West Side Story - Zu Gast im feurigen New York der 50er Jahre

"West Side Story" zählt zu den Klassikern des Musicals schlechthin und nicht nur Musicalliebhaber verbinden mit diesem Titel so manche weltbekannte Melodie und eindrucksvolle Bilder. Man könnte annehmen, beinahe jeder müsste das Stück schon mindestens einmal gesehen haben, jedoch zählte ich noch zu den Unwissenden, welche lediglich den ein oder anderen Liedtitel aus dem Musical kennen, die Produktion jedoch noch nicht live erlebt haben. Die Möglichkeit, diesen Zustand zu verändern, bot sich mir vorletzte Woche, in welcher die internationale Tour des Musicals im Kölner Musicaldome Halt machte und für wenige Vorstellungen das deutsche Publikum mit einer anrührenden Geschichte, den Originalchoreografien von Jerome Robbins sowie brillianten Darstellern zum Staunen brachte.
Ich kann bereits an dieser Stelle vorwegnehmen, dass ich lediglich mit geringen Erwartungen den Musicaldome betreten und nach der Vorstellung den Saal mehr als begeistert wieder verlassen habe.

West Side Story, auch bekannt als die moderne Fassung von Shakespeares "Romeo und Julia", erzählt die Geschichte zweier Straßenbanden, genannt "Sharks" und "Jets", die um ihren Platz auf der Straße Amerikas in den 50er Jahren konkurrieren. Die "Jets" sind gebürtige Amerikaner, während die "Sharks" aus Puerto Rico stammen und ihre Heimat verlassen haben, um in die Vereinigten Staaten zu kommen. Beinahe täglich scheinen die Gangs Kämpfe um ihre Ehre und ihre gesellschaftliche Situation auszutragen. Bei einem solchen Kampf begegnen sich Tony, ehemaliger Anführer der Jets, und Maria, Puerto Ricanerin und Schwester des Shark - Anführers Bernardo. Bereits der erste gemeinsame Tanz der Beiden verrät, dass hier die Liebe auf den ersten Blick ihre Finger im Spiel hat. Während die beiden Verliebten sich immer näherkommen, wächst sowohl bei den Sharks als auch bei den Jets die Empörung über diese Verbindung. Bernardo unterbricht den Tanz der Beiden und befiehlt seiner Schwester, sofort nach Hause zu eilen und sich von den Mitgliedern der verfeindeten Bande ab sofort fernzuhalten. Obwohl Maria widerwillig seiner Anweisung folgt, kann Bernardo die Liebe der Beiden nicht auslöschen, Tony und Maria treffen sich immer wieder ohne das Wissen der Gangs und erkennen schnell, dass sie füreinander bestimmt zu sein scheinen. Als eines Abends wieder einmal ein Kampf zwischen den Jets und den Sharks angekündigt ist, bittet Maria Tony eindringlich diesen zu verhindern. Die Beiden wünschen sich nichts sehnlicher als die Akzeptanz der gemeinsamen Liebe. Doch der Versuch, die Banden zu stoppen, erweist sich als Fehler und es kommt zu einem tragischen Vorfall, der eine ganze Lawine ins Rollen zu bringen scheint. Für Tony und seine unbändige Liebe zu Maria beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit...

(c) Jeff Busby

Die Castings für diese internationale Produktion fanden in Australien statt und so standen auf der Bühne des Musicaldomes viele Darsteller, die ihre Ausbildung dort genossen hatten. Es ist unmöglich, die an diesem Abend gebotene Qualität der künstlerischen Darbietung in Worte zu fassen. Tanz, Gesang, Schauspiel, die drei Disziplinen, die in diesem Musical gleichermaßen vereint werden, wurden von den Darstellern allesamt auf allerhöchstem Niveau ausgeübt. Mit Leichtigkeit schienen sie über die Bühne zu wirbeln, herausfordernde Tanzfiguren zu realisieren und zugleich gesangliche Meisterleistungen zu vollbringen.

