Ein Newcomer auf High Heels

Lukas Witzel studierte ursprünglich Musik und Geschichte auf Lehramt. Momentan kann man seiner Stimme allerdings nicht im Klassenzimmer, sondern vielmehr auf Musicalbühnen lauschen. Er begeisterte das Publikum bereits in der Hauptrolle des "Jon" in der Inszenierung "Tick... Tick... BOOM" oder auch in der Produktion "In The Heights". Zudem stand Lukas bereits als "Luigi" in "Wemmicks" auf der Bühne. Aktuell ist der Newcomer als alternierende Besetzung der "Hedwig" in der Off - Musical Frankfurt Produktion "Hedwig and the Angry Inch" zu erleben.
Im folgenden Interview verrät der sympathische Darsteller mehr über diese, in Deutschland gerade aufstrebende, Produktion, aber auch über seinen Werdegang zum Musicaldarsteller...

(c) Svenja Drewitz

Wann stand für dich fest, dass du im Genre Musical tätig sein möchtest? 

Nach der Produktion der Musical Inc. Mainz „In the Heights“ 2016, bei der ich als "Benny" auf der Bühne stand, wurde die Idee des Quereinstiegs zum ersten Mal wirklich konkret. Ich habe immer schon einmal darüber nachgedacht, aber mir war trotzdem klar, dass ich mein Studium abschließen möchte. Bestärkt durch Freunde, Kollegen, Familie und auch Kritiker aus der Branche habe ich mich entschlossen, diesen entscheidenden Schritt zu machen. 

Welche deiner bisherigen Rollen hat dir am meisten bedeutet? 

Das ist eine äußerst schwierige Frage, weil ich im Amateurbereich bereits einige tolle Rollen verkörpern durfte. Am liebsten mochte ich hier meine allererste Musicalrolle, nämlich "Moritz Stiefel" in „Frühlings Erwachen“, das war bereits im Jahr 2012. Im Profibereich habe ich ja gerade erst angefangen, aber ich gehe fest davon aus, dass "Hedwig" immer etwas Besonderes für mich bleiben wird. Nicht nur, weil sie meine erste große Rolle ist, sondern auch, weil sie so unvergleichbar ist. Diese spezielle Erfahrung werde ich wohl immer in Erinnerung behalten. 

Momentan stehst du als alternierende „Hedwig“ in „Hedwig and the Angry Inch“ auf der Bühne der Off-Musical-Produktion. Was zeichnet diese Rolle für dich aus? 

"Hedwig" ist eine riesige Herausforderung. Ihre Lebensgeschichte ist so vielschichtig und besonders, dass es einige Zeit braucht, um sie zu verstehen und ihren Charakter verinnerlichen zu können. Im Probenprozess kommt man ihr immer näher und kann immer besser nachvollziehen, wie sie zu der Person wurde, die sich in der Show dem Publikum präsentiert. Sicherlich ist sie eine Rolle, die  einem Mann per se relativ fern erscheint. Aber es finden sich überraschend viele  Anknüpfungspunkte, die man nutzen kann, um die Rolle möglichst authentisch auf die Bühne zu bringen. 

Was war dein erster Gedanke, als du gehört hast, dass „Hedwig and the Angry Inch“, ein in Deutschland noch recht unbekanntes Stück, nach Frankfurt kommen soll? 

Ich habe mich sehr gefreut! Ich hatte bereits einen groben Eindruck von diesem Stück und wollte  unbedingt dabei sein. Je besser ich es kennengelernt habe, desto mehr war ich angefixt, diese Rolle  zu spielen. 

(c) Off - Musical Frankfurt/ Agnes Wiener/ Niklas Wagner 

Was stellt für dich bei dieser Inszenierung die größte Herausforderung dar? 

Zunächst dachte ich, dass es die High Heels wären, aber mit denen kam ich erstaunlich gut klar! Letztlich ist es der große Umfang der Rolle, der eine enorme Verantwortung darstellt. 

Das Stück erzählt ja eine sehr tiefgründige und tragische Geschichte. Wie hast du dich persönlich auf dieses Engagement vorbereitet? 

Ich habe das Buch genau studiert und mir auch Hintergrundinformationen angeschaut. An vielen Stellen hilft es mir, als Darsteller Situationen aus dem eigenen Leben heranzuziehen. Vieles hat sich aber erst im Laufe der Probenzeit entwickelt. 

Hast du einen Lieblingssong oder auch einen Lieblingsmoment in dieser Show?
 
