Das Panik-Girl

Heute hatte ich die große Ehre, mit einer phänomenalen Künstlerin und einzigartigen Frau ein Interview führen zu dürfen. Die Rede ist von Mareike Theresia Zwahr, die zuletzt als Swing und Cover Mareike auf der Bühne des Theaters am Potsdamer Platz in "Hinterm Horizont" zu erleben war. Mit diesem Musical hat für sie der Einstieg in die professionelle Welt der Musicals begonnen. Doch Mareike kann sich nicht nur Musicaldarstellerin, sondern auch Hochleistungssportlerin nennen, denn vor ihrer Karriere im Theater war sie jahrelang auf Sportanlagen zu finden.
Was für ein Multi-Talent! Auch ihre sehr sympathische Art zeichnet Mareike aus. Sie ist eine große Kämpferin mit einem ebenso großen Herzen! Vorhang auf für Mareike Zwahr...


Eine wunderbare Derniere im Theater am Potsdamer Platz bei „Hinterm Horizont“ liegt hinter dir. Mit welchen Gefühlen hast du das Gebäude verlassen und wie schwer ist es dir gefallen, von deinen Kollegen Abschied zu nehmen?
Die Derniere war wirklich einmalig. Ein panischer Wahnsinn! ;-) Mehr als würdig für das gesamte Haus und diese Produktion. Diejenigen, die dabei waren, wissen, was ich meine. Danke euch nochmal! Es war ein unvergesslicher Abend, der sich nicht nur bei mir, sondern bei uns allen tief eingebrannt hat. Wahnsinn! Am Sonntag war noch alles sehr aufregend und so unglaublich viele Eindrücke und Reize sind auf einen eingeströmt, Gefühle haben einen überrannt. Da konnte man alles noch nicht ganz realisieren. Da war man eher wie in Trance. Ich bin mit einem Kollegen am berühmten „Tag danach“ nochmal ins Theater gegangen, um meinen restlichen "Haushalt" dort abzuholen. Und auch um mir die Zeit zu nehmen, mich nochmal richtig vom Haus zu verabschieden. Wir haben uns die Bühne angeschaut und wie da schon wenige Stunden später kräftig gewerkelt wurde. Da war das alles schon realer. Das Gebäude zu verlassen war, wie einem zweiten Zuhause „Tschüss“ und „Lebe wohl“ zu sagen. Man hat an jeder kleinsten Ecke im Theater eine Erinnerung. 
Diese läuft dann nochmal wie ein Film vor dem inneren Auge ab, wenn man geht. Es war wirklich komisch, das Haus zu verlassen. Und doch habe ich tiefe Dankbarkeit gefühlt für all die tollen Erlebnisse und die Erfahrungen, die ich dort machen durfte. Aber natürlich auch Traurigkeit. Vor allem die Selbstverständlichkeit, alle tollen Menschen in dem Haus einfach jeden Tag zu sehen, sich zu begrüßen, war und ist auch immer noch einzigartig, dass sie jetzt wegfällt ist richtig seltsam. So ganz real ist das alles noch nicht. Aber es sickert immer mehr durch. Und der Abschied von den Kollegen war schon schwer. Man wächst einfach wie eine Familie zusammen, geht durch dick und dünn. Und dann fällt das auf einmal weg. In unserem Business normal, aber es war dennoch eine besondere Situation. Noch dazu kommt, dass ich nicht so gut im Abschied nehmen bin. ;-) Aber ich glaube auch fest daran und in unserem Beruf sowieso, dass es keinen Abschied für immer gibt, sondern nur auf unbestimmte Zeit. Und hier mal ein Lob an Facebook ;-) Da bleibt man ja sowieso auf dem Laufenden.