Todd Jacobson verkörpert in dieser Inszenierung die Rolle des ehemaligen Jet - Anführers "Tony", dessen Liebe zu Maria alle Zweifel und Ängste zu besiegen scheint. An ihrer Seite findet der junge Amerikaner den Platz, nach dem er sich lange gesehnt hat, blüht auf und scheint eine neue, bisher unentdeckte Stärke zu entwickeln. Todd lebt den Charakter in all seinen Farben und seiner Intensität hervorragend aus und ermöglicht dem Zuschauer, in Windeseile mit "Tony" zu sympathisieren. Seine Zärtlichkeit und seine Hingabe gegenüber Maria, seine Sorge um seinen Freund Riff, sein Unverständnis gegenüber dem Verhalten der Gangs, alle Facetten arbeitet der Künstler heraus und beweist so viel Verständis für das Innenleben der Rolle. In diversen Klassikern , wie "Tonight" und "Maria" brilliert Todd zudem mit einem phänomenalen gesanglichen Talent, das die Herzen der Zuschauer von Beginn an berührt und Grund für so manche Gänsehaut zu sein scheint.

In der Rolle der "Maria" ist Sophie Salvesani zu erleben, die ebenso wie ihr Bühnenpartner Todd auf schauspielerischer und gesanglicher Ebene Höchstleistungen vollbringt und das Publikum mit ihrer Authentizität voll und ganz in die dramatische Liebesgeschichte entführt. Mit einer glasklaren und zugleich sehr warmen und ergreifenden Stimme scheint es der Sängerin mit Leichtigkeit zu gelingen, die anspruchsvolle Musik von Leonard Bernstein zum Leben zu erwecken. Und nicht nur Sophias und Todds Zusammenspiel, nein, auch ihre Stimmen harmonieren brilliant miteinander und erschaffen gemeinsam viele emotionale und magische Momente innerhalb der Vorstellung.

(c) "West Side Story" - Australien

Noah Mullins steht als "Riff", der Anführer der Jets, im Scheinwerferlicht und begeistert ebenfalls auf ganzer Linie. Mit einer starken Ausstrahlung fesselt er das Publikum förmlich an seine Figur und ihre Geschichte und präsentiert sich ebenso wie seine Rolle mit einem selbstsicheren und einnehmenden Auftritt. Den Ehrgeiz und die Stärke der Figur arbeitet der Darsteller geschickt in seine Darbietung ein und verdeutlicht mit seinem authentischen Spiel in zahlreichen Szenen, wie wichtig Zusammenhalt und der Kampf gegen die vermeintlichen Feinde für Riff sind. Neben einer großartigen Schauspiel- und Gesangsausbildung beweist Noah auch ein großes Tanztalent. Mit ausdrucksvollen Choreografien bringt er die Zuschauer immer wieder aufs Neue zum Staunen.

Chloé Zuel verkörpert die Rolle der "Anita", die Frau Bernardos, und begeistert die Besucher mit ihrer positiven und spielfreudigen Art. Sobald sie die Bühne betritt, scheint die Künstlerin das Theater zum Strahlen zu bringen. Schwungvoll tanzt und singt sie sich in die Herzen der Zuschauer und vernachlässigt dabei keinesfalls die teils recht tragischen und ernsten Hintergründe im Leben der Puerto Ricanerin. Mit ihrem oftmals komödiantisch anmutenden Schauspiel erzeugt sie in der sonst so dramatisch erscheinenden Geschichte das ein oder andere Schmunzeln und balanciert gekonnt die Lebensfreude und Frechheit der Rolle mit Trauer, Schmerz und Wut aus.

In der Rolle des Shark - Anführers "Bernardo" steht Lyndon Watts auf der Bühne und auch er überzeugt auf ganzer Linie mit Kunst der Spitzenklasse. Er stellt die optimale Besetzung für diese starke, selbstbewusste Figur, die vor allem gegnüber seiner Schwester Maria oftmals in die Rolle eines Beschützers schlüpft, dar. Sein ehrliches Schauspiel stärkt die Glaubwürdigkeit des Charakters und lässt ihn allabendlich zu einem wahren Bandenanführer mit Kampfgeist und Hartnäckigkeit erblühen.

