She's like the wind - Im Gespräch mit Gloria Wind

Gloria Wind absolvierte ein Musical- und Operettenstudium sowie eine achtjährige klassische Ballettausbildung am staatlichen Konservatorium der Stadt Wien. Bereits vor dieser Zeit war sie Teil der Japan - Tournee der Show "Sound of Music". Nach ihrem Studium stand die sympathische Darstellerin in diversen Produktionen, wie beispielsweise "The Producers", "A chorus line" oder auch "Dirty Dancing" auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Zudem brillierte Gloria in der Stage - Produktion "Ich war noch niemals in New York", welche auf den großen Hits von Udo Jürgens basiert, als "Frau Dünnbügel" und Cover "Lisa Wartberg". Ab Novermber wird sie erneut als Cover für die Rollen der "Lisa", "Leadsinger" und "Marjorie" zur "Dirty Dancing" - Tour zurückkehren und das Publikum mit der allseits bekannten und beliebten Geschichte um "Johnny" und sein "Baby" begeistern.
Gloria hat sich netterweise die Zeit für ein sehr interessantes Gespräch über ihre Laufbahn, sowie das Leben abseits der Bühne genommen und stand mir für ein kleines Interview Rede und Antwort. Ich freue mich wahnsinnig, euch nun dieses offene und auch tiefgründige Gespräch präsentieren zu dürfen und wünsche euch ganz viel Spaß beim Schmökern...


Wann stand für dich fest, dass du im Genre „Musical“ tätig sein möchtest? Wie hat dein
Umfeld auf diese Entscheidung letztendlich reagiert?

Den Grundstein für meine Bühnenaffinität legte wohl die klassische Ballettausbildung, die, wie sich später herausstellte, auch für eine Musicalkarriere von großem Vorteil war. Außerdem bin ich in einer sehr musikalischen Familie groß geworden, in der Instrumente und gemeinsames Singen immer sehr präsent waren. Meine beiden älteren Schwestern haben ihre Musical-Kassetten rauf und runter gehört - von "Jesus Christ Superstar" über "Miss Saigon" und "Yentl" war alles dabei, was das Herz begehrt und das Musicalfieber hatte mich gepackt. Als ich 2002 die Aufnahmeprüfung für das Konservatorium der Stadt Wien (heute MUK) bestanden habe, war ich dann also meinem Berufswunsch schon ein großes Stück näher. Meine Eltern haben mich dahingehend immer unterstützt und mich bestärkt weiterzumachen, wenn ich mal gezweifelt habe. Dafür bin ich ihnen bis heute dankbar.

Welche deiner bisherigen Rollen hat dich am meisten geprägt?

Mein erstes Musical-Engagement ergatterte ich durch viele Zufälle mit 17 Jahren - noch vor dem Studium. Ich durfte auf einer zweimonatigen Japan - Tournee die „Liesl Trapp“ in „The Sound of Music“ verkörpern und habe da auch den Entschluss gefasst, dem Genre treu zu bleiben. Täglich vor 3000 bis 4000 begeisterten Zuschauern live singen zu dürfen, war zum damaligen Zeitpunkt eine unbeschreiblich prägende Erfahrung für mich.
Vom darstellerischen Aspekt her hat mich jedoch die Rolle der „Lisa Wartberg“ bei „Ich war noch niemals in New York“ sehr bereichert. Eine Frau, die zerrissen ist zwischen ihrer Karriere und den Gefühlen für einen Mann, die sie davon ablenken, diese Karriere verbissen weiter zu verfolgen. Ich fand es so spannend und berührend diesen Charakter zu spielen, weil die Story gerade in unserem Beruf gar nicht so weit hergeholt ist. Immer da zu sein, wo der Job ist, stellt auch das Privatleben immer wieder auf die Probe. „Lisa Wartberg“ hat mir ganz große Spielfreude bereitet, da ich mich gut in die Rolle hineinfühlen konnte. Jetzt habe ich natürlich Blut geleckt und hoffe, dass in Zukunft mehr solcher spannenden Rollen auf mich warten.