Was war für dich das Besondere an der Rolle der Mareike? 
Dass es eine Rolle gibt, die meinen Namen trägt. :-) Für mich war auch etwas Besonderes an dieser Rolle, dass sie praktisch die Show eröffnet und somit eine große Verantwortung hat. Sie muss die Zuschauer in ihren Bann ziehen, bzw. ihnen Lust auf mehr machen, sie dazu bringen, mit ihr in die Geschichte über „das Mädchen aus Ostberlin“  einzutauchen. Für mich als „Neuling“ eine tolle Herausforderung. Ich fand auch sehr spannend an „Mareike“, wie sie den ganzen Weg mit „Jessy“ geht und sich auf Messers Schneide bewegt, zwischen dem Gedanken  „Ich brauche meine Story“ und doch Sympathie für „Jessy“ empfindet und sich in bestimmten Situationen zurückhält bzw. halten muss. 

Mochtest du die Musik von Udo Lindenberg schon vor deinem Engagement bei „Hinterm Horizont“ und hast du ein Lieblingslied aus dem Musical?
Ich liebe Udo Lindenberg!!! Immer schon fand ich ihn toll. Als ich total naiv und nichtswissend meine Ausbildung begann, war mein Lied, das ich vorsang, „Hinterm Horizont“. Er ist ein so großartiger Künstler! Und was ich so besonders an ihm und seinen Liedern mag, ist die direkte Sprache, die er verwendet und die alle sofort erreicht. Er bringt einfach alles auf den Punkt. Mit Worten und dann noch mit der dazu passenden Melodie. Manchmal höre ich mir die Songs ohne Gesang an und man spürt sofort, was er aussagen möchte. Ob rockig laut oder eher etwas leise. Von daher ist es wirklich schwer, ein Lieblingslied zu ernennen. Ich mag sehr die Szene und die „Verwandlung“ bei „Ich lieb dich überhaupt nicht mehr“, wenn beide „Jessys“ zusammen singen. 

Glaubst du, dass das Musical vor allem die Leute angesprochen hat, die Berlin noch zur Zeit der Teilung erlebt haben – oder hat „Hinterm Horizont“ auch einen aktuellen Bezug zum Alltag der Jugendlichen?
Ich glaube, dass das Stück immer aktuell ist und auch bleiben wird. Das Thema spricht einfach jeden an. Die Teilung Deutschlands wird immer zu unserer Geschichte gehören. Meine Familie kommt aus dem Osten und natürlich waren sie alle mehrmals in der Show und können sich sehr gut in die Thematik hineinversetzen. Wir haben auch immer sehr viel darüber gesprochen. Die Jüngeren waren immer sehr interessiert, ob alles wirklich so war und ob Oma und Opa das wirklich auch so erlebten.  Für die Berliner ist das sicher alles noch eine Stufe mehr besonders, denn hier war eine Stadt geteilt. Aber auch für die Jugendlichen ist das Stück sehr ansprechend. Es geht schließlich auch um eine Liebesgeschichte und zwei Menschen, die durch äußere Umstände nicht beieinander sein können und dürfen. Auch so etwas gibt es heute. Liebe, Rock, Geschichte - für jeden ist ein Stückchen dabei. 

Was denkst du, wie es mit dem Lindenberg-Musical in Hamburg weitergehen wird?
Ich denke, dass es hier und da ein paar Änderungen geben wird. Das „Operettenhaus“ ist kleiner. Das wird sicherlich Änderungen nach sich ziehen. Vielleicht auch inhaltliche Anpassungen an den „neuen Standort“? Der Potsdamer Platz in Berlin war schon speziell und nahezu perfekt für die Show. Aber ich bin trotzdem sehr gespannt, wie das Hamburger Publikum und die  Zuschauer dort "Hinterm Horizont" aufnehmen werden.