(c) Jeff Busby

Das gesamte Ensemble spiegelt, ebenso wie die Hauptdarsteller, die hohe Qualität der Inszinierung wider und jedes einzelne Mitglied arbeitet mit Fingerspitzengefühl die Feinheiten der einzelnen Charaktere heraus. Mit kraftvollen Gesangseinlagen und tänzerischem Geschick gelingt es den Beteiligten herausragend, in dem Stück zu glänzen und ein Gesamtkunstwerk, welches einer Meisterleistung gleicht, zu kreieren. Atemberaubende Tanzchoreografien und ins Herz treffende Melodien scheinen für die Darsteller kein Hindernis zu sein. Obwohl die Show dem Ensemble über den gesamten Abend hinweg alles abverlangt und die Kondition und Leidenschaft der Künstler vollends fordert, beeindrucken sie allabendlich mit einer unbändigen Spielfreude und Hingabe.

Nicht nur die phänomenalen Leistungen der Darsteller, nein, auch das Bühnenbild entführt die Zuschauer sogleich in das New York der 50er Jahre und transportiert den unverwechselbaren Charme dieses zeitlosen Klassikers. Dennoch stehen eindeutig das Ensemble und die Geschichten der einzelnen Rollen im Vordergrund der Inszenierung. Diese werden lediglich von den Kulissen unterstützt, welche das Eintauchen in die damalige Zeit erleichtern, ohne den herzergreifenden Auftritten der Künstler und den explosiven Choreografien die Show zu stehlen.

Ich muss gestehen, vor allem in den ersten Minuten bedurfte es meinerseits ein gewisses Einstellen auf die zahlreichen Tanzelemente innerhalb dieser Show. Das Stück lebt insbesondere von der Verbindung diverse Tanzstile und den damit einhergehenden unterschiedlichen Klängen und Rhythmen. Selten habe ich eine Produktion erlebt, die in so vielen Szenen von dem Element Tanz dominiert wird. Trotz meiner anfänglichen Skepsis war ich bereits nach wenigen Szenen restlos begeistert von den tänzerischen Leistungen, die dort geboten werden. Die Choreografien verleihen dem Musical eine Einzigartigkeit und gleichen dank perfekter Ausführung einem wahren optischen Schmaus. Auch nicht tanzaffine Zuschauer werden sofort mitgerissen und verspüren an so mancher Stelle den Drang, selbst aufzuspringen und sich im Takt der unterschiedlichen musikalischen Stile zu bewegen.

Rundum war ich bei Verlassen des Saals mehr als nur beeindruckt. Die einzelnen Bühnenelemente greifen bei diesem Klassiker harmonisch ineinander und ermöglichen es dem Darsteller, die gesamten künstlerischen Möglichkeiten allabendlich auszuschöpfen und eine Vielzahl an persönlichen Facetten zu präsentieren. Das Stück umfasst alles, was man sich als Zuschauer nur wünschen kann. Jegliche Emotion und Stimmungslage wird in der zweieinhalbstündigen Vorstellung ausgeschöpft und so vermischen sich Romantik und Schmerz, Liebe und Leid, Witz und Dramatik. Ich empfehle in jedem Fall möglichst viele Taschentücher einzupacken, denn die Geschichte um das Liebespaar Tony und Maria ist nicht nur weltbekannt, sondern rührte schon Massen an Zuschauern zu Tränen. "West Side Story" ist zwar bereits vor mehr als sechzig Jahren uraufgeführt worden, jedoch ist die Show heutzutage in Anbetracht der Kulturenvielfalt innerhalb der Gesellschaft so aktuell wie kaum zuvor. Wahnsinn, auf welch hoher Qualität aktuelle Themen und künstlerische Pefektion in einen Traum von Musiktheater verpackt werden!

(c) Jeff Busby

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