Historizität in musikalischer Brillanz - "Elisabeth", ein virtuoses Rendezvous mit dem Tod im Schatten menschlicher Abgründigkeit
Die Schatten werden länger und die Dunkelheit kehrt in einen Raum zwischen Wahrhaftigkeit und edler Fassade ein, in dem sich die Umrisse von Neid, Eitelkeit und Missgunst abzeichnen. In den Tiefen der Schatten, die Bedrohlichkeit ausstrahlen und zugleich leise mit den Stimmen der Verlockung und Befreiung wispern, scheint die Wärme des Herzens von einem kalten Atem umhaucht. Das Misstrauen wird zum besten Freund aller Schichten. Auf den Straßen regiert der Aufstand, während man sich am kaiserlichen Hof fragt, wem man eigentlich noch trauen kann. Und inmitten all der Schatten schreitet eine dunkle, anmutige Gestalt umher, abstoßend und zugleich auf erschreckende Weise so anziehend. Sie hat viele Namen und doch keinen, denn letztlich ist es an dir, diesem König der Schatten einen Namen zu verleihen.
Das Musical "Elisabeth" gilt seit vielen Jahren als eines der erfolgreichsten Stücke überhaupt. Mit der Uraufführung 1992 wurde die Theaterwelt um eine bewegende Produktion reicher, die Jung und Alt bis heute gleichermaßen begeistert und den Mythos um Kaiserin und Privatperson Elisabeth von Österreich, vielen besser bekannt als Sissi, in kunstvoller Manier neu erzählt, reflektiert und kommentiert. Nachdem das Publikum in Deutschland nun lange Zeit auf eines seiner Herzensstücke verzichten musste, begeistert das Musical aktuell im Rahmen einer Tourproduktion, die die bewegende Lebensgeschichte der Kaiserin von Österreich in einer halbszenischen Inszenierung auf die Bühnen wunderschöner Theaterhäuser bringt und dabei dem tradierten Bild einen neuen Anstrich verleiht. Aktuell gastiert die Show in der Dresdener Semper Oper und entfaltet auf der opulenten Bühne des eindrucksvollen Hauses die Verarbeitung eines historischen Stoffs, der in ein virtuoses künstlerisches Gewand gehüllt Augen zum Strahlen bringt und Herzen bewegt.
(c) Zheng Tianran
Erzählt wird eine Geschichte rund um die Gegensatzpaare von Liebe und Hass, Freiheit und Gefangenschaft, Konservative und Moderne sowie Leben und Tod.
Wir schreiben das Jahr 1853, das das Leben zweier Mädchen aus dem Hause Wittelsbach gänzlich auf den Kopf stellen und den Grundstein für die Zukunft des Geschwisterpaars maßgeblich formen soll.
Während Schwesterchen Helene diszipliniert die Etikette der Oberschicht studiert und sich auf die geplante Vermählung mit niemand Geringerem als dem Kaiser selbst vorbereitet, streift die 15-jährige Elisabeth unbedarft und neugierig durch die Welt und erkundet ihre Umgebung als lebhafter Wirbelwind, der so gar nicht in das Vorstellungsbild der tugendhaften Mutter passen will. Abgeschreckt von dem Freigeist ihres Sprösslings wendet sich die Herzogin mit zunehmendem Unverständnis von der einen Tochter ab und verwendet ihre Energie darauf, die andere Tochter in das prunkvolle Leben des Hofes einzuführen. Doch wie man plant und denkt, so kommt es bekanntlich nie, denn bei dem ersten Zusammentreffen vor der geplanten Hochzeit schlägt Franz Josephs Herz nicht für die strebsame Helene sondern entgegen aller Erwartungen für die quirlige Elisabeth, die nun den ehemals ihrer Schwester zugedachten Platz an der Seite des Kaisers einnimmt. Was jedoch zunächst wie das vollkommene Glück anmutet, entpuppt sich nach und nach als wahre Zerreißprobe für die