Zwischen künstlerischer Ästhetik und verletzlicher Wahrhaftigkeit - Die Päpstin, ein musikalischer Glaube an die Menschlichkeit
Über die Stadt Rom senkt sich ein geheimnisvolles Flüstern. Leise weht der Wind durch die ehrwürdigen Gemäuer und scheint dabei ein Lied von Glückseligkeit und Wehklage anzustimmen. Langsam entflieht die Sonne gen Osten - lediglich begleitet von einzelnen Schleiern weißen Rauchs, die aus dem Lateran aufsteigen - und trägt ein Geheimnis mit sich fort, das laut zu schreien scheint und sich dabei doch zugleich in Schweigen hüllt. Und dann erhebt sich zwischen all den leisen und lauten Klängen der Natur und der geschäftigen Betriebsamkeit auf den überfüllten Straßen Roms eine kraftvolle Stimme, die den Beginn einer neuen Ära einläutet: Habemus papam.
Doch was da eigentlich im Inneren der heiligen Hallen des Laterans vor sich geht, da kann sich niemand so ganz sicher sein, denn die standhaften Mauern des geweihten Gebäudes wahren ihr Innerstes mit Bedacht und verbergen den verzweifelten Klang einer Frage, die sich dort in einem unbeobachteten Moment aus den Schatten erhebt: Wer bin ich Gott?
Das Schlosstheater Fulda ist nicht erst seit diesem Jahr ein wahrer Publikumsmagnet für Theaterliebhaber, die sich nach einem Musicalabend der Extraklasse im historischen und manchmal auch etwas mystischen Gewand sehnen. Wenn der Sommer eingeläutet wird, dann erwacht das Fuldaer Theater zum Leben und wartet mit brillanten Inszenierungen auf, die in aller Exzellenz die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Illusion verschwimmen lassen. In diesem Jahr kehrt mit dem Musical "Die Päpstin" eine Produktion auf die Hessische Bühne zurück, die sich schon in den vergangenen Jahren in die Herzen des musicalaffinen Publikums geschlichen und in aller Dramatik so manche Seele tief berührt hat. Nachdem das Stück bereits über mehrere Jahre hinweg Alt und Jung gleichermaßen begeistert hat, erfreut sich die Inszenierung seit vergangener Spielzeit einem frischen Anstrich, der die Show mit neuen Farbnuancen ausgekleidet hat, aber lest doch am besten selbst...
(c) Michael Werthmüller
Das Musical "Die Päpstin" erzählt eine bewegende Geschichte rund um Liebe, Intrigen und die Suche nach dem eigenen Platz in der Welt und entführt das Publikum auf eine emotionsgeladene Reise an der Seite einer jungen Frau, die unaufhaltsam für das kämpft, was ihr Herz erfüllt: der Glaube an die Menschlichkeit, die Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben und natürlich die große Liebe.
Bereits als Kind fällt es Johanna mit ihrer neugierigen, nach Wissen strebenden Art und ihrer Freude am Lernen und Entdecken schwer, sich in das gesellschaftliche Raster einzufinden. Immer wieder eckt die junge Frau in einer mittelalterlichen Welt an, die die Männlichkeit als Synonym positiver Attribute, wie beispielsweise der Intelligenz und Stärke, versteht. Von ihrem Vater gedemütigt und verstoßen, flieht sie bei Nacht nach Dorstadt, wo sich für das Kind neue Möglichkeiten in der Dorfschule, einem Ort des Wissens und der Erkenntnis, zu eröffnen scheinen. Trotz aller Hürden und der Häme ihrer männlichen Mitschüler entdeckt Johanna in besagtem Dorf ihr neues Zuhause und findet nicht nur in den von ihr so enthusiastisch verfolgten Unterrichtsstunden Trost, sondern auch und insbesondere in der Verbindung zu Markgraf Gerold, der das Mädchen voller Großherzigkeit bei sich aufnimmt und sie in ihrer Begeisterung für Wissen unterstützt. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit der heranwachsenden Frau und führt ihr abermals die Zerbrechlichkeit ihres Glücks vor Augen, als Gerold zur Erfüllung seiner Pflichten die Stadt verlassen muss und es zu einem tragischen Ereignis kommt, das zahlreiche Menschenleben als Preis fordert.