Ab November wirst du zum wiederholten Male in „Dirty Dancing“ als Cover für die Rollen der „Lisa“, „Leadsinger“ und „Marjorie“ auf der Bühne stehen. Was fasziniert dich so an diesem Stück, dass du diese Produktion immer wieder aufs Neue bereicherst?

Als Kind der 80er - Jahre bin ich natürlich mit dem Film groß geworden und habe ihn geliebt! Selbst nach über 500 Shows höre ich die Musik auch privat immer noch gerne und kann nicht vorbei zappen, wenn der Film im TV läuft. Das Spannende an der Bühnenversion ist für mich die Herausforderung, einen Film, der ja mit verschiedenen Sets und Cuts arbeiten kann, auf die Bühne zu bringen. Wir sind ja ein sehr untypisches „Musical“, da wir u.a. kein Orchester haben und die Songs auch die Handlung nicht weitertragen, wie es im klassischen Musical üblich wäre. Deshalb heißt es auch „Dirty Dancing – das Original live on Tour“. Es ist eben eine andere Art von Unterhaltungstheater. Eleanor Bergstein, die Autorin des Drehbuches, hält heute noch ihre schützende Hand über jede Produktion von „Dirty Dancing“ und hat somit auch immer das letzte Wort, was die Besetzung angeht. Somit hat es mich sehr gefreut, dass ich bei der ersten Tour 2014 neben meiner Position im Tanzensemble gleich drei so unterschiedliche Frauenrollen covern durfte. Damals „Lisa Houseman“, „Marjorie Houseman“ und „Penny Johnson“. 2017 habe ich jedoch nach einigen Verletzungen den Entschluss gefasst, mich nun aufs Singen und Schauspielen zu fokussieren und kann bei der jetzigen Tour als „Rollenswing“ auch noch die „Leadsängerin“ dazu zählen. Den Song „Time of my life“ zu singen ist für mich als eingefleischter Fan des Films schon ganz besonders. Da fällt mir ein... eigentlich habe ich hier jetzt jede Frauenrolle außer "Baby" gespielt, haha :-)

Wie groß empfindest du die Herausforderung, diesen Rollen, mit denen die Zuschauer aufgrund des Filmklassikers bereits Bilder assoziieren, eine eigene Note zu verleihen?

Ich würde es eher als willkommene Einladung sehen, die Zuschauer noch zu überraschen, obwohl sie den Film teilweise sehr gut kennen. Die Herausforderung daran ist ja eben, nicht die Schauspieler des Films möglichst genau zu kopieren, sondern jede Rolle zu der eigenen zu machen. Einen Darsteller nachzumachen kann nicht funktionieren und wäre unglaubwürdig. Natürlich richtet sich die Regie an die vorgegebenen Charakterzüge der ursprünglichen Rolle, aber interpretieren darf ich sie selbst, solange es für mich und das Publikum authentisch bleibt.

Unter anderem warst du auch bereits in der Inszenierung „Ich war noch niemals in New
York“ als „Frau Dünnbügel“ und Cover „Lisa Wartberg“ zu erleben. Hast du in diesem
Rahmen auch Udo Jürgens selbst kennenlernen können und warst du bereits vor diesem Engagement ein Bewunderer seiner Musik?

Zu dem Zeitpunkt, als ich 2016 bei „Ich war noch niemals in New York“ einstieg, war Udo Jürgens leider, leider bereits verstorben. Kollegen, die ihn noch persönlich kennenlernen durften, haben aber alle zu Recht von ihm geschwärmt.
Ich muss sagen, als Kind konnte ich nicht so viel damit anfangen, wenn meine Eltern seine Musik begeistert gehört und dazu gesungen haben. Seit ich mich aber durch die Show mehr mit seinem Leben und den Songs befasst habe, ist das anders. Mir stellen sich die Nackenhaare auf, wenn Udos Musik als „Schlager“ betitelt wird, dafür ist sie viel zu tiefgründig. Seine Texte erzählen Geschichten, die das Leben schreibt und mit denen sich jeder von uns ein Stück weit identifizieren kann. Gepaart mit einer schönen Melodie, die gerne im Ohr bleibt, ist das meiner Meinung nach die hohe Kunst des Liederschreibens, die er bis ins Detail beherrscht hat. Natürlich sind da auch seine Klassiker - Hits, die gute Laune verbreiten sollen und zu denen gerne geschunkelt und mitgesungen wird. Bei unserem Publikum war „Griechischer Wein“ definitiv der Favorit.