Hast du bereits Pläne für die kommende Zeit, über die du uns etwas verraten darfst?
Also, ich bin ja gerade frisch „hineingehüpft“ in die Theaterwelt, direkt nach der Ausbildung. Da wird noch einiges kommen, denke und hoffe ich natürlich. ;-) Ich bin offen für alles und möchte mich weiter ausprobieren, weiterbilden in alle Richtungen. Ich will auch mal ein bisschen in die Film - und Fernsehbranche schnuppern. Außerdem bin ich gerade dabei, eigene Musik zu schreiben, ich choreografiere unwahrscheinlich gerne und hüpfe auch weiter auf Bühnen herum. ;-) Bei mir ist einiges los. Ich werde euch über Aktuelles auf dem Laufenden halten. Alles, was die Welt mir bietet, empfange ich mit offenen Armen. ;-) 

Früher warst du Hochleistungssportlerin im Bereich der Leichtathletik. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?
Hui. Also, das war fast die Hälfte meines Lebens, die ich Hochleistungssport betrieben habe (zehn ganze Jahre). Ich erinnere mich sehr gerne an diese Zeit zurück. Es war toll. Natürlich war es auch geprägt von Schweiss, Tränen und Freude. Auch dort habe ich so viele wunderbare Menschen kennengelernt. Diese Zeit hatte viel Einfluss auf meine Entwicklung oder auch auf meinen Umgang mit verschiedenen Situationen. Jeder, der selber Leistungssport macht, wird genau verstehen, was ich meine. Du musst hart im Nehmen sein, beißen können, Ehrgeiz haben, über Grenzen und über dich selbst hinauswachsen können. Das alles hilft auch jetzt in der Kreativität. Es sind schon Ähnlichkeiten da. Hinfallen. Aufstehen. Weiterlaufen... 

Wie kam es, dass du dich nun für den Beruf der Musicaldarstellerin entschieden und nicht weiter als Hochleistungssportlerin gearbeitet hast?
Ursprünglich wollte ich Olympiasiegerin werden. Davon träumt glaube ich jeder Sportler. Und dann musste ich mit 17 durch unvorhergesehene Umstände einen anderen Weg einschlagen. Aus der Traum vom Gold. 
Aber das Theater war schon immer kultureller
 Bestandteil in unserer Familie. Es hat mich schon immer verzaubert und so suchte ich nach einer Aufgabe mit Musik, Schauspiel und Bewegung. Da erschien mir Musical einfach perfekt. ;-) 
 

Gibt es eine Traumrolle, die du gerne einmal spielen würdest?
Es gibt so viele tolle Rollen, die mich ansprechen. Sich da zu entscheiden….Aber eines haben sie alle gemeinsam. Sie erzählen eine Geschichte und haben etwas in sich, was sie bewegt - Konflikte. Starke Frauen und sie machen einen Wandel durch. Das sind Rollen, die mich interessieren und faszinieren. Mit ganz oben auf der Liste steht natürlich Sally Bowles., aber auch die Rolle der Natalie, Fantine, Amneris, Velma Kelly, Lucy... ich könnte noch einige aufzählen. Letztendlich bin ich überglücklich, sobald ich auf der Bühne stehen darf, denn ich liebe es auch, im Ensemble mitzuwirken. Ein Stück ist schließlich nur halb so gut ohne ein Ensemble.

Was magst du besonders gerne an deiner momentanen Heimat Berlin?
Ich liebe Berlin!!! Das muss einfach einmal gesagt werden. Ich finde diese Stadt hat eine unwahrscheinliche Wärme. Zumindest empfinde ich es so. Es gibt hier so unglaublich viele verrückte Menschen, da ist es ganz egal, wer du bist und wie du herumläufst. Sei einfach du selbst! Berlin ist so bunt. Das liebe ich! Und dann diese Geschichte, die man an jeder Ecke findet. Man spürt einfach, dass diese Stadt etwas erlebt hat und etwas zu erzählen hat. Und überall gibt es dort Künstler!!! Ehrlich gesagt liebe ich auch die freie und direkte „Berliner Schnauze“! ;-)  

Was machst du gerne in deiner Freizeit?
Ich zelebriere es sehr, mich mit Menschen und Freunden zu umgeben, viel zu lachen, auf Konzerte zu gehen und laut zu schreien. Ich liebe das Musizieren, die Abenteuer und Adrenalinkicks... und natürlich liebe ich es, Sport zu treiben. Jeglicher Art. Ich bin sportsüchtig ! :-) Auf eine gesunde Art und Weise. Aber auch einfach einmal entspannen und die Stille und die Natur zu geniessen, das tut mir sehr gut. Und da ich ja aus dem Norden bin, liebe ich Wasser und ab und an zum Entspannen oder Relaxen an die Ostsee zu fahren, ist genau das Richtige für mich. Ein ganz wichtiger Punkt ist für mich das Reisen und das Kennenlernen anderer Kulturen! 

