Paramour - Auf den Spuren der goldenen Ära Hollywoods

Vor knapp vier Monaten feierte "Paramour", das neue Werk aus dem Hause Stage Entertainments, große Europapremiere in der Neuen Flora in Hamburg. Das Musical ist das Produkt einer Kooperation zwischen Stage Entertainment und der "Cirque du Soleil Entertainment Group" und verbindet das allen bekannte Genre "Musical" mit Elementen der Artistik. Somit sollte eine völlig neue und bisher noch unentdeckte Variante dieses Genres in Deutschland Einzug halten.
Am vergangenen Wochenende hat mich meine Neugier verleitet, mir diese einzigartige Kreation in Hamburg anzusehen und mich von der neuen Idee Stage Entertainments faszinieren zu lassen.


Das Stück erzählt die Geschichte des erfolgreichen Regisseurs "AJ Golden", der in der Traumfabrik Hollywood einen Filmhit nach dem nächsten produziert und sich von Nichts und Niemandem aufhalten lässt. Auch als seine Hauptdarstellerin kurzentschlossen dem Set den Rücken zukehrt und alle finanziellen Mittel bereits über das Maß ausgeschöpft zu sein scheinen, denkt AJ nicht im Traum daran, seine Ideen für einen neuen Film ad acta zu legen. Verzweifelt macht er sich auf die Suche nach einer neuen Darstellerin für seinen nächsten Kinoerfolg. Ein Zufall führt ihn zu der jungen "Mildred", die ebenso wie der attraktive Regisseur ehrgeizig für ihre Ziele kämpft und mit ihrer charmanten Art nahezu perfekt für die Arbeit am Set erscheint. Inspiriert von ihrem erfrischenden Auftreten und gefesselt von ihrer Schönheit, verliebt sich AJ Golden in seinen neu entdeckten Star, welchem er schließlich den Namen "Indigo" verleiht. Obwohl "Indigo" zunächst lediglich eine von vielen Geliebten des Regisseurs zu sein scheint, entwickelt sich schon bald eine starke Verbundenheit zwischen dem Produzenten und der Künstlerin. Doch nicht nur AJ hat ein Auge auf seine geliebte Schauspielerin geworfen, nein, auch der junge Pianist "Joey", der mit der Produktion eines neuen Titelsongs des Films beauftragt worden ist, fühlt sich zu der Künstlerin hingezogen. So beginnt ein unerbitterter Kampf zwischen den beiden Männern, die mit ihren ganz persönlichen Mitteln um die Gunst Indigos kämpfen. Während Joey ihr immer wieder seine bedingungslose Liebe verspricht, verspricht AJ ihr zudem anhaltenden Erfolg, Reichtum und Ruhm. Schließlich muss Indigo entscheiden, was siegt, Liebe oder Wohlstand...


Im Mittelpunkt der Geschichte stehen bei diesem Musical eindeutig die drei Hauptcharaktere "Indigo", "AJ Golden" und "Joey", deren Beziehungen und Konflikte das Fundament der Story bilden.

In der Rolle des charismatischen "AJ Golden" steht aktuell Gian Marco Schiaretti auf der Bühne, der mit seiner rundum gelungenen Darbietung und seiner unglaublichen Präsenz alle Augen im Theater auf sich zieht. Er erweist sich als Idealbesetzung für diese ausdrucksstarke Rolle, die er mit seinem charmanten und zugleich sehr selbstsicheren Ausdruck wunderbar zu füllen vermag. Ihm gelingt es spielend, der Figur den nötigen Feinschliff zu verleihen und ihre Entwicklung im Laufe der Geschichte für das Publikum transparent zu machen. Sowohl AJ Goldens berechnende Seite, die stetig nach Glanz und Ruhm schreit und sich von Arroganz und Übermut zu nähren scheint, als auch seine verborgenen sanften Züge verkörpert Gian Marco brilliant. Ebenso wie in puncto Schauspiel überzeugt seine gesangliche Perfektion auf ganzer Linie. Auch in den Songs lässt der Künstler immer wieder die Stärke und scheinbare Überlegenheit gegenüber seinen Konkurrenten aufblitzen und nimmt so den großen Theatersaal mit seinem stimmgewaltigen Auftritt für sich ein.

So wie ihrem Bühnenpartner gelingt es auch Vajèn van den Bosch in der Rolle der "Indigo" die Zuschauer in die magische Welt Hollywoods zu entführen und sie mit einer ausgewogenen Mischung aus Professionalität und Emotionalität zu überzeugen. Insbesondere die Zerrissenheit zwischen ihren beiden Liebhabern macht die Darstellerin sehr deutlich und zeigt glaubwürdig Indigos inneren Kampf mit ihren eigenen Gefühlen auf. Vajén beweist in jeglicher Szene ein außerordentliches Gespür für das Innenleben der Figur und ihre große Liebe, welche immer wieder von dem Wunsch nach Erfolg und Prestige überschattet wird. Die Sängerin harmoniert erstklassig mit ihren männlichen Bühnenpartnern und bildet mit ihrer authentischen Darstellung den Mittelpunkt der Geschichte, um den der Grundkonflikt stetig zu kreisen scheint.