junge Elisabeth. Unter den strengen Augen ihrer Schwiegermutter, die mit der temperamentvollen Art der neuen Kaiserin so gar nichts anzufangen weiß und ihren Sohn unablässlich zur Härte und Disziplin ermahnt, muss Sissi für ihre Überzeugungen, ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmtheit an der Seite ihres Mannes kämpfen. Inmitten der von außen so prunkvoll erscheinenden Fassade des kaiserlichen Hofs entspinnt sich ein erbittertes emotionales Gefecht, das seinen Tribut fordert und Elisabeth immer tiefer in eine Krise inmitten der scheinbaren Gefangenschaft ihrer Gefühle stürzt. Ein Konflikt, der in seinen Auswirkungen auch für die Bevölkerung nicht unbemerkt bleibt. Als sich die Lage schließlich sowohl politisch als auch privat zuspitzt, verliert Elisabeth gänzlich den Bezug zu ihrem früheren Ich sowie den Menschen, die ihr vermeintlich am nächsten stehen. Der Einzige, der ihr in dieser schweren Zeit noch zur Seite zu stehen scheint, ist niemand Geringeres als der Tod selbst, der bereits seit der Kindheit der künftigen Kaiserin ein Auge auf Elisabeth geworfen und all die Schritte auf ihrem Lebensweg aus der Ferne und zugleich doch so nah begleitet hat. Zwischen dem Atem des Todes und der Enge des Kaiserhofes und seiner Etikette, die der verzweifelten Frau die Luft abzuschnüren scheint, muss sich die Kaiserin zunehmend mit der Frage konfrontieren, wer sie eigentlich ist, für wen ihr Herz schlägt und wofür es sich zu leben und zu kämpfen lohnt.
(c) Zheng Tianran
Bettina Mönch gebührt für ihre rundum exzellente Darbietung in der Rolle der "Elisabeth" großer Respekt, der die Versiertheit einer wahren Ausnahmekünstlerin würdigt. Im Sinne einer plastischen Figurenverkörperung verknüpft die Darstellerin handwerkliches Geschick mit emotionaler Intelligenz - zwei Dimensionen, die sich zu einer beeindruckenden Symbiose verbinden - und taucht über den Abend hinweg leidenschaftlich in das figurale Kleid eines Charakters ein, den das Publikum in differenten Stadien seines Lebensweges kennenlernt. Mit dem nötigen Fingerspitzengefühl zeichnet Bettina einen authentischen Entwicklungsbogen hin von einem quirligen Wirbelwind, der stürmisch die Welt erkundet und sich nichts aus Ansehen und Etikette macht, über eine junge Frau, die versucht, sich gegen die Unterdrückung am kaiserlichen Hof aufzulehnen und auf ihre Prinzipien zu vertrauen, hin zu einer innerlich gebrochenen Kaiserin, die sich von der Welt abwendet und deren Gefühle von einer schützenden Schicht der Kälte überzogen werden. Hervorragend verbindet die Künstlerin in ihrer Interpretation die Facetten von charakterlicher Stärke sowie empfindsamer Vulnerabilität, die sie in der Koloration unterschiedlicher figuraler Lebensabschnitte ausgezeichnet auszubalancieren weiß.
Gesanglich vollbringt Bettina eine gar fabelhafte Leistung, im Rahmen derer ihr fein geschliffener Sopran in beeindruckender Klangfülle erstrahlt und den Opernsaal in einen Ausdruck musikalischer Brillanz hüllt. Wundervoll geschmeidig und zugleich unglaublich kraftvoll führt die Sängerin jeden noch so herausfordernden Melodiebogen und beweist in der Präsentation eines gewaltigen Tonumfangs ihre ausgezeichnete Ausbildung. So bringt die Künstlerin eine wahre Meisterleistung auf die Bühne, die sich sowohl in gesanglicher als auch in spielerischer Hinsicht auf dem höchsten Niveau künstlerischer Exzellenz bewegt.
