Einladung zum Wiener Mitternachtsball

Die Musicallandschaft ist ständig im Umbruch, Broadway - Erfolge feiern ihre Premieren im deutschsprachigen Raum, Tourproduktion ziehen von Stadt zu Stadt, neue Eigenproduktionen werden entwickelt. Doch es gibt eine Show, die seit der umjubelten Premiere im Jahre 1997 nicht mehr aus der Welt der Musicals wegzudenken ist. "Tanz der Vampire" ist zu einem unvergleichlichen Erfolg mutiert. Die Blutsauger tanzten bereits in 14 verschiedenen Ländern auf der Bühne und insgesamt folgten mehr als 8,5 Millionen Zuschauer der Einladung zum Ball. Nun, anlässlich des 20- jährigen Jubiläums, sind die Vampire wieder an ihren Geburtsort Wien zurückgekehrt und lehren im allabendlich  ausverkauften Saal des "Ronachers" den Besuchern das Fürchten. 
Nach einigen Besuchen bei "Tanz der Vampire" in Deutschland, durfte ich am 22. und 23. Mai auch endlich der Wiener Gruft einen Besuch abstatten und mich von den österreichischen Blutsaugern in die Welt der Untoten entführen lassen.

(c) VBW / Deen van Meer

Ich war sehr gespannt, inwiefern sich die Inszenierung dort von der aktuellen Tourproduktion in Deutschland unterscheiden würde und ich kann schon einmal vorwegnehmen, ich habe das Ronacher mit einem ganz anderen Gefühl der Euphorie verlassen als die deutschen Theater, in welchen ich den Mitternachtsball der Vampire bereits erleben durfte. 
Es gibt aber einen Punkt, in dem sich die beiden Inszenierungen in nichts nachstehen: die Qualität der Darsteller. 
In der Wiener Produktion stehen aktuell - genauso wie in Deutschland - durchweg hochkarätige Sänger und Tänzer auf der Bühne, die den Zuschauern einen einzigartigen Abend bescheren. 

Bei meinen beiden Besuchen durfte ich zwei verschiedene Darsteller in der Titelrolle des "Graf von Krolock" erleben, nämlich den allseits beliebten Drew Sarich und den phänomenalen Fillipo Strocchi. Beide haben die Figur völlig unterschiedlich interpretiert und auf die Bühne gebracht, aber beide Darstellungen der Rolle waren ein absoluter Genuss! 
Fillipo konnte sowohl schauspielerisch als auch gesanglich in jeder Hinsicht überzeugen und stand der Erstbesetzung in nichts nach. Er hat eine unwahrscheinlich anmutende Ruhe in die Rolle gelegt und mit seinem anziehenden Schauspiel die Herzen der Zuschauer (vor allem der weiblichen Gäste) im Sturm erobert. Unglaublich, mit welcher Präsenz und welcher Eleganz Fillipo die Blicke des Publikums auf sich gezogen hat.

Drew Sarich war ebenfalls eine optimale Besetzung für die Rolle, da man wohl bei kaum einem anderen Darsteller so stark die intensive Auseinandersetzung mit dem Charakter spürt. Mit viel Fingerspitzengefühl kehrte der Schauspieler die unterschiedlichen Facetten der Rolle nach außen und ließ dabei zu keinem Zeitpunkt die Beweggründe des Handelns der Figur außer acht. Spätestens bei seiner atemberaubenden Interpretation der "Unstillbaren Gier" berührte er die Zuschauer mit der melancholischen Geschichte des einsamen Grafen, die eigentlich hinter seinem Verhalten steckt.

Auch in der Rolle der jungen "Sarah" durfte ich bei meinen Besuchen im Ronacher zwei unterschiedliche Darstellerinnen erleben. 
Abla Aloui verkörperte die Rolle mit viel Spielfreude und Hingabe. Sie verzauberte das Publikum mit einer zarten Stimme und einem jugendlich wirkenden Schauspiel, sodass man ihr die Rolle des abenteuerlustigen Mädchens auf der Suche nach Zuwendung sogleich abnahm.