Im Angesicht der bitteren Verzweiflung trifft Johanna eine Entscheidung, die ihr Leben für immer verändern und ihre gesamte Existenz in Gefahr bringen soll und wagt sich dabei auf eine abenteuerliche Lebensreise, die ihre Identität negieren und zugleich doch den wahren Kern ihrer Seele enthüllen soll.
Das Musical beleuchtet auf ganz eindringliche Weise den Lebensweg einer mutigen, selbstlosen Frau, die in der Hoffnung auf einen Neuanfang bereit ist, alles und damit auch sich selbst aufzugeben und das Geheimnis um ihre Existenz als schattenhaften Begleiter auf einem steinigen Weg zwischen Machtgier, Intrigen und Rachsucht zu begrüßen.
(c) Michael Werthmüller
Zunächst noch etwas scheu und doch schon so voller Neugier und Enthusiasmus wächst Johanna im Laufe der Geschichte zu einer selbstbewussten, starken Persönlichkeit heran, die all ihre Anstrengungen dem Ziel verschreibt, die sozialen Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und mit ihrer Menschlichkeit einen Hoffnungsschimmer in das Dunkel zu tragen. Handwerklich versiert wie gefühlvoll entwickelt Verena über den Abend hinweg eine Figur, die von zahlreichen Schicksalsschlägen getroffen wird und doch immer wieder aufs Neue den Mut in sich findet, der Stimme ihres Herzens zu folgen. Nicht nur die eindringliche Intonation, sondern auch und insbesondere die ausdrucksstarke Mimik zeugen von dem spielerischen Talent, mittels dessen die Künstlerin einen vielschichtigen Charakter erweckt. Verzweiflung und Hoffnung, Resignation und Kampfgeist, Abscheu und Zuneigung - all diese emotionalen Facetten einer vom Schicksal gezeichneten Figur spiegeln sich auf eindrucksvolle Weise in Verenas Mimik und lassen ihre Augen als direktes Tor zur Seele Johannas erscheinen. Auch gesanglich glänzt die Darstellerin mit einer rundum grandiosen Darbietung, die die Schönheit jeder Melodie mittels sicherer Stimmführung herauskitzelt. Klangvoll erhebt sich Verenas wunderbarer Sopran über den gesamten Theatersaal und schraubt sich in beeindruckende Höhen, die das Herz eines jeden Musikliebhabers höherschlagen lassen.
Dennis Henschel begeistert auf ganzer Linie mit seiner warmherzigen, nahbaren Interpretation des Markgrafen "Gerold", der dem in wohlhabenden Kreisen weitverbreiteten Machthunger und der Gier nach Ruhm und Einfluss entsagt und mit Weitblick sowie wachem Verstand für seine Überzeugungen einsteht. Mit einer gehörigen Portion Fingerspitzengefühl und emotionaler Intelligenz spürt der Darsteller den unterschiedlichen Facetten der Figur nach und koloriert dabei in künstlerischer Feinarbeit einen empathischen Charakter, der sich für das Wohl Anderer verbürgt und im Kampf um das Gute in einer Welt, die in den Fesseln von Habgier und intriganten Machtspielen liegt, alles riskiert. Dank seiner exzellenten spielerischen Fähigkeiten scheint es für Dennis ein Leichtes, eine figurale Ehrlichkeit in aller menschlichen Vielschichtigkeit auf die Bühne zu bringen und dabei sowohl die Vulnerabilität als auch die Kampfbereitschaft des Protagonisten zu offenbaren. Gesanglich wartet der Künstler mit einer warmen, satten Stimme auf, die in aller Sonorität emporsteigt und mit jedem Ton pure Gänsehaut verursacht. Klangvoll intoniert Dennis die großen Titel, die ihm wie auf den Leib geschrieben zu sein scheinen, und legt dabei nicht nur seine bestens ausgebildeten Gesangsregister offen, sondern beweist zugleich auch sein besonderes Verständnis für gefühlvolle Textinterpretation. Insbesondere mit seiner Vertonung des Titels "Ein Traum ohne Anfang und Ende" kreiert der Künstler einen jener besonderen Momente, in denen die Zeit angesichts der durchdringenden Kraft der Musik stillzustehen scheint, und setzt seine grandiose tonale Range in Szene. In aller Akkuratesse und Emotionalität entsteht somit über den gesamten Abend hinweg eine Darbietung, die man nicht anders als sagenhaft und in aller Genialität aufsehenerregend beschreiben kann.