Du warst sowohl bereits in Deutschland als auch in Österreich als Darstellerin tätig. Gibt es deiner Meinung nach irgendwelche Unterschiede zwischen dem Publikum hier und in Österreich?

Generell habe ich erlebt, dass das deutsche Publikum lockerer und ausgelassener eine Show genießt, sich traut, auch einmal laut zu lachen oder Emotionen zuzulassen. In Österreich ist das Publikum oft verhaltener, denn wer mal pfeift, kreischt oder ähnliches wird sofort schief angeschaut. In je mehr Häusern ich jetzt gespielt habe, desto mehr fällt mir auch auf, dass die Architektur und das Flair der deutschen Musicalhäuser oft eher Kinoatmosphäre hat, wenn ich mir die Zuschauerräume vorstelle. In Wien sind Häuser,  wie z.B. das Ronacher, das Raimund Theater, die Volksoper oder österreichische Landestheater sehr altehrwürdige Gebäude, die vielleicht die Stimmung im Publikum ein wenig beeinflussen. Einen ganz eklatanten Vergleich hatte ich bei „The Producers“ am Wiener Ronacher, das wir mit den VBW auch im Berliner Admiralspalast gespielt haben. Während es in Wien teilweise Buhrufe von entrüsteten Zuschauern gab, haben die Berliner die Show richtig gefeiert und sich total auf den Humor von Mel Brooks eingelassen. In Österreich habe ich das Gefühl, dass eher die düsteren Stücke sehr beliebt sind.

Hast du eine Traumrolle, die du unbedingt einmal spielen möchtest?

Tatsächlich wäre das die „Maria“ in „The Sound of Music“, da ich durch mein erstes Engagement zu dieser Show eine ganz besondere Beziehung habe und die Musik sehr feiere. Schön langsam habe ich ja dann auch das passende Alter dazu. Stimmlich liegt mir die Partie wirklich gut, denn ich mag es, auch mal die klassischeren Aspekte der Stimme zeigen zu dürfen und fühle mich da auch deutlich wohler. In den neueren Musicals heutzutage wird ja Qualität und Talent leider oft an der Frage gemessen: „Wer beltet höher und lauter“?

Wie würdest du dich selbst in drei Worten beschreiben?

Wenn ich wirklich drei aussuchen müsste: zielstrebig - liebevoll - zuverlässig

Was ist für dich im Allgemeinen das Faszinierende an der Welt der Musicals?

Mich fasziniert die Vielfalt, die im Musical möglich ist. Es gibt Rockmusicals, Tanzmusicals, klassische Musicals, Musicals zum Lachen, zum Weinen, Popmusicals, Filmmusicals und auch die Operette zähle ich natürlich zum Musiktheater. Die Möglichkeiten sind unendlich, also hat man auch als Darsteller in jedem Alter noch die Möglichkeit, auf der Bühne zu stehen. Was mich bei all der Vielfalt aber so frustriert ist, dass derzeit die „Jukebox Musicals“ ganz vorne stehen. Bedeutet: wir nehmen Musik von Whitney Houston, Tina Turner, Meat Loaf, Udo Jürgens, Bee Gees, Michael Jackson, Wolfgang Petri, Queen, Rainhard Fendrich, Buddy Holly, Take That, Falco, man munkelt noch über ein Helene Fischer Musical... Dann packt man alle Lieder auf einen Haufen, schreibt eine Story drum herum, sodass jeder Song irgendwo seine Daseinsberechtigung bekommt und nennt es am Ende: Musical. Wo sind die Zeiten, in denen noch berührende Geschichten erzählt wurden? Warum denn immer klauen, wenn es Komponisten und Autoren gibt, die grandiose, neue Dinge schaffen könnten? So wird das Publikum leider in eine Richtung „erzogen“, die mir nicht gefällt. Ich hoffe das ist nur eine vorübergehende Erscheinung in unserer Branche. Gott sei Dank gibt es ab und zu noch Ausnahmen, wie z.B. „Kinky Boots“ oder „Dear Evan Hansen“!