Lukas Mayer vermag es, mit seiner schauspielerischen Klasse die Rolle des "Tod" ausdrucksstark auszufüllen und in der Brillanz darstellerischer wie gesanglicher Finesse zu begeistern. Haben sich bislang zahlreiche Interpretationen der Figur an einer der Überlegenheit des omnipräsenten Todes zu verdankenden Autorität orientiert, eröffnet sich hier für den geneigten Zuschauer ein ganz neuer interpretativer Horizont im Angesicht einer feinsinnigen Darstellung, die den Schwerpunkt leicht verschiebt. Lukas verkörpert einen sensitiven Charakter, der von seiner eigenen Emotionalität überwältigt wird, und arbeitet dabei eine Filigranität wie Zerbrechlichkeit des mächtigen Todes heraus, dessen Bestimmung mit seinen starken Gefühlen für die faszinierende Elisabeth kollidiert. Der Künstler vermag es grandios, Mimik, Gestik und Intonation in der Kreation eines figuralen Habitus zu verbinden und dabei die scheinbare Antithetik der Dualität von verführerischer und bedrohlicher Aura in einer vielschichtigen Figureninterpretation aufzulösen. Bemerkenswert mit Blick auf die Körperlichkeit des Charakters gestalten sich die Anmut und Ruhe, mittels derer sich der Darsteller über die Bühne bewegt und aus dem Hintergrund den Überblick über das Geschehen behält - einer Katze gleich, die lauernd und auf leisen Pfoten durch die Gegend streift und präzise im geeigneten Moment vorstößt. Auch gesanglich glänzt der Künstler mit einer bravourösen Leistung, die das Publikum in der Konfrontation mit purer Faszination und der Eindringlichkeit einer großen Darbietung einmal mehr den Atem anhalten lässt. In pointierter, expressiver Artikulation verleiht Lukas der Figur einen geheimnisvollen Anstrich, der die Berechnung des Charakters ummantelt. Mit seinem warmen Timbre lässt er die Lieder in der Demonstration seiner eindrucksvollen tonalen Range erstrahlen und verfeinert die Melodiebögen mit die Schönheit der Komposition umschmeichelnden Koloraturen.
(c) Zheng Tianran
Robin Reitsma begeistert mit seiner bis ins Detail ausgefeilten Verkörperung des "Luigi Lucheni", die nicht nur die darstellerische Akkuratesse unter Beweis stellt, sondern zugleich vor allem auch seine spielerische Freude und Leichtigkeit in eine Transparenz hüllt. Als Erzählerfigur führt er durch die Handlung und mimt eine exzentrische Persönlichkeit, die untrennbar mit der Geschichte Elisabeths verwoben ist. Forsch, kess und provokant breitet Robin in der Rolle des Lucheni die Erzählung der Ereignisse aus und unterlegt das Geschehen mit seinen sarkastischen Kommentierungen, deren Spitzen der Darsteller akzentuiert herausstellt. Mit sehr ausdrucksstarker Mimik koloriert er eine Figur, welche den Hass der Bevölkerung auf ihre Kaiserin schürt, die sich von ihrem Volk entfremdet und verbittert von so machem Schicksalsschlag in ihre Eitelkeit zurückgezogen hat. Robin verleiht der Figur eine geheimnisvolle, düstere Ausstrahlung und durchbricht als teils undurchsichtiger Erzähler die vierte Wand, sodass sich schnell eine direkte Verbindung zum Publikum entspinnt. Die charmant verspielte Darbietung, die sich der spielerischen Leichtigkeit handwerklicher Präzision bedient, lässt den Auftritt des Künstlers energetisch wie mitreißend erscheinen.
Das stimmliche Vermögen, welches die Theaterbesucher hierbei geboten bekommen, beweist einmal mehr, warum Robin die ideale Besetzung für diese herausfordernde, ausdrucksstarke Rolle darstellt. Im Sinne der ihm zugedachten, gesanglich fordernden Partien präsentiert der Sänger eine herausragend ausgebildete Kopfstimme und schleift die Songs in rockig-kraftvoller Manier.
Die Rolle des Kaisers "Franz Joseph" verkörpert Armin Kahl mit spielerischem Geschick und beeindruckender Präsenz. In spielerischer Hingabe macht er über den gesamten Abend hinweg den inneren Konflikt Franz Josephs transparent, der es gewohnt ist, dem strengen Regiment seiner Mutter zu folgen, und der doch zugleich Sorge davor hat, seine geliebte Sissi in dem blinden Gehorsam gegenüber den mütterlichen Anweisungen zu verlieren. In seiner Mimik zeichnet sich dabei all der Schmerz der inneren Qual ab, der das emotionale Erleben der Figur angesichts der Zerrissenheit zwischen zwei Frauen bestimmt, die beide um den Platz an seiner Seite und in seinem Herzen sowie seinen Gedanken ringen. Mit einer gehörigen Portion Feingefühl mimt Armin eine authentische, nahbare Figur, deren Hadern im plastischen Spiel des Darstellers allzu deutlich wird, und durchlebt aus figuraler Perspektive eine glaubwürdige Entwicklung vom Sohn, der den Befehlen seiner Mutter bedingungslos Folge leistet und sein Regiment auf einer von außen auferlegten, erzwungenen Etikette aufbaut, hin zu einem erstarkenden Mann, der sich zunehmend von seiner Mutter abkoppelt und darum kämpft, das Vertrauen seiner Frau zurückzugewinnen. Vollendet wird die Pracht des künstlerischen Vermögens durch eine gesangliche Souveränität, die sich sowohl in starken Solo-Parts als auch in der Vereinigung der Stimmen im Duett abzeichnet.