(c) Michael Werthmüller
Christian Schöne ist nicht nur jedes Jahr aufs Neue gern gesehener Gast auf der Bühne des Schlosstheaters, sondern scheint sich auch in jeder Spielzeit immer wieder selbst zu übertreffen. In der Rolle des intriganten, machtbesessenen "Anastasius" überzeugt der Darsteller mit einer rundum grandiosen schauspielerischen Darbietung, die sich der Kraft der Expression bedient und einen glaubwürdig gezeichneten Charakter hervorbringt, der voller Eitelkeit durch das Leben geht, Niedertracht sät und für die Verfolgung seiner Ziele jegliche Opfer in Kauf nimmt. Der Künstler verleiht der Figur in spielerischer Finesse einen ganz eigenen Habitus, der die Rolle des Anastasius mit einer inkorporierten Erhabenheit auskleidet, die sich mit seiner Skrupellosigkeit zu einer giftigen Mischung vereint. Es gelingt Christian hervorragend, mit den handwerklichen Ebenen von Gestik, Mimik und Intonation zu spielen und dabei eine machtversessene Figur zu kreieren, die jedoch nicht einfach in einer platten Bösartigkeit verhaftet bleibt, sondern Minderwertigkeitsgefühle und den Wunsch nach Anerkennung und Popularität als Wurzeln des niederträchtigen Handelns offenbart. Stimmlich brilliert der Sänger mit seiner sicheren Intonation, die für das volle Klangerlebnis auf die nötige Prise Twang zurückgreift und die Töne in beeindruckender akustischer Pracht erblühen lässt.
Ethan Freemann vermag mit seinem herausragenden stimmlichen Vermögen sowie seiner spielerischen Sicherheit in der Rolle des gutherzigen "Rabanus" rundum zu brillieren und das Stück als erstklassiger Künstler zu bereichern, der eine besondere Ruhe und Präsenz auf der Bühne ausstrahlt. Mit dem nötigen Feingefühl entwickelt der Darsteller einen Philanthrop voller Nächstenliebe, der sich nicht hinter den Gesetzen des Klosters verschanzt, sondern der Welt mit Offenheit entgegentritt und so zu einem wichtigen Wegbegleiter Johannas wird. Gekonnt verleiht Ethan Freemann der Figur eine charakterliche Tiefe, die eine leichte Identifikation mit Rabanus Weltsicht und seinem Innenleben ermöglicht, welches in der spielerischen Präzision des Darstellers immer wieder an Transparenz gewinnt. Der Künstler unzeichnet den Dorfschullehrer und späteren Klosterbruder mit einer solchen Hingabe für die kleinen charakterlichen Nuancen, dass man als Zuschauer das Gefühl hat, mit Rabanus einen wahren Freund vor sich zu sehen, dem man pures Vertrauen aufgrund seiner menschlichen Wahrhaftigkeit schenken kann.
Besonders bemerkenswert gestaltet sich mit Blick auf seine Auftritte allerdings die unglaubliche stimmliche Klangfülle, die die von Ethan dargebotenen Lieder als wahren Ohrenschmaus erstrahlen lässt. Sein kraftvoller Bariton entführt über den Abend hinweg in eine Welt der musikalischen Brillanz und erblüht insbesondere im Rahmen des Titels "Hinter hohen Klostermauern" in voller Pracht. Eindrucksvoll präsentiert der Sänger hierbei sein Talent für lyrische Intonation, die niemals in Pathetik abzurutschen droht, sondern ganz im Gegenteil klangliche Fulminanz mit emotionaler Farbigkeit kombiniert.
