeit der Gefühle, die so manchen Moment der scheinbaren Sicherheit und Standhaftigkeit zu verhöhnen scheinen. Getrieben von überbordenden Empfindungen und abstrus anmutenden Schattenbildern der Fantasie streifen die Charaktere durch die Nacht - eine einzige Nacht, die es vermag, das gesamte Leben auf den Kopf zu stellen und das Dasein in eine verwirrende Masquerade zu kleiden. Doch lassen sich Traum und Wirklichkeit eigentlich voneinander trennen, wie erkennt man sich selbst in einer Welt voller Illusionen und trügerischer Schatten und welche Rolle spielt in dieser seltsamen Nacht der Fantasie eigentlich dieser kleine Kobold, der munter durch die Szenerie streift, so manchen Schabernack treibt und doch immer verschwunden scheint, sobald das Chaos perfekt ist? 

  (c) Bad Hersfelder Festspiele/S. Sennewald

Im Rahmen der Geschichte lernt der Zuschauer eine Vielzahl an Charakteren kennen, wird zum Begleiter unterschiedlicher Lebensabschnitte und taucht auf allen Ebenen in das höfische Leben ein, das unterschiedliche Stände und Schichten miteinander verbindet und in ihren sich gleichenden Sorgen und Wünschen vereint. 

Christian Nickel verkörpert die Rolle des Herzogs "Theseus" mit einer spielerischen Prägnanz wie Ausdrucksstärke, die die Darbietung in fulminanten Farben erblühen lassen. Dank seiner beeindruckenden Bühnenpräsenz gelingt es dem Künstler mit scheinbarer Mühelosigkeit das plastische Portrait eines mit einer natürlichen Autorität gesegneten Herzogs zu zeichnen und dabei zugleich den vulnerablen Kern des Mannes herauszuarbeiten, der sich ebenso in der Symbiose mit der figuralen Gestalt des Elfenkönigs "Oberon" spiegelt. Exzellent balanciert der Schauspieler die herrschaftliche Ausstrahlung des Herzogs mit der verborgenen Emotionalität aus, die sich immer wieder in kleinen Momenten der Verletzlichkeit und Begierde auch nach außen Bahn bricht und das Innenleben des Mannes mit einem sehnsuchtsvollen Drang nach seiner Geliebten ausfüllt. 

An seiner Seite brilliert Spielpartnerin Bettina Hauenschild, die die innerhalb ihrer Rolle zusammenfallenden Identitäten der Braut "Hippolyta" sowie der Elfenkönigin "Titania" charakterstark ausarbeitet und beide figuralen Persönlichkeiten in der Pracht schauspielerischer Finesse erblühen lässt. Ausdrucksstark koloriert die Künstlerin eine selbstbestimmte, standhafte Frau, die sich in der Nacht in das weibliche Oberhaupt der Elfen verwandelt und dort den Zwist mit ihrem Gemahlen in aller Kunst der Emanzipation und Standhaftigkeit aufträgt und dabei die feminine Stärke verkörpert. Jedoch bleibt die Darstellung nicht nur in dieser Facette der Persönlichkeit verhaftet, vielmehr gelingt es Bettina, ihre beeindruckende spielerische Wandelbarkeit in der Akzentuierung unterschiedlicher Gefühlslagen unter Beweis zu stellen. Erlebt das Publikum den Charakter lange Zeit über in aller Stärke und Emanzipation, wird dank der großartigen spielerischen Kunst der Darstellerin im weiteren Handlungsverlauf auch die Emotionalität der Figur transparent, die sich in der Anziehung und Begierde mit Blick auf den von der Magie der Nacht verwandelten Zettel entlädt, der nun als Esel den verzauberten Wald unsicher macht.