Eine weitere Meisterleistung vollbringt Sasha Di Capri als Walk - In Cover für die Rolle des gutmütigen und manchmal recht introvertierten "Joey". Mit seiner warmen und zugleich sehr ausdrucksstarken Stimme haucht er dem von Kampfgeist erfüllten Musiker Leben ein und spielt sich mit seiner gefühlvollen und sanften Interpretation in die Herzen der Besucher. Sasha formt in seiner Rolle den perfekten Gegenpart zu dem Kontrahenten "AJ Golden". Selbst angesichts der vermeintlichen Überlegenheit des Regisseurs kämpft Joey unermüdlich um die Zuneigung Indigos. Vor allem die Interaktion dieser grundverschiedenen Charaktere, die ideal besetzt worden sind, ist sehr spannend zu beobachten, da Gian Marco und Sasha die Möglichkeit haben, innerhalb ihrer Rollen ganz unterschiedliche Facetten aufzuzeigen und die Geschichte mit den Charakterzügen der jeweiligen Figur grundlegend zu lenken.

Auch Mercedesz Csampai und Patrick A. Stamme begeistern mit ihrer Darstellung der Rollen der selbstbewussten "Gina" und des zeitweise in seiner eigenen Welt zu leben scheinenden "Robbie". Die beiden Darsteller verleihen so mancher Szene eine ganz eigene Note und erweisen sich dank ihrer humorvoll angelegten Darbietung als elementarer Teil der Show, welcher den Zuschauern so manches Lächeln ins Gesicht zaubert. Ebenfalls in puncto Gesang brilliert Mercedesz immer wieder mit einer stimmlichen Präsenz und setzt innerhalb ihrer kurzen Partien musikalischen Akzente.


Wie bereits eingangs erwähnt, wird die Inszenierung maßgeblich von der bravourösen Leistung zahlreicher Akrobaten getragen, die mit ihren waghalsigen und in einer phänomenalen Ausbildung wurzelnden Auftritten in Windeseile die Zuschauer ins Staunen versetzen. Mit spektakulärer Akrobatik in der Luft und auf den Brettern, die die Welt bedeuten, zaubern die Artisten ein ungläubiges Funkeln in die Augen der Besucher und lassen das Adrenalin im Saal steigen. Sie scheinen mühelos jegliche Gesetze der Schwerkraft zu überwinden und das eigentlich Unmögliche möglich zu machen. Die einzelnen Akrobatik - Nummern sind elegant in die Inszenierung eingeflochten und mit den klassischen Elementen des Musicals, sprich Schauspiel, Tanz und Gesang, clever verbunden. Es ist bemerkenswert, wie die Künstler in den 16 verschiedenen Akrobatikdisziplinen, die in der Hamburger Produktion verarbeitet worden sind, jegliche Grenzen zu überschreiten scheinen und mit ihrer Darbietung ein neues Kapitel der Musicalgeschichte schreiben.


Musikalisch vereint das Stück diverse Stile, wie beispielsweise Pop, Jazz und Country. Somit spiegelt sich eine riesige Kulturvielfalt nicht nur in der Besetzung, sondern auch in der musikalischen Linie wider. Zudem zeichnet sich diese durch diverse große Soli sowie romantische Duette und eindrucksvolle Ensemblenummern aus. Eines der musikalischen Highlights ist mit Sicherheit das energiegeladene Terzett "Herzensknoten", welches von den in die Dreiecksbeziehung involvierten Charakteren zum Leben erweckt und zugleich von brillianten Artisten am Trapez visuell unterstrichen wird.


Auch die in bunten Farben erstrahlenden Kostüme und Kulissen verleihen der Show einen besonderen Glanz und untermauern die jeweilige Atmosphäre einer Szene. Dieser prachtvolle Augenschmaus gepaart mit den einzigartigen Choreografien, welche von den Artisten mit feinster Ästhetik ausgeführt werden, entführen das Publikum tatsächlich in die goldene Ära Hollywoods. 
Einziger kleiner Kritikpunkt bei diesem eindrucksvollen Musical bleibt lediglich die Story selbst. Die Geschichte spielt zwar mit zahlreichen Emotionen und ermöglicht den Darstellern selbst auch eine gewisse Freiheit innerhalb ihrer Rollen, jedoch kratzt sie leider bisweilen an der Oberfläche und lässt einen konstanten Tiefgang vermissen. Dennoch kann dieser kleine Abzug die Leistung der Darsteller keineswegs trüben, sie holen allesamt das Maximum aus ihren Rollen heraus und sorgen so mit ihrer authentischen und fesselnden Darstellung für große Gefühle im Theater.


Die Show ist ein echter Hingucker, der nicht nur die Herzen echter Musicalliebhaber höher schlagen lässt. Lachen, Weinen, Mitfiebern und Staunen - all das ist seit April 2019 in der Neuen Flora möglich. Musical und Akrobatik greifen geschickt ineinander und erobern somit eine neue Sphäre des Genres. Bei all dem Lob und der Begeisterung muss jedoch auch festgehalten werden, dass diese Produktion definitiv polarisieren und die Meinung der Besucher spalten wird. Wenn man ein klassisches Musical erleben möchte, wird man von dem Stück wohl enttäuscht werden, denn diese Show ist in keiner Weise mit anderen Inszenierungen zu vegleichen. Der Zuschauer muss sich auf eine völlig neue Interpretation des Genre "Musical" und eine einzigartige Reise in fremde Welten und längst vergangene Zeiten einlassen. Ihr solltet euch dieses phänomenale Spektakel keinesfalls entgehen lassen! "Paramour" ist ein harmonisches Gesamtkunstwerk aus Musik, Schauspiel, Tanz und Artistik, welches die Sinne der Besucher anregt und Faszination auf ganzer Linie schafft. Lasst euch von AJ Golden, Indigo und Joey in das Hollywood der goldenen 1940er Jahre entführen und erlebt eine feurige Mischung aus Komödie, Tragödie und Ästhetik!

Fotos: (c) John Davis 

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