(c) Peter Scholz
Rudi Reschke weckt gleich in einer Doppelrolle die Begeisterung des Publikums, das sich der Bühnenpräsenz des versierten Künstlers zu keiner Minute entziehen kann. Mit spielerischem Geschick kreiert der Künstler eine überzeugende Version des streng religiösen, konservativ geprägten Vaters und fasziniert in seiner ausdrucksstarken Darstellung mit einer visuellen Gewalt, die sich in die expressive schauspielerische Darbietung schleicht. Bereits seine sonore, durchdringende Sprechstimme, die sich mit dem exzellenten mimischen Spiel verbindet, bereitet eine Gänsehaut angesichts der Plastizität, die der figuralen Darstellung innewohnt. Dank der handwerklichen Erstklassigkeit des Schauspielers gewinnt die Figur an solch einer Lebendigkeit, dass man sich als Zuschauer am liebsten eingeschüchtert in eine Ecke kauern möchte, wenn der strenge, verurteilende Blick des Dorfpfarrers über die Zuschauerreihen wandert.
Als Papst zeigt der Darsteller eine ganz andere Dimension der Väterlichkeit, indem er gekonnt einen liebenswerten, geselligen Mann porträtiert. Mit seiner zugewandten Art wird der Papst zu einem treuen Weggefährten Johannas, der ihre loyale Art sowie ihre Nächstenliebe schätzen lernt und nicht nur stets auf ihr medizinisches Wissen, sondern auch auf ihren Menschenverstand vertrauen kann. In der Kombination beider so differenter Rollen weiß Rudi seine spielerische Variabilität perfekt herauszustellen und dabei zugleich ebenso mit einer gesanglichen Klasse zu glänzen, die in einer grandiosen Stimmfarbe wurzelt.
In der Rolle der "Marioza" steht Anke Fiedler auf den Brettern, die die Welt bedeuten, und zieht das Publikum mit ihrer ausdrucksstarken Darstellung in den Bann. Mit sichtlicher Spielfreude sowie künstlerischem Esprit mimt die Darstellerin eine starke Frauenfigur, die zunächst sehr lasziv und verführerisch auftritt und dabei zugleich in all ihrer Cleverness doch einen Überblick über das Geschehen und die politischen Machtspiele in der Stadt Rom behält. Erscheint Marioza erst einmal lediglich als vermeintliche Gespielin der Männer, verkennen die ihr verfallenen Herren dabei oft zu schnell, dass sie keineswegs eine willenlose Marionette darstellt, sondern eigentlich so manche Fäden selbst in der Hand hält. Voller Authentizität durchlebt die Künstlerin innerhalb ihrer Rolle eine glaubwürdige Entwicklung, die der Figur im Laufe der Handlung neue emanzipatorische Kraft verleiht, und macht ganz subtil und doch so eindringlich den Kampf der Frau transparent, die aus dem Schatten des Mannes heraustreten und ihr Können, das von dem anderen Geschlecht stets auf eine sexuelle Ebene reduziert wird, in der Welt einzubringen versucht. Anke reichert die Figur geschickt mit der nötigen Willens- und Charakterstärke an, die sich auch in ihrer herausragenden gesanglichen Vorstellung abzeichnet. Mit stimmlicher Präzision und Variabilität vertont sie den Song "Cäsarin von Rom", spielt dabei mit filigranen musikalischen Verzierungen und unterlegt das Lied gleichermaßen mit einer etwas verruchten wie selbstbewussten Note.
(c) Michel Werthmüller
Weiterhin überzeugt Yngve Gasoy-Romdal mit seiner Verkörperung der Rolle des "Fulgentius" sowie mit seiner Interpretation von Anastasius' Vater "Arsenius" und offenbart in diesem Zuge seinen spielerischen Facettenreichtum, der sich vor dem Horizont zweier gänzlich differenter Figuren erstreckt. Die selbstbewusste Vaterfigur, die im Vergleich zu ihrem machtbesessenen Sohn nicht weniger niederträchtige Ziele verfolgt, koloriert der Künstler mit spielerischer Souveränität und kreiert einen Charakter, der seinen Nachwuchs mit der Gier nach Ruhm und Einfluss infiziert und dieser unaufhaltsamen Entwicklung später selbst zum Opfer fällt.