Diana Schnierer begeisterte ihr Publikum mit einer sehr erfrischenden Interpretation der Rolle. Man hatte das Gefühl, dass sie die Geschichte nicht einfach spielte, sondern tatsächlich erlebte. Ihre klangvolle und durchdringende Stimme rundete die Darstellung der "Sarah" perfekt ab.

(c) VBW / Deen van Meer

Raphael Groß stand als "Alfred" auf der Bühne und sang sich mit seiner warmen und kräftigen Stimme sogleich in die Herzen der Zuschauer. Er zeigte ein großes Verständnis für die Rolle, indem er die romantischen Gefühle für die junge Wirtstochter sehr authentisch auf die Bühne brachte und besonders mit dem Lied "Für Sarah" eine sehr sensible Seite zum Ausdruck bringen konnte.
Auch gemeinsam mit seinem Bühnenpartner Sebastian Brandmeir bildete der junge Darsteller ein grandioses Gespann, das für so manches Gelächter im Saal sorgte.  

Sebastian Brandmeir verkörperte die Rolle des belesenen "Professor Abronsius" mit viel Sinn für Humor und präsentierte in der Rolle seine faszinierende Wandlungsfähigkeit. Trotz seines eigentlich jungen Alters konnte Sebastian den reifen Professor sehr gelungen interpretieren und war somit eine perfekte Besetzung für die Rolle. Nicht nur schauspielerisch konnte der Darsteller begeistern, auch gesanglich brillierte er mit einer großartigen und auf die Rolle zugeschnittenen Stimme.

Eines meiner persönlichen Highlights an beiden Abenden war Nicolas Tenerani, der als Sarahs Vater "Chagal" auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stand. Mit einer sensationellen bis ins Detail passenden Gestik und vor allem Mimik bewies der sympathische Darsteller, dass er die optimale Besetzung für diese Rolle ist. Nicolas brachte mit seinem schauspielerischen Talent die gesamte Vorstellung über viel Witz und Energie in die Show. Besonders die Verwandlung vom lüsternen Wirt zum blutrünstigen Vampir gelang ihm außerordentlich gut, sodass der Schauspieler letztendlich verdient mit einem tosenden Applaus verabschiedet wurde.

Charles Kreische spielte die Rolle des Grafensohn  "Herbert" mit viel Komik und Leichtigkeit. Sein Zusammenspiel mit Alfred, der die Hingabe zu dem schwulen Vampir nicht erwidert, zauberte dem gesamten Publikum ein breites Grinsen ins Gesicht. In dem Song "Wenn Liebe in dir ist" brachte der Sänger auch seine fantastisch ausgebildete Stimme zum Vorschein, mit welcher er sich das Lied völlig zu Eigen machen konnte.

(c) VBW / Deen van Meer

Die Figur der "Magda" wurde von Marle Martens verkörpert, die in dieser Rolle vor allem mit einer atemberaubenden Stimmgewalt überzeugen konnte. Sowohl bei "Carpe Noctem" als auch bei ihrem Titelsong "Tot zu sein ist komisch" sorgte die Darstellerin mit durchdringender Stimme für ein Staunen im Saal. Von der zurückhaltenden Magd verwandelte sich die eher devote junge Frau im Laufe des Abends zu einem gierigen und blutdurstigen Vampir, der gemeinsam mit Partner "Chagal" die Gruft ordentlich aufwirbelte.

Am 22. Mai begeisterte Dawn Bullock die Menge als Chagals Gemahlin "Rebecca" mit einer an die Rolle optimal angepassten Stimme. Sie brachte mit ihrer äußerst realistischen Darstellung der Eifersucht auf andere Frauen, mit denen ihr Gatte gerne die ein oder andere Schäferstunde verbrachte, viel Schwung in den ersten Akt und konnte dennoch auch die immer noch vorhandenen Emotionen für den treulosen Chagal in den richtigen Momenten sichtbar werden lassen.