(c) Zheng Tianran
Bettina Bogdany weiß an diesem Abend mit ihrer ausdrucksstarken Interpretation der Erzherzogin "Sophie" zu glänzen, im Rahmen derer die Künstlerin eine strenge, konservativ geprägte Frauenfigur erschafft, die am kaiserlichen Hofe die Zügel in der Hand hält und die Bediensteten ebenso wie ihren eigenen Sohn, den Kaiser, im Takt ihrer persönlichen Melodien dirigiert. Die Schauspielerin koloriert die autoritäre Aristokratin mit sicherem darstellerischen Pinselstrich und verleiht der charakterstarken Persönlichkeit in einem markanten Spiel mit der figuralen Dominanz einen ganz individuellen Habitus, der die Autorität der Erzherzogin bereits auf Ebene der Physis visualisiert. Souverän mimt Bettina Bogdany eine willensstarke Frau, die sich durch die Einflussnahme der jungen, leidenschaftlichen Elisabeth in der Verbindung zu ihrem Sohn bedroht sieht und sich vor einem schwindenden Radius ihrer Einflussnahme sorgt. Besonders bemerkenswert in der gelungenen Darbietung erscheint dabei die Verkörperung des stetigen Alterungsprozesses, in dessen Angesicht sich Sophie verbittert an die bekannten Machtstrukturen klammert und noch strenger auf die Einhaltung der konservativ geprägten Regeln pocht.
Dennis Hupka weiß mit einer starken, ja geradezu eindringlichen schauspielerischen Darbietung in der Rolle des Kronprinzen "Rudolf" rundum zu überzeugen und einen Charakter zu kreieren, der angesichts der metaphorischen, sich immer fester ziehenden Schlinge um seinen Hals stetig tiefer in einen Strudel von Zweifeln und dem Gefühl der Ausweglosigkeit gerät. Mit viel Feingefühl und dem nötigen Gespür für die Sensibilität des Charakters verkörpert der Künstler einen jungen Mann, der nie Liebe und Geborgenheit erfahren hat und sich so nach einer Umarmung seiner Mutter sehnt, die in seiner Kindheit nicht präsent war. In dem Einsatz einer ausdrucksstarken mimischen Koloration entpuppt sich Dennis' Gesichtsausdruck immer wieder als Spiegel der zerrissenen figuralen Gefühlswelt und legt den emotionalen Kern Rudolfs spielerisch versiert offen, sodass in darstellerischer Feinarbeit ein Charakter erwacht, der sich immer weniger noch selbst aus dem Netz wachsender Verzweiflung und dem Gefühl der Einsamkeit befreien kann. Distanziert von seiner Familie und eingeengt in der Repression kaiserlicher Pflichten und Traditionen wird Rudolf auf seinem Weg zum Erwachsenwerden lediglich von einem einzigen treuen Weggefährten begleitet, nämlich dem Tod selbst, der sich zu einem nahbaren Freund für den Kronprinzen entwickelt und immer da zu sein scheint, wenn sich die gesamte restliche Welt von dem kaiserlichen Sprössling abgewandt hat. Jene besondere Faszination für den personifizierten Tod, der Rudolf sowohl mit seiner Empathie als auch mit seiner äußeren Anziehungskraft für sich gewinnt, stellt Dennis hervorragend im rundum abgestimmten Zusammenspiel mit Bühnenpartner Lukas Mayer heraus. Besonders in der Rahmung des großen Klimax "Die Schatten werden länger" gelingt es dem Darsteller dabei, seine spielerische Erstklassigkeit mit einer ebenso bemerkenswerten gesanglichen Klasse zu unterstreichen. In der kraftvollen Vereinigung mit Lukas' Stimmfülle erstrahlt der satte, warme Tenor des Künstlers, mit dem er sowohl der klassischen Note der Songs gerecht wird, als auch die musikalische Darbietung zugleich mit einem leicht rockigen Timbre zu erfüllen weiß, in voller akustischer Pracht.