Mit seiner komödiantisch angehauchten Darstellung des lebensfrohen Fulgentius, der unbedarft durch das Leben streift und in erster Linie dem Genuss und der Begierde nachhängt, beweist Yngve seine künstlerische Variabilität und kontrastiert seine Doppelrolle exzellent mit der Zuschreibung völlig unterschiedlicher Körperlichkeiten. Pointiert haucht er der Figur des naiv agierenden Geistlichen auf der Bühne künstlerischen Atem ein und präsentiert dabei sein großes Talent für das Spiel mit humoristischen Spitzen und überzeichneten Charakterzügen.
Mit einer nur für wenige Spielminuten auftretenden und zugleich doch so eindringlich gezeichneten Figur weiß Caroline Zins an diesem Abend zu beeindrucken, die mit ihrer Rolle der "Gudrun" - Johannas liebevoller Mutter - sozusagen den Lauf der Geschichte entfesselt und beweist, welche nachhaltige Kraft auch kleinere Rollen für das Gesamterlebenis im Theater innehaben können. So sorgt die Sängerin mit ihrer herausragenden Intonation des Liedes "Wächter der Nacht" bereits zu Beginn der Vorstellung für den ersten Gänsehautmoment des Abends und stellt ihr erstaunliches Verständnis für Melodieführungen und stimmungsgewaltige Tongestaltung unter Beweis. Mit dem nötigen Feingefühl entwickelt Caroline in der kurzen Auftrittsdauer ihrer Rolle der "Gudrun" eine fürsorgliche, warmherzige Mutterfigur, die eine schützende Hand über ihre Kinder hält. Gekonnt umzeichnet die Darstellerin dabei eine nahbare Version einer mutigen Frau, die tagtäglich von ihrem Ehemann unterdrückt wird und sich doch eine innere Stärke bewahrt, die sie für das Wohlergehen ihrer geliebten Kinder kämpfen lässt.
(c) Michael Werthmüller
In der Rolle der jungen "Johanna" steht an diesem Abend Lilly-Marleen Straub auf der Bühne, die bereits in ihren jungen Jahren mit einer erkennbaren spielerischen Freude sowie einem künstlerischen Geschick zu glänzen vermag. Mit einer gehörigen Portion Sensibilität verkörpert die Kinderdarstellerin ein junges, etwas scheues Mädchen, das jedoch schon früh seine Liebe zum Wissen entdeckt und voller Neugierde die Welt erkundet. Ihre Darstellung verbindet bravourös die manchmal etwas verängstigten, zaghaften Momente im leidgeprüften Leben eines Mädchens, das von seinem Vater für das eigene Geschlecht verachtet wird, mit einem unbändigen Wissensdurst und dem leidenschaftlichen Drang nach neuen Erfahrungen.
Wieder einmal beweisen die Verantwortlichen in Fulda einen guten Blick für Besetzungsentscheidungen, denn auch in diesem Jahr zeichnet sich die Produktion im Schlosstheater durch eine hohe künstlerische Qualität aus, die alle Mitwirkenden mit ihrem fachlichen Können sowie ihrer Hingabe für die gemeinsame Gestaltung eines unvergesslichen Theaterabends in die Inszenierung tragen. Alle Künstlerinnen und Künstler bilden zusammen eine harmonische Einheit und geben in ihrem Zusammenspiel mit Bühnenpartnern wertvolle Impulse, die auch die Darbietung des Gegenübers maßgeblich bereichern. Egal, ob Ensembleposition oder Hauptrolle, jeder Darsteller erhält hier den Raum, eine eigene Farbe in das Stück zu bringen sowie kleinen und großen Geschichten der Figuren nachzugehen. So bleibt beispielsweise Joyce Diedrichs ausdrucksstarke Verkörperung der "Richild" - Gerolds eifersüchtige Ehefrau, der die junge Johanna ein Dorn im Auge ist - über das Vorstellungsende hinaus in Erinnerung. Ebenso nimmt Thomas Christ die Bühne mit seiner starken Präsenz ein und mimt die Rolle des erzkonservativen, dogmatischen "Ratgar" mit handwerklicher Präzision und spielerischer Vortrefflichkeit. Es gäbe so viele Namen fantastischer Künstlerinnen und Künstler hier zu nennen, die die Geschichte rund um den Lebensweg der sich aus den Zwängen der Gesellschaft befreienden Johanna zum Leben erwecken. Die Cast ist geprägt von einer außerordentlichen Spielfreude, die dem ohnehin schon grandios gestrickten Stück eine besondere Eindringlichkeit verleiht.