"Kokoul", der stumme und bucklige Diener des Grafen, wurde von Florian Resetarits verkörpert. Obwohl die Figur nicht so viele Auftritte hat wie manch andere Hauptrolle,  entwickelte sich "Kokoul" dank Florians sichtbarer Spielfreude zu einem absoluten Publikumsliebling. Jede einzelne Szene mit ihm war für die Zuschauer ein voller Genuss, der mit viel Applaus und strahlenden Gesichtern belohnt wurde.

Das gesamte Ensemble präsentierte über drei Stunden hinweg eine hundertprozentig stimmige und überzeugende Leistung und zeigte, wie sehr die Cast in den vergangenen Monaten zusammengewachsen ist. Auf der Bühne stand eine Einheit, die - egal, ob gesanglich, schauspielerisch oder auch tänzerisch - in jeder einzelnen Sekunde brillierte und das unverzichtbare Grundgerüst der Inszenierung formte.

(c) VBW / Deen van Meer

Doch nicht nur diese optimal besetzte Cast bereitet dem Publikum täglich einen unvergesslichen Abend, auch das detailverliebte Bühnenbild lässt Münder vor Staunen offenstehen. Diese Kulisse ist von der ersten bis zur letzten Szene komplett durchdacht und vor allem die Elemente des Grafenschlosses geben dem Zuschauer das Gefühl, tatsächlich in eine neue Welt einzutauchen. Auch die Lichttechnik, die Projektionen und die 3D - Effekte tragen zu einer mystischen und geheimnisvollen Atmosphäre bei und ermöglichen dem Zuschauer eine besondere Nähe zum Geschehen, da der Besucher die Geschichte "hautnah" miterleben kann. Es ist offensichtlich, dass diese Kulisse mit viel Liebe zum Detail gestaltet wurde.

Das Stück ist wie geschaffen für das Ronacher-Theater. Sobald man den Saal betritt, wird man von einer Atmosphäre eingefangen, die an transsylvanische Mythen erinnert.  In kaum einem anderen Theater wirkt das Musical so optimal angesiedelt wie in diesem traditionellen Gebäude, welches die Theaterkultur vieler Jahre widerspiegelt und einen wunderbaren Rahmen für die Show bildet. 

(c) VBW / Deen van Meer

Ich persönlich habe jede Vorstellung, die ich in Deutschland besucht habe, sehr genossen, aber als ich das Ronacher verlassen habe, war ich von Kopf bis Fuß verzaubert. Mich hat die "Unstillbare Gier" nach dieser Inszenierung tatsächlich zum allerersten Mal wirklich mit Haut und Haaren gepackt. Man spürt in diesem Lied einmal mehr die unvergleichliche Qualität, die in den Wiener Produktionen steckt. Wer die Inszenierung in Wien einmal besucht hat, der weiß, was das Wort "Meisterwerk" eigentlich bedeutet. Die Zuschauer dieses Stücks erleben ein Feuerwerk des Musicals, denn es wurden keine Kosten und Mühen gescheut, dem Publikum alle Farben dieser Show in vollem Glanz zu präsentieren und in den Herzen der Menschen die Liebe zu den kleinen Blutsaugern zu entfachen.
Wer also die Möglichkeit hat, die Vampire in Wien zu besuchen, sollte sich diese fabelhafte Umsetzung nicht entgehen lassen! In der österreichischen Gruft gibt es so viel zu entdecken, dass ein Besuch eigentlich Pflichtprogramm ist, wenn man auf einen schaurig - schönen Abend nicht verzichten möchte ! Wenn die Vampire rufen, hält einen nichts mehr zurück, getrieben von Träumen und hungrig nach Glück!

(c) VBW / Deen van Meer

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