(c) Zheng Tianran
Esther Ardoin überzeugt gleich in zweierlei Hinsicht im Rahmen einer Doppelrolle, die sie ihre schauspielerische Variabilität und Wandelbarkeit unter Beweis stellen lässt. Im ersten Akt tritt die Darstellerin in der Rolle von Sissis Mutter "Ludovika" auf und verkörpert mit spielerischer Vortrefflichkeit eine ehrgeizige Frau, die von Ansehen und Popularität träumt und in Schwiegersohn Franz Joseph ihre Chance sieht, den familiären Einfluss auszuweiten und sich von der Masse abzusetzen. Glaubwürdig zeichnet die Künstlerin die Herzogin, deren Zuneigung in erster Linie ihrer zur Etikette erzogenen Tochter "Helene" gilt, wohingegen sie für den Freigeist Elisabeths nur wenig Verständnis aufbringen kann.
Im Rahmen ihres Engagements als "Frau Wolf" gelingt es der Schauspielerin dann, ganz andere charakterische Nuancen herauszustellen. Mit viel Verve haucht Esther der ungenierten Bordellbesitzerin Leben ein und stellt der zunächst hervorragend ausgespielten Sittsamkeit der Herzogin die Anzüglichkeit einer Frau kontrastiv entgegen, die es gewohnt ist, Männer zu umgarnen und mit ihrer selbstbewussten Art zu bezirzen. Verführerisch betört sie ihre potenziellen Kunden und preist die Mädchen in ihrem Bordell leidenschaftlich an. In der Kombination zweier solch differenter Rollen kann die Künstlerin ihr immenses spielerisches Geschick sowie ihr eindrucksvolles Rollenverständis wirkungsvoll einbringen.
Der gesamten Cast, die diese Tour-Produktion mit ihrem spielfreudigen Auftreten sowie ihrer stimmlichen Durchschlagkraft zum Strahlen bringt, ist die eindrucksvolle Präsentation des Kultmusicals in neuem Gewand zu verdanken. Das Ensemble agiert durchweg harmonisch und spürt den unterschiedlichen Stimmungsbildern der Szenen hingebungsvoll nach. Besonderen Applaus erntet natürlich Kinderdarstellerin Ida, die die Rolle des kleinen "Rudolf" mit solch einer Sensibilität verkörpert, dass man glauben mag, dass diese junge Künstlerin noch keine langjährige Bühnenerfahrung aufweisen kann. Herausragend erweckt sie den empfindsamen Jungen zum Leben, der eifrig versucht, den Tugenden am Hof zu folgen und sich in aller vermeintlich antrainierten Härte doch so sehr nach der Wärme seiner Muttter sehnt, und rührt mit ihrer unbedarften, leichtfüßigen Darbietung zu Tränen. Die gesamte Riege phänomenaler Künstlerinnen und Künstler reißt das Publikum mit ihrer stimmlichen Finesse mit und füllt jede noch so kleine Rolle geschickt aus, sodass sich ein visuell wie akustisch starkes Gesamtwerk ergibt.