Schaust du dir in deiner Freizeit auch gerne Musicals an und welches Stück magst du am liebsten?
Ich gehe natürlich auch sehr gerne ins Kino oder Theater und besuche gerne reine Sprechtheater, aber auch Musicals. Man muss selbstverständlich die Kollegen anfeuern. ;-) Ja, hiermit oute ich mich: Es ist eine große Schwäche von mir, mich entscheiden zu 
zu müssen. Welches Stück mag ich also am liebsten? "Hinterm Horizont". :-) Nein, also ehrlich gesagt, habe ich es gesehen in dem Sommer, bevor ich meine Ausbildung begann und wusste, dieses Stück willst du spielen und es hat direkt geklappt. Da kann ich einen Haken setzen. Ansonsten gibt es so viele tolle Werke! Ich habe letztes Jahr am Westend "Billy Elliot" und "Miss Saigon" gesehen und war schwer begeistert. Aber allgemein kann ich sagen, dass alles, was „rockt“, bei mir schon fast volle Punktzahl bekommt.;-)  




Glaubst du, dass Musicals in Deutschland eine große Zukunft haben werden?
Die schwierigste Frage zum Schluss. Das Musical in Deutschland hat damals durch "Cats" und "Das Phantom der Oper" einen enormen Aufschwung erfahren. Es war neu und anders. Aber auch jetzt sieht man, dass in den Spielplänen der Stadttheater vermehrt das Genre „Musical“ aufgenommen wird. Ich glaube, das Potenzial und das Interesse ist auf jeden Fall da und der Zuspruch ist enorm. Nur am Broadway , Off-Broadway
oder am Westend gibt es unsagbar viele Stücke, deren Inhalt jedem Amerikaner oder Londoner vertraut ist. Was ich damit meine ist, dass sie aus allen möglichen Vorlagen wie  Büchern, Filmen, der amerikanischen Geschichte, die Kult sind, neue Stücke entwickeln. „Charly & die Schokoladenfabrik“, „Harry Potter“, „Legally Blonde“, „Billy Elliot“, „Hamilton“, „The Color Purple“ oder „Next to Normal“, wo auf eine Krankheit aufmerksam gemacht wird, die Teil unserer Gesellschaft ist... und vieles mehr. Ich glaube, das ist u.a. auch ein Grund des Musical-Erfolgs dort. Also könnte ich mir vorstellen, dass man hier auch mehr eigene Stücke entwickeln könnte, deren Inhalt die Leute interessiert. Dafür ist "Hinterm Horizont" ein sehr gutes Beispiel. Die Zuschauer haben einen Bezug zu dem Inhalt. Mit dem "Wunder von Bern" ist man auch schon einen Schritt weiter in diese Richtung gegangen. Ich glaube, wir haben auch so viele Geschichten und "Kult-Filme", die sich eignen würden, um daraus ein Musical zu entwickeln. Wir sind doch bekanntlich das „Land der Dichter und Denker“. ;-) Sicherlich gehören auch ältere, bekannte Stücke wie "Evita", "My Fair Lady", "West Side Story" oder auch "Cabaret" weiter auf den Spielplan, aber ein wenig frischer Wind ist immer gut, um etwas voranzutreiben. Es muss nur einer anfangen :-)

Liebe Mareike, tausend Dank für das herzliche und sehr lebendige Interview. Ich wünsche dir alles Gute für deine Zukunft und bleib so, wie du bist, denn du bist einfach nur umwerfend! 
J.B.

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