Die Musik aus der Feder von Dennis Martin hat sich nicht umsonst mittlerweile zu einem wahren Dauerbrenner bei Musical-Veranstaltungen entwickelt. Die Melodien beherbergen so manchen Ohrwurm, der sich schnell in die Seele eines jeden Zuschauers schleicht und dort noch nach Verlassen des Theaters in voller Pracht nachklingt. Die musikalische Linie bedient sich einer perfekten Melange aus starken Soli, gefühlvollen Duetten und klanggewaltigen Ensembleparts, die wunderbar miteinander verschmelzen und sowohl der großen Geschichte als auch den einzelnen Figuren und ihren Hintergründen gerecht werden. Insbesondere dank der fabelhaften Liedgestaltung seitens der Sänger*innen kommt den Songs eine wichtige Funktion in der Erzählstruktur des Musicals zu, da die aussagekräftigen Texte die Handlung vorantreiben und zu einem akustischen Spiegelbild des figuralen Seelenlebens avancieren. Die aus der Uraufführung bekannte musikalische Gestaltung wurde in der Neuinszenierung nun um weitere Titel ergänzt, die sich jedoch ganz organisch in das bereits vorhandene Fundament einfügen und zusätzliche Gelegenheiten schaffen, den Kern einzelner Charaktere klangvoll nach außen zu tragen. Eine weitere kleine Änderung, die sich auf musikalischer Ebene einschleicht, stellt die Affinität zu etwas poppigeren Arrangements dar, - wie sie beispielsweise mit Blick auf die neue Nummer "So viel mehr" transparent werden - die dem Stück einen neuen Schliff gibt, aber genug Raum für die in diesem Musical so charakteristischen, eher klassisch angehauchten Melodien gewährt.
(c) Micheal Werthmüller
Inszenatorisch ist die Show mit zahlreichen klugen Ideen gespickt und erfreut sich mittlerweile entsprechenden Anpassungen, die im Zuge der Neuinszenierung vorgenommen worden sind. Gestalterische Elemente, wie sie beispielsweise in der Umsetzung der Raben-Szenen zu finden sind, verleihen dem Stück einen geheimnisvollen, mystischen Charakter. Auch die eine oder andere Figur hat durch kleine Änderungen am Buch an neuer Tiefe gewonnen. Dies fällt insbesondere mit Blick auf die Rolle der "Marioza" auf, die sich im Laufe der Handlung zwischen vorteilsorientierter Intriganz und befreiender Menschlichkeit entscheiden muss.
Man muss jedoch auch festhalten, dass manche inszenatorischen Kniffs in der ursprünglichen Fassung fast noch besser gelungen sind, bzw. eine noch größere Wirkkraft entfalten konnten. Hin und wieder rauben die Aktivität auf der Bühne und die veränderten Perspektiven jenen Szenen ein wenig an Größe und Strahlkraft, in denen Johannas Biographie von zentralen Momenten und einschneidenden Situationen gezeichnet ist, so wie beispielsweise bei ihrer Ernennung zur Päpstin oder auch bei dem Überfall während ihrer Zwangsheirat. Fast vermisst man hier und da den Fokus auf jener Figur, die aufgrund ihrer Zeichnung alleine schon so viel Größe und Strahlkraft in sich trägt und deren bewegende Geschichte sich vielleicht in manchen Szenen nach noch ein wenig mehr Ruhe sehnt, damit vermeintlich kleine, intime und dabei zugleich doch so unglaublich zentrale Augenblicke, wie beispielsweise das erste Wiedersehen zwischen Johanna und Gerold in Rom, ihre volle Wirkung entfalten können.
Dies fällt allerdings maximal im direkten Vergleich zur ursprünglichen Fassung auf, denn die Inszenierung einer gewaltigen Geschichte, die nach so viel Fingerspitzengefühl für die Visualisierung verlangt, ist hier in Fulda wieder einmal grandios gelungen.