Wie kannst du dich selbst motivieren, auf der Bühne zu stehen, wenn es dir einmal nicht so gut geht?

Es kommt ja gar nicht so selten vor, dass man auch mal krank oder schlecht gelaunt arbeiten muss, aber das betrifft ja jede Berufsgruppe. Die Schwierigkeit auf der Bühne ist da sicherlich, den Schein zu wahren und gute Laune zu verbreiten, auch wenn einem eigentlich zum Heulen ist. Ich erinnere mich daran, als mein Vater starb, während ich im Endprobenstress eine Woche vor einer Premiere stand. Tatsächlich hatte es mir in der schweren Zeit sogar geholfen, mich auf andere Gedanken zu bringen, mich ganz in die Arbeit zu werfen und von vielen lieben Kollegen aufgefangen zu werden.
Außerdem ist Dankbarkeit für die Motivation immer wieder aufs Neue ein Thema. Dankbar dafür zu sein, in dem Business überhaupt zu den wenigen Glücklichen zu zählen, die ein Engagement haben. Das ist alles andere als selbstverständlich.

Hast du in beruflicher oder privater Hinsicht ein Vorbild in deinem Leben?

Natürlich habe ich Kollegen/- innen, die ich absolut bewundere, vermeide aber beruflich nach einem Vorbild zu streben, da jede Karriere ganz individuell verläuft und das könnte sonst vielleicht am Selbstwert nagen.
Privat sind meine Familie, meine Eltern und meine Schwestern immer auch Vorbild für mich. Sie kämpfen im Alltag zwar mit anderen Themen, als ich sie in meinem Beruf habe, aber verfolgen allesamt zielstrebig ihren Weg und sind absolute Familienmenschen. In dem Sinne sind sie mein „Vorbild“, weil die Familie für sie an erster Stelle steht. Und das ist es doch schließlich, was am Ende zählt. Kein Engagement der Welt könnte mich so glücklich machen, wie eine gesunde, liebevolle Familie.

Was ist dein größter Wunsch für die Zukunft?

Mein größter Wunsch ist es (und ich denke, da geht es vielen Kollegen so) ANZUKOMMEN. Immer auf Achse sein, zu Auditions reisen, auf positive Antwort hoffen, um das nächste halbe Jahr finanziell abzusichern, ständige Umzüge, der Verzicht auf die Familie, das Privatleben rund um den Job zu planen, sich nicht in einer Firma „hocharbeiten“ können, unübliche Arbeitszeiten, ... die Liste lässt sich ewig fortsetzen. Wer in der Musical- oder Theaterbranche Fuß fassen möchte und nicht zu den 5-10 glücklichen, sogenannten „Stars“ zählt, die von Produktion zu Produktion gereicht werden, muss viel opfern und für den Beruf brennen um durchzuhalten. „Von nix kummt nix“ würde der Wiener sagen.
Deshalb ist mein Traum wohl ziemlich bodenständig: Ein Zuhause an einem Ort.
Wer weiß, vielleicht ergibt sich ja doch mal die Möglichkeit, in meiner Heimat Wien zu bleiben.
Bis dahin genieße ich es weiterhin, ein Teil der deutschen Theaterlandschaft zu sein und bedanke mich von Herzen für das Interview!


Ganz herzlichen Dank, liebe Gloria, für diese ausführlichen und offenen Antworten, die wohl jedem Leser im Gedächtnis bleiben werden! Wir wünschen dir alles erdenklich Gute für deinen weiteren Weg und freuen uns bereits jetzt darauf, dich ab November wieder auf der Bühne bewundern zu dürfen!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Große Emotionen im Sherwood Forest - Mit Robin Hood kommt eine neue Zeit des Musiktheaters

Wenn die Sehnsucht tanzen geht - Schaurig-schöne Ästhetik und düstere Fulminanz in Hamburgs Gruft

Theater kann die Welt verändern - "Der Club der toten Dichter", ein eindringliches Meisterwerk, das die Sprache des Herzens spricht