 (c) Bad Hersfelder Festspiele/S. Sennewald

Anna Graenzer präsentiert in der Rolle des kleinen, durchtriebenen Koboldes "Puck", der nur Flausen im Kopf hat, eine bis ins Detail ausgefeilte Darbietung, die das Prädikat Ausnahmeleistung in aller spielerischen Genialität absolut verdient hat. Es bedarf der bemerkenswerten Leichtigkeit, mit der sich die Künstlerin über die Bühne bewegt und alle Raffinessen der Figur auskostet, um dem besonderen Esprit des cleveren Kobolds gerecht zu werden. Annas Darstellung wirkt verspielt, sie spürt in jedem Moment der außergewöhnlichen Gewitztheit des Fabelwesens nach und setzt ihr pointiertes Schauspiel im Sinne einer geschickten Ausarbeitung des listigen Charakters perfekt in Szene. Immer wieder schleicht die Künstlerin durch den Hintergrund der Szenerie und umzeichnet dort eine schemenhafte Gestalt, die im Verborgenen agiert und dabei doch zugleich überall ihre Finger im Rahmen verwirrender Täuschungsmanöver im Spiel hat. Die Prägnanz, mit der Anna eben jene Momente des hintergründigen Beobachtens und Überlistens erfüllt, zeugt von ihrer enormen Bühnenpräsenz, die den Zuschauer für das geschickte Spiel einnimmt. In mimischer wie gestischer Feinarbeit kreiert die Darstellerin eine ganz eigenständige Körperlichkeit, die die Figur des Koboldes in einer physischen Individualität koloriert und die Extravaganz des kleinen Kerls inmitten einer fantastischen Welt unterstreicht. 

Die Rolle des "Philostrat" koloriert Thorsten Nindel mit seiner glänzenden Spielkunst, die handwerkliche Erstklassigkeit mit spielerischer Freude zu einem qualitativen Konglomerat zu vereinen weiß. Mit sichtlichem Geschick haucht der Darsteller der Figur des autoritären Haushofmeisters Leben ein und verbindet dabei die strenge Seite eines nach Ordnung strebenden Mannes mit einem gefühlvollen Kern, der sich insbesondere in der leidenschaftlichen Hingabe zu Theseus Kammerdiener "Cesario" entfaltet. Thorsten Nindel kreiert eine Figur, die stets darauf bedacht ist, ihre Stärke nach außen zu tragen und sich dennoch ihrer Vulnerabilität stellen muss, die sie blind vor Liebe und Verlangen an die Grenzen des eigenen Verstandes zu bringen scheint. Getrieben von dem Wunsch nach einer erfüllten Liebe vergisst der Haushofmeister alles um sich herum und wirft sich leidenschaftlich in den Versuch, das Herz seines Angebeteten für sich zu gewinnen. Herausragend füllt der Künstler die figurale Hingabe und Sehnsucht mit seiner unglaublichen schauspielerischen Stärke aus und bedient sich dabei gekonnt pointierter humoristischer Spitzen, die das große Verständnis für komödiantische Akzentuierungen offenbaren. 
Besondere Konturen gewinnt der Charakter in dem Einsatz einer ausdrucksstarken Mimik, anhand derer sich alle Farben der Emotionspalette ablesen lassen. 

 (c) Bad Hersfelder Festspiele/S. Sennewald 

Till Timmermann brilliert in aller spielerischen Klasse mit seiner rundum gelungenen Darbietung der Rolle des "Lysander". Mit seiner bemerkenswerten empfindsamen Intelligenz skizziert der Künstler eine Figur, die mit der Flüchtigkeit und dem Wankelmut emotionaler Spitzen konfrontiert wird. In der spielerischen Eindringlichkeit, die sich in der figuralen Verkörperung entlädt, entpuppt sich Lysander als Ruheloser in einem Wirbelsturm aus Begierde, Wunsch und Wahnsinn. Als Spielball getrieben in einer Posse höherer Mächte sieht sich der junge Mann einer plötzlichen Fraglichkeit all dessen gegenüber, was bislang so sicher schien und irrt durch ein emotionales Labyrinth auf dem Weg zu seinem eigenen Herzen. Gekonnt arbeitet der Schauspieler die affektiven Nuancen des Charakters heraus und macht jene innere Zerrissenheit für den Zuschauer transparent, die die Figur im Angesicht gefühlsbestimmter Imponderabilität ereilt.
Till mimt die Rolle mit einer gehörigen Portion jugendlichem Charme sowie spielerischer Raffinesse, die der Figur auf der Bühne eine beeindruckende Lebendigkeit und Agilität verleihen, und schleicht sich mit seinem spielerischen Charisma in Windeseile in die Herzen und Erinnerungsbilder des Publikums.