Mein Lieblingssong ist wohl „Wig in a box“. Er ist musikalisch und emotional vielseitig und auch die Performance macht extrem viel Spaß. Mein Lieblingsmoment ist das Abschminken gegen Ende. Die Spannung im Saal ist greifbar und die Szene hat etwas sehr Befreiendes. 

Was glaubst du, welche Zuschauergruppe dieses Musical besonders anspricht? 

Ich glaube, dass "Hedwig" für fast jeden Zuschauer Anknüpfungspunkte zur Identifikation bietet. Für Kinder ist es wohl überfordernd, aber Jugendliche sind definitiv angesprochen. Ansonsten möchte  ich keine Altersgrenze setzen. Die Musik ist rockig, die Sprache teils derb, aber die Geschichte ist packend und eine emotionale Achterbahnfahrt, die jeden mitnehmen kann. 

Denkst du, dass Transsexualität in Deutschland immer noch ein Tabu – Thema ist, und inwiefern bricht die Show mit diesem Tabu? 

Ich glaube, dass Transsexualität nach wie vor Aufsehen erregt und dass viele Menschen eine gewisse Unsicherheit im Umgang damit verspüren. "Hedwig" selbst ist absolut kein Stereotyp oder ein Paradebeispiel. Sie ist eine Kunstfigur. Dennoch wird sie als Transsexuelle wahrgenommen und ich glaube, dass die Show durchaus helfen kann, gegen den Status als Tabu-Thema anzukämpfen. 

(c) Benedikt Stumpf

Glaubst du, dass es - wie auch bei der Produktion „Hedwig and the Angry Inch" -  grundsätzlich von  Vorteil ist, in eine kleinen Theater mit intimer Atmosphäre zu spielen, in dem auch viel direkter Kontakt zum Publikum möglich ist ?
 
Das kommt ganz auf das Musical an. „Hedwig and the Angry Inch“ braucht diese intime  Atmosphäre und die Zuschauer müssen das Gefühl haben, dass sie ganz nah dran sind und mit "Hedwig" auf eine persönliche Reise gehen. Andere Stücke brauchen das weniger und können auch in großen Häusern sehr gut funktionieren. 

Ursprünglich hast du ja Musik und Geschichte auf Lehramt studiert. Planst du später noch, in diesem Beruf tätig zu werden? 

Ja. Ich will jetzt mit aller Kraft versuchen, im Musicalbereich Fuß zu fassen und mich auszuprobieren. Das macht mir zur Zeit unheimlich viel Spaß und ich genieße es. Irgendwann wird aber, denke ich, der Moment kommen, an dem ich wieder Lust auf das Lehrer-Dasein habe. Für jetzt gerade bin ich aber sehr zufrieden dort, wo ich bin. 

Glaubst du, dass das Mitwirken an einer Produktion eines Veranstalters, wie beispielsweise der Off  - Musicals Frankfurt,  andere Freiräume bei der Interpretation der Rollen zulässt, als es zum Beispiel ein Konzept ähnlich der Strategie bei Stage Entertainment ermöglichen würde? 

Das kann ich bisher noch nicht beurteilen, da ich keine Erfahrung bei Stage oder ähnlichen großen Produktionsfirmen habe. Ich kann nur sagen, dass es eine tolle Produktion war, in der ich mich auch kreativ verwirklichen konnte.  

Hast du für die Zukunft Traumrollen, die du gerne einmal spielen möchtest? 

Wenn irgendwann einmal „Dear Evan Hansen“ in Deutschland ankommen sollte, würde ich liebend gerne die Titelrolle übernehmen. Aber ich bin auch immer neugierig, Stücke und Rollen kennenzulernen, die mir bisher noch nicht untergekommen sind. 

Vielen lieben Dank für dieses interessante Interview, lieber Lukas!
Wir wünschen dir weiterhin ganz viel Freude auf der Bühne und sind gespannt, in welchen Inszenierungen wir dich in Zukunft noch erleben dürfen!

Wer jetzt neugierig geworden ist, kann "Hedwig and the Angry Inch" noch bis zum 21. Januar 2018 in der Frankfurter Brotfabrik erleben. 
An folgenden Terminen wird Lukas das Publikum als "Hedwig" mit auf seine Reise nehmen: 17. - 19. November 2017; 17. Dezember 2017 sowie 19. Januar 2018.

(c) Off - Musical Frankfurt/ Agnes Wiener/ Niklas Wagner 

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