(c) Zheng Tianran
Das Musical verarbeitet die Lebensgeschichte der Kaiserin Elisabeth - einer Persönlichkeit, die schon längst zur Kunstfigur der österreichischen Geschichte avanciert ist und um die sich zahlreiche Mythen ranken. Während die beliebten Sissi-Verfilmungen eine romantisierte Geschichte rund um die Kaiserin und ihr Wirken erzählen, setzt das Bühnenstück auf deutlich düsterere Einflüsse der historischen Begebenheiten und hinterfragt das Leben und Schaffen Elisabeths kritisch. Der Zuschauer trifft vor dem Hintergrund einer rund um die Kaiserin gesponnenen figuralen Collage nicht nur auf Elisabeth selbst, sondern lernt viele ihrer Wegbegleiter kennen, die das Leben der jungen Frau in unterschiedlichem Maße bewegt und geprägt haben. Neben dem Tod, der hier im Sinne einer Personifikation konturiert und in einem die Morbidität negierenden Paradox belebt wird, fokussiert die Produktion die Biographie Luigi Luchenis, die untrennbar mit der Geschichte Elisabeths verwoben ist. Auf narrativer Ebene bildet diese den Rahmen für die Illustration der Lebensgeschichte Elisabeths, die hier in Form einer Analepse entfaltet wird. Spannend gestaltet sich bei der theatralen Umsetzung die Tatsache, dass der Zuschauer fast den gesamten Lebensweg der Hauptfigur begleitet und im Zeitraffer an all jenen Stellen verweilt, die besonderen Einfluss auf den Weg der Kaiserin nehmen. Das dargebotene Zeitintervall, das gleich mehrere Jahrzehnte abdeckt, schafft den Nährboden für eine gewaltige figurale Entwicklung, die sich natürlich insbesondere mit Blick auf die Hauptfigur vollzieht, dabei jedoch auch die Geschichten der anderen Charaktere berührt. Gerahmt von klug geschriebenen Texten, die den Figuren eine emotionale Tiefe verleihen, sieht sich der Theaterbesucher charakterlichen Wandlungen gegenüber, die die Figuren aus einer Eindimensionalität lösen und ihnen aufgrund eines eindrucksvollen erzähltechnischen Strickmusters eine besondere Vielschichtigkeit verleihen.
(c) Dong Tiany
Herzstück der Produktion bildet ohne Frage die wundervolle musikalische Linie ab, deren Zauber sich der feingeistigen Gestaltung Michael Kunzes und Sylvester Levays verdankt. Denkt der geneigte Musicalbesucher an große Melodien mit Ohrwurmcharakter, so schleicht sich sicherlich der eine oder andere Titel aus "Elisabeth" in das musikalische Gedächtnis und lädt dort im wahrsten Sinne des Wortes zum Tanz. Die musikalische Gestaltung vereint dynamische Ensemblenummern mit emotionalen Soli und Duetten, die das Herz eines Musikliebhabers in aller klanglichen Pracht höherschlagen lassen. Entsprechend der unterschiedlichen Charaktere, deren Erleben hier klangvoll erzählt wird, decken die Songs eine musikalische Bandbreite von klassischen Werken bis hin zu rockigen Einschlägen ab. Ist die musikalische Linie entsprechend der Protagonistin sowie des kaiserlichen Hintergrunds von lyrischen Melodien geprägt, schleichen sich in den Nummern von Lucheni und Tod auch immer mal wieder fetzige Klänge ein, die der musikalischen Gestaltung verwoben mit klassischen, getragenen Liedern eine akustische Komplexität verleihen.
Dem quantitativ wie qualitativ eindrucksvollen Orchester fällt es dank der musikalischen Versiertheit aller Instrumentalisten leicht, den Zauber der Arrangements im Spiel mit Dynamik und Akzentuierungen gänzlich offenzulegen. Hingebungsvoll vermögen es die Musiker unter dem pointierten Dirigat Bernd Steixners, alle Farben vom zarten Pianissimo bis hin zum kräftigen Forte in ihrem detailverliebten Spiel abzubilden.
Einziges Manko an diesem Abend stellt leider die nicht besonders gelungene Tonabmischung dar, die ein Verständnis der Texte aufgrund von fehlerhafter Abstimmung in der Lautstärke von Gesang und instrumentaler Begleitung erschwert. Vor allem im ersten Akt fällt die ausbaufähige Tonqualität leider negativ auf, die das akustische Erlebnis insgesamt leicht schmälert und der klanglichen Fulminanz von Sängern wie Orchester nicht gerecht wird.