Die Figur der "Hermia" mimt Gioia Osthoff mit spielerischer Souveränität und kreativer Leichtigkeit, sodass es dem Zuschauer angesichts der kessen Interpretation ihrer Rolle ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Von ihrem Vater bereits an den jungen "Demetrius" versprochen, lassen die Gefühle für einen anderen Mann, den charmanten "Lysander", Hermia immer stärker an dem Bündnis zweifeln und stürzen sie angesichts der Stimme ihres Herzens, die lautstark nach einem anderen Gemahlen schreit, in eine Krise. Fabelhaft stellt die Darstellerin die emotionale Ausnahmesituation der jungen Frau heraus und offenbart die unbändige Bereitschaft Hermias, für ihre wahre Liebe zu kämpfen und sich den gesellschaftlichen Hürden zu stellen. In der Balance zwischen Standhaftigkeit und fast schon kindlich anmutendem Trotz erfreut sich Gioias figurale Verkörperung einer bemerkenswerten Dynamik, im Rahmen derer die figuralen Empfindungen zwischen romantischen Gefühlen, wildem Aufbegehren sowie Trauer und Unmut changieren. Die Künstlerin vermag es grandios, den vulnerablen Kern der jungen Frau zu offenbaren und diesen zugleich wunderbar mit der charakterlichen Stärke zu verweben, die sich im Kampf um die gesellschaftliche Akzeptanz ihrer Gefühle Bahn bricht. 

  (c) Bad Hersfelder Festspiele/S. Sennewald

Helena Charlotte Sigal reichert die Rolle ihrer Namensvetterin "Helena" mit einem hohen Maß an Authentizität an und kreiert in spielerischer Akkuratesse eine realitätsnahe Version einer jungen Frau, die sich stetig in einem persönlichen Kampf für ihre Gefühle befindet und mit den Unwägbarkeiten des Lebens und Liebens konfrontiert wird. Eingenommen von ihren starken Gefühlen für den attraktiven "Demetrius" und der Sehnsucht, ebenfalls Zeichen der Begierde und Herzenswärme entgegengebracht zu bekommen, sieht sich die junge Frau angesichts der stetigen Zurückweisung mit tiefgehenden Verletzungen konfrontiert. Erbittert kämpft sie um die Aufmerksamkeit ihres Geliebten und wird dabei von Demetrius, dessen Herz einer Anderen gehört, doch immer wieder mit Verachtung gestraft. Helena harmoniert hervorragend mit Spielpartner Maximilian Gehrlinger, der als "Demetrius" eher ablehnend auf die Liebesbekundungen der jungen Frau reagiert und das emotionale Innenleben des Charakters für die Zuschauer spielerisch offenlegt, und bringt die figuralen Interaktionen leidenschaftlich auf die Bühne. 
Die herausragende Darstellung, welche in einer sichtlichen Hingabe für die Bühne und die dort zu erzählende Geschichte wurzelt, schafft über den Abend hinweg ein hohes Identifikationspotenzial und verleiht der Figur eine besondere Nahbarkeit, sodass der Zuschauer all den Schmerz und die Verletzlichkeit des Charakters hautnah spüren und tief in das Seelenleben einer sensiblen und zugleich starken Persönlichkeit blicken kann.

Uta Krüger begeistert in der Rolle des Kammerdieners "Cesario" mit einer rundum überzeugenden Darbietung, die sich der Dualität ausgezeichneter Technik sowie spielerischer Sensibilität bedient, welche es ihr ermöglicht, über die Vorstellung hinweg allen emotionalen Facetten des Charakters nachzuspüren. Mit viel Fingerspitzengefühl macht die Schauspielerin das Gefühlsleben der Figur transparent und umzeichnet einen pflichtbewussten, treuen Kammerdiener, der im Schatten seiner beruflichen Aufgaben immer wieder mit seinen individuellen Bedürfnissen konfrontiert wird. Exzellent arbeitet die Künstlerin die innere Zerrissenheit zwischen der Erfüllung auferlegter Pflichten und den eigenen Wünschen und Sehnsüchten heraus und eröffnet dem Zuschauer dank ihres nuancierten Spiels die Möglichkeit, aus nächster emotionaler Nähe die Suche nach der eigenen Identität und den persönlichen Wurzeln, die den Charakter antreibt, zu verfolgen. In aller Verletzlichkeit der Figur strotzt Utas Darstellung nur so vor Präsenz und Ausdrucksstärke, sodass der Zuschauer dank der einnehmenden Strahlkraft der Schauspielerin kaum den Blick von jener großen darstellerischen Kunst abwenden kann.