(c) Michael Werthmüller
Das von Christopher Barreca entwickelte Bühnenbild statuiert sich aus beweglichen Treppenkonstruktionen und als Mauern fungierenden Bühnenelementen, die in vielfältigen Kontexten eingesetzt werden können und den optischen Rahmen für das Geschehen bilden. Dank dieses Grundgerüsts lässt sich die Bühne auf mehreren Ebenen bespielen - eine Tatsache, die bereits in der Eröffnungsszene eindrucksvoll unter Beweis gestellt wird und der Inszenierung immer wieder aufs Neue eine Mehrdimensionalität verleiht. Die Kulissenteile erweisen sich insbesondere in der schnellen Abfolge unterschiedlich verorteter Szenen als besonders funktional, indem sich mittels der angedeuteten Wohnhäuser, Mauern und Treppen flüssige Schauplatzwechsel kreiern lassen. So entführt das Bühnenbild gleichermaßen gelungen in das Ballungszentrum Rom als auch in kleinere Orte, wie beispielsweise Johannas Geburtstsort Ingelheim, und führt vom heimischen Wohnhaus über verwegene Etablissements bis in Kloster und Vatikan. Die Kulisse zeichnet sich durch eine starke Atmosphärik aus, welche die insgesamt eher bedrückende Stimmung der Geschichte passgenau transparent werden lässt und das Publikum gekonnt in eine historische Lebenswelt voller Intrigen und Verführungen katapultiert. Die sehr düstere Bühnengestaltung verdankt ihre effektvolle Gestaltung hierbei insbesondere dem grandiosen Lichtdesign von Michael Grundner, das mit dem Kontrast von Licht und Schatten spielt und so manche Szene mit einer fast schon mystischen Atmosphäre untermalt.
Auch die inkludierten Videoprojektionen gliedern sich sehr stimmig in das visuelle Gesamtbild ein und statten die Kulisse mit tollen Möglichkeiten aus, die das Theatererlebnis noch immersiver und plastischer erscheinen lassen.
(c) Michael Werthmüller
Spotlight Musicals kann nicht erst seit diesem Jahr als Garant für Produktionen auf höchstem Niveau bezeichnet werden, die die künstlerische Ästhetik mit emotionaler Farbigkeit zu verknüpfen und das Publikum in fremde Welten und längst vergessene Zeiten zu entführen wissen. Mit der Neuinszenierung der "Päpstin" bringt die Produktionsfirma in diesem Musicalsommer eine qualitativ hochwertige, intelligent durchdachte Show auf die Bühne des Fuldaer Schlosstheaters, deren Gelingen sich auf eine perfekte Mischung von glänzender Komposition, atmosphärischer Kulisse, bewegender Geschichte und natürlich einer sensationellen Cast stützt. Der Zuschauer erlebt eine handwerklich exzellent gearbeitete Produktion, deren Qualität sich nicht zuletzt der leidenschaftlichen Arbeit aller kreativen Köpfe auf und hinter der Bühne verdankt, die die Inszenierung mit ihrem künstlerischen Verständnis und ihrer spielerischen Freude zum Leuchten bringen.
Die Geschichte rund um Päpstin Johanna und ihr vom Schicksal gezeichnetes Leben entlässt den Zuschauer schließlich mit einer wundervollen Botschaft und entpuppt sich als musikalisches Zeugnis einer Hoffnung auf Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Liebe in einer Welt, die noch viel zu oft von den mächtigen Kräften der Vorurteile, des Hasses sowie des Eigennutzes regiert wird.
Das Musical erinnert daran, nicht das Geschlecht oder die Herkunft definieren uns als Menschen, es sind der Charakter und die Fähigkeiten die den Einzelnen zu dem wertvollen, einzigartigen Individuum machen, das die Kraft hat, etwas zu bewegen und die Welt mit seinem Licht zu erleuchten.
Jede Stimme ist von Bedeutung in einer Symphonie der Gemeinschaft, dessen Partitur schließlich erst in der Vielschichtigkeit der Gattung "Mensch" an Kontur gewinnt.
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