(c) Zheng Tianran
Die Inszenierung spart gemäß ihrer Konstitution als halbszenisches Spiel an Bühnenbild ein und legt den Fokus in erster Linie auf das starke Spiel und die figurale Interaktion, die sich im Kontext herausragender darstellerischer Leistungen entspinnt. Auf bemerkenswerte Weise demonstriert die Fassung dabei, dass es keiner aufwendigen Kulissenelemente bedarf, um der in ihrer musikalischen Größe wie in einem dramaturgisch hochwertigen Gerüst wurzelnden Produktion Leben einzuhauchen. Die Bühne wird lediglich von einem großen Rahmen dominiert, zu dem eine im Zentrum der Spielfläche platzierte Treppe führt. Akzentuiert von der Rahmung entspinnen sich hier die Interaktionen und Konflikte der Charaktere, für deren Darstellung sich die kreativen Köpfe der Multifunktionalität des Rahmens bedient haben, der sowohl farblich an die jeweilige Stimmung der Kulisse angepasst als auch für das szenische Spiel mit einer Schaukel, Ringen sowie Kletterelementen genutzt werden kann. Unterlegt wird die visuelle Gestaltung von großen Projektionen im Hintergrund, die jedoch keineswegs mit dem klassischen Gewand des Stücks kollidieren, sondern ganz im Gegenteil die intensive Spannung auf der Bühne entsprechend atmosphärisch untermalen. So lassen sich beispielsweise visuell vielfältige Schauplätze generieren, aber auch das Spiel mit den Motiven des Fächers sowie der Schatten, die sich für das Musical als so charakteristisch erweisen, kommt hierbei zum Einsatz. Abgerundet wird das optische Bild von einem durchdachten Lichtdesign, das Projektionen und plastisches Spiel verbindet und in der Kontrastierung von Licht und Dunkelheit einen stimmungsvollen Raum für die geschichtlichen Abgründe am kaiserlichen Hof eröffnet.
Doch wo das Bühnenbild eher auf Zurückhaltung setzt und die Figurenzeichnungen in den Mittelpunkt der Inszenierung rückt, da fängt die Kostümgestaltung die Opulenz der adeligen Szenerie ein. So spart das Kostümbild von Yan Tax, das sich der Originalkostüme bedient, weder an langen Stoffbahnen noch an funkelnden Steinen und Schmuckelementen, sodass man sich als Theaterbesucher schnell in das prunkvolle Kaiserhaus des 19. Jahrhunderts zurückversetzt fühlt.
Mit der Tourproduktion kehrt ein echtes Meisterwerk der Musicalwelt mit langjähriger Erfolgsgeschichte auf die deutschen Bühnen zurück. Belebt von einem erstklassigen Orchester spannt das Stück von beeindruckender emotionaler Größe seine Flügel auf und legt sich in allem Zauber und in der gesamten Atmosphärik über den Zuschauersaal. Gerade die geschichtsträchtige Semperoper, die den Duft von Kultur und Musik wie kaum ein anderes Theaterhaus versprüht, bildet natürlich die ideale Kulisse für eine Produktion mit dieser höfischen Thematik und der langen Tradition, sodass die Inszenierung in der Umarmung des prunkvollen Opernsaals an zusätzlicher Kraft und Fulminanz gewinnt.
Doch die Klasse des Musicals entfaltet sich erst in dem kunstvollen wie leidenschaftlichen Wirken der rundum grandiosen Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne, die alle Herausforderungen spielerisch wie gesanglich herausragend zu meistern wissen, die Geschichte mit eindringlich vorgetragenen Choreografien schleifen und die unterschiedlichen Charaktere in ihrer individuellen Persönlichkeit nuanciert ausfüllen. Gebannt verfolgt das Publikum die tragische Geschichte einer starken Frauenfigur, die in ihrer Verzweiflung und dem Gefühl, von den normativen Mauern des Hofes eingeengt zu werden, in eine zunehmende Rastlosigkeit stürzt und den Bezug zum Wert des Miteinanders verliert. Düster, gewaltig und äußerst atmosphärisch gewinnt die Produktion im Rahmen einer durchdachten Dramaturgie sowie eines perfekten Zusammenspiels von Visualität und Akustik an Ausdruck. Auch über dreißig Jahre nach der Entstehung des Musicalklassikers in Wien hat die kunstvolle Inszenierung nichts an Virtuosität und Glanz eingebüßt, ganz im Gegenteil. Neu inszeniert und erweckt von einem brillanten Ensemble, das ganz eigene Akzente setzt, gibt die Tourproduktion des Klassikers neue Impulse und kombiniert die Genialität des Grundgerüsts mit einem frischen Konzept, das den Zauber der berührenden Geschichte rund um Kaiserin Elisabeth und ihr gefährliches Rendezvous mit dem Tod neu beflügelt.
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