  (c) Bad Hersfelder Festspiele/S. Sennewald

Die charakterlich bunte Truppe schauspielbegeisterter "Handwerker", die die Hochzeit des Herzogs mit ihrer Kunst bereichern wollen und dabei jedoch zunehmend an die Grenzen ihrer Laiendarbietung stoßen, mimen Wolfgang Seidenberg, Mathias Znidarec, Erol Sander, Günter Alt, Peter Wagner und Intendant Joern Hinkel höchstpersönlich, der an diesem Abend kurzfristig für den erkrankten Peter Englert einspringt. Mit einem phänomenalen Zusammenspiel, das Seinesgleichen sucht, schleichen sich die spielfreudigen Künstler in Windeseile in die Herzen der Zuschauer und sorgen am Ende für pure Begeisterungsstürme, die die Ruine in den Klang von theatraler Pracht erweckter Ekstase hüllen. Als perfekt aufeinander abgestimmte Einheit kosten die Darsteller die humoristische Zeichnung der völlig unprofessionell agierenden, unbeholfenen Schauspieltruppe voll aus und jonglieren in Perfektion mit einer pointierten Illustration der überspitzten Figurenkoloration, sodass es dem Publikum die Lachtränen in die Augen treibt. Jeder Einzelne stärkt dabei das Zusammenspiel mit seiner spielerischen Klasse sowie der durchdachten Ausgestaltung der individuellen Figureninterpretation. 

Besonders hervorzuheben ist dabei ohne Frage Joern Hinkel, dessen herausragende, selbstironische Darbietung nicht nur angesichts des spontanen Einspringens pure Faszination weckt, nein, der Künstler verschmilzt für drei Stunden förmlich mit dem Charakter des "Klaus Zettel" und karikiert die Figur in der vollen Pracht eines unbändigen Spielwitzes sowie einer erstklassigen Handwerkskunst - zwei Dimensionen, die in Joern Hinkels Darbietung zu einem einzigartigen Duett verschmelzen und seine Auftritte als einen der Höhepunkte des Abends erstrahlen lassen. Doch auch die anderen Mitglieder des Handwerkerensembles stehen diesem Ausnahmetalent in nichts nach. So überzeugt Wolfgang Seidenberg beispielsweise mit seiner spielerischen Souveränität in der Rolle des "Peter Block", der die Funktion des Regisseurs für die Laienproduktion übernimmt und verzweifelt versucht zu retten, was noch zu retten ist. Großartig kreiert der Darsteller einen Charakter, der engagiert in seiner Aufgabe aufgeht und doch angesichts der nahenden Katastrophe immer wieder zu Mitteln der Improvisation greifen muss. 
Günter Alt beeindruckt mit seiner differenzierten Zeichnung des "Tom Rohr" und beweist sein bemerkenswertes künstlerisches Gespür für die unterschiedlichen Nuancen eines Charakters, der auf den ersten Blick insbesondere durch seine liebenswert-tollpatschige und unbeholfene Arbeit bei der Laienschauspielgruppe auffällt. Dank Günter Alts exzellenter und feinfühliger Figureninterpretation bleibt der Charakter jedoch nicht in der Singularität eines komödiantischen Einschlags verhaftet, sondern entfaltet sich vielmehr in allen Farben der Menschlichkeit, die sich aus einem sensiblen, verletzlichen Kern entspinnen.
Auch Erol Sander vermag es, mit seiner warmherzigen wie versierten Verkörperung des "Benedikt Bohr" zu brillieren und seine spielerische Raffinesse zu präsentieren. Mit sichtlicher Spielfreude bringt der Künstler eine charmante Interpretation der Figur auf die Bühne, die sich sowohl des Verständnisses für komödiantische Akzentuierungen als auch des Fingerspitzengefühls für empfindsame Momente bedient.
Mathias Znidarec und Peter Wagner machen das Gespann mit ihrer phänomenalen Darbietung komplett und reichern die Handwerkertruppe mit ihrem feinen Sinn für humoristische Spitzen an, im Rahmen derer die Amüsanz des Spiels die höchste Vollendung erfährt.

  (c) Bad Hersfelder Festspiele/S. Sennewald

Komplettiert wird die Riege fantastischer Hauptdarsteller durch Marina Lötschert, Anouschka Renzi, Olivia Grassner, Natascha Hirthe und Alicja Rosinski, die Bedienstete am Hofe des Herzogs verkörpern und in ihrer spielerischen Leichtigkeit nahbare Persönlichkeiten auf die Bühne bringen, die unterschiedliche Charakterzüge akzentuieren. So überzeugt Olivia Grassner beispielsweise mit ihrer ausdrucksstarken Darstellung der verzweifelten "Julia", die getrieben von ihrem tiefen Schmerz ihrem Leben ein Ende bereiten möchte. Feinfühlig koloriert die Darstellerin die Entwicklung vom trauernden Mädchen, das der Welt bereits abgesagt hat, hin zu einer hoffnungsvollen jungen Frau, die in der Zuneigung zu einem Fremden neuen Mut schöpft. 
Marina Lötschert versetzt das Publikum mit ihrer authentischen Darstellung der Köchin "Maria" in Begeisterung und zeichnet mit spielerischer Stärke eine Frau, die pflichtbewusst ihre Aufgaben erfüllt, beinahe mütterlich über die anderen Bediensteten wacht und in allem Verantwortungsbewusstsein dennoch für ihre Rechte eintritt, wenn auch mit dem ein oder anderen fragwürdigen Plan, der sie in große Schwierigkeiten zu stürzen droht. 

Begleitet wird das Schauspielensemble vom Hersfelder Orchester, das unter dem dynamischen Dirigat Christoph Wohllebens klangvoll aufspielt und die eigens für dieses Schauspiel komponierten Melodien mit musikalischem Feinsinn zum Leben erweckt. Die musikalische Linie von Jörg Gollasch nimmt akustisch die zentralen Motive rund um Traum, Sehnsucht und illusorische Verwandlungen auf und überführt die thematischen Schwerpunkte in musikalische Arrangements, die in ihrer Gestaltung an den Charakter von Filmmusik erinnern. Die Kompositionen bedienen sich dabei einer erstaunlichen Bandbreite an klanglichen Einflüssen, sodass romantische, sehnsuchtsvolle Momente purer Nostalgie den diametral entgegenstehenden spritzigen, aufgeweckten Melodien, die akustisch das undurchschaubare Verwirrspiel begleiten, die Hand reichen und eine klanggewaltige Symbiose eingehen, die die verschiedenen Stimmungen hervorragend in die musikalische Sprache übersetzt. Von dem qualitativ wie quantitativ eindrucksvollen Orchester atmosphärisch vorgetragen, hüllen die kunstvoll anmutenden Melodien das Ruinengemäuer in wohltönende Noblesse und vereinen sich mit der wundervollen stimmlichen Fulminanz des Ensembles zu einem akustischen Kunstwerk, das dem Publikum den einen oder anderen Gänsehautmoment beschert.

(c) Bad Hersfelder Festspiele/Johannes Schembs 

Die Produktion konfrontiert den Theaterbesucher mit einem Spiel der Irrungen und Wirrungen, in dem Verwechslung und temporärer Identitätsraub zum Gesicht von Stunden der Illusion zwischen Traum und Wirklichkeit werden. Missverständnisse und Täuschungen entpuppen sich hier als elementare Momente in einem Sturm der Emotionen, die die Figuren mitreißen, falsche Fährten legen und sich auf die Suche nach Augenblicken puren Glücks in Anwesenheit eines geliebten Menschen begeben. Was zuvor noch eindeutig erscheint, wird plötzlich von den drängenden Stimmen der Fraglichkeit durchbrochen. Sicherheiten geraten ins Wanken und die Konfusion schlägt mit voller Kraft um sich.
Die Bad Hersfelder Produktion baut auf dem Fundament des "Sommernachtstraum" auf und bedient sich des narrativen Grundgerüsts, das jedoch lediglich zu einem großen Spielfeld für viele verschiedene Figuren aus Shakespeares bekannten Werken wird, die im Rahmen der Inszenierung zu neuen theatralen Melodien tanzen dürfen. So wird die fantastische Szenerie beispielsweise um Figuren aus den Werken "Viel Lärm um nichts", "Wie es euch gefällt" sowie aus vielen weiteren bekannten Stücken bereichert, die alle ihre individuellen Charakterzüge in die Geschichte tragen, sodass sich im Rahmen der "Sommernachtstäume" ganz verschiedene Handlungsstränge zu einem bunten, inhaltsvollen Gesamtwerk verweben. Angelehnt an das zentrale Motiv des Traums erwachen die Charaktere zu neuem Leben und erblühen in einer Sphäre zwischen Wunsch und Wirklichkeit, wobei sich niemand so ganz sicher sein kann, was hier eigentlich dem plastischen Bild eines allzu realen Traumes entspringt.

(c) Bad Hersfelder Festspiele/Johannes Schembs 

Ebenso wie die Grundidee der Inszenierung selbst weiß auch das Bühnenbild von Jens Kilian mit einer perfekten Melange historischer und moderner Dimensionen aufzuwerten und in kreativer Feinarbeit eine visuelle Kulisse zu schleifen, die das anvisierte Spiel von Traum und Wirklichkeit illustriert. Die Inszenierung bindet die Atmosphäre der Spielstätte grandios zu Gunsten der glänzenden Strahlkraft des Gesamtwerkes ein und entfaltet eindrucksvolle Bilder vor dem Hintergrund einer imposanten Kulisse. Dabei wird die Ruine zu einer Art Spielpartner, denn inmitten der kunstvollen Darbietung und bedeckt von einem sternenerfüllten Nachthimmel erwacht die Spielstätte sprichwörtlich zum Leben und hüllt das Publikum mit ihrem unverwechselbaren Zauber ein, der das Theatererlebnis atmosphärisch veredelt. Die weitläufige Bühne, die dank der Tiefe des ehemaligen Kirchenschiffs eine beeindruckende Spielfläche aufweist, ermöglicht in ihrer Konstitution die Arbeit mit mehreren Räumen, im Rahmen derer eine Parallelität des narrativen Strickmusters entwickelt wird - das szenische Arrangement erinnert an das Strukturprinzip des filmischen Erzählens. Das Szenarium gleicht einer Art Wimmelbild, in das immer wieder mit einer Lupe hineingezoomt wird, sodass der Zuschauer kurze Einblicke in Lebenswege erhascht, bevor wieder abgeblendet und andere Figuren fokussiert werden. Die kluge Konfiguration des Bühnenbildes ermöglicht schnelle Wechsel zwischen den einzelnen Schauplätzen und schafft einen visuellen Rahmen der Palast- bzw. der nächtlichen Waldkulisse, deren unterschiedliche Ecken und Räume immer wieder narrativ scharfgestellt und für die Erzählung eines kurzen Augenblicks zentralisiert werden können. Die sorgfältig ausgewählten Kostüme von Kerstin Micheel fügen sich nahtlos in die optische Opulenz ein und verleihen der Produktion in ihrer Finesse einen besonderen Charme. Inspiriert von subkulturellen Elementen des Steampunks wartet die visuelle Linie mit cleveren Kniffs auf, die geschickt einen Bogen zwischen viktorianischem Anmut und retro-futuristischer Kunst spannen und die Zeitlosigkeit des Stücks hervorheben. 

  (c) Bad Hersfelder Festspiele/S. Sennewald

Die "Sommernachtstäume" in Bad Hersfeld entpuppen sich als Verbildlichung eines poetischen Kunstwerkes, das in den Farben von lyrischer Gestalt, sehnsuchtvoller Hingabe, melancholischer Stimmung sowie ausgelassener Heiterkeit changiert und das Publikum auf eine zauberhafte Reise an der Seite exzentrischer Charaktere entsendet. Die dramaturgischen Schöpfer reichern die weltbekannte Komödie Shakespeares mit einer neuen Abstrusität an und betonen dabei einmal mehr die Zeitlosigkeit eines Werks, das trotz aller humorvoll angelegten Unterhaltsamkeit auch an den Gedanken der Zuschauer rund um Traum und Wirklichkeit sowie unterschiedliche Lebenswege rührt und die Imaginationskraft fordert. Exzellent webt die Inszenierung neue Elemente in den populären Stoff ein, die das Gewand des Stücks mit ergänzenden Farben auskleiden und die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterstreichen. So agiert "Puck" in dieser Produktion beispielsweise als gewiefter Kuppler, der per fehlerhafter Verbindungen im Rahmen einer Telefonschaltung in das soziale Leben der Menschen eingreift, Interaktion provoziert und mittels cleverer Täuschungsmanöver aktiv in die Beziehungsgeflechte eingreift. 
Wieder einmal ist es den Verantwortlichen in aller künstlerischen Exzellenz geglückt, eine bewegende und mitreißende Produktion auf die Hessische Festspielbühne zu bringen, die das Publikum für einige Stunden den Sorgen des Alltags entfliehen und eine fantastische Traumwelt aufleben lässt, in der sich alle emotionalen Nuancen die Hand reichen und sich in einem schwungvollen Tanz zur Musik eigener Wünsche und Visionen vereinigen. Die Inszenierung besticht durch einen märchenhaften Charakter, der Jung und Alt an die Kraft der eigenen Träume erinnert und auf faszinierende Art vor Augen führt, dass die stärksten Gefühle meist aus der zarten Knospe einer kleinen Vision erblühen. 

  (c) Bad Hersfelder Festspiele/S. Sennewald



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