Im Netz aus Lügen und Intrigen - Der Graf von Monte Christo, ein atmosphärisches Bild musikalischer Superlative

Das Metall zweier Degen klirrt aufeinander, die Dunkelheit senkt sich über das Land und in der Luft liegt der Geruch nach Blut, Schweiß und Niedertracht, der sich zu einem abstoßenden Gemisch olfaktorischer Abgründigkeit verbindet. Zwei Männer stehen sich gegenüber - früher einmal in scheinbarer Freundschaft verbunden, bindet sie nun nur noch das Band des Hasses, geknüpft aus einem feinen Stoff bitterer Machenschaften, aneinander. "Der Graf von Monte Christo" zählt wohl zu den populärsten Abenteuergeschichten der neueren Literatur. Ob als Leseratte auf Landgang oder als Fernsehliebhaber auf dem weiten Meer der Filmlandschaft, eine Vielzahl von Menschen durfte sich in der Vergangenheit bereits auf die Reise an der Seite des Grafen von Monte Christo machen und in den zeitlosen Stoff einer abenteuerlichen Geschichte zwischen Freundschaft und Verrat eintauchen. 
Das Theater Lüneburg bringt in dieser Spielzeit nun die weltbekannte Vorlage als Musical auf die Bühne und zeigt damit einen Klassiker in besonderem theatralen Gewand. Ein Verrat, der alles verändern soll, ein zerstörter Spiegel des Glücks, dessen einzelne Scherben nie wieder zum ursprünglichen Bild zusammengesetzt werden können, ein sagenumwobener Schatz, der Tor zur Liebe sowie zum Leid sein kann und ein bittersüßer Plan der Rache, der den Zugang zum Herzen zu überschatten droht - das Publikum wird mit einem gewaltigen Gefühlsspektakel konfrontiert, das gleichermaßen in die Abgründe der Seele wie in die Reinheit liebender Herzen blicken lässt und den Zuschauer in ein Netz aus Lügen und Intrigen verstrickt.


Das Musical basiert auf dem weltbekannten Roman von Alexandre Dumas und erzählt die abenteuerliche Geschichte rund um den Fall des Edmond Dantès und den Aufstieg des Grafen von Monte Christo - verschmolzen in einer Person, deren Gestalt von den Augen des Betrachters abhängt. 
Edmonds Glück scheint perfekt. Er wurde nicht nur soeben zum Kapitän befördert, sondern feiert zugleich auch die Verlobung mit seiner Herzensdame Mercédès, die seine Welt gehörig auf den Kopf stellt. Doch der Schein trügt und der eben noch so wundervolle Moment zerplatzt vor Edmonds Augen wie eine Seifenblase, als plötzlich die Justiz vor ihm steht und ihn verhaftet. So gerät ein Unschuldiger in den Hinterhalt bis dato unsichtbarer Feinde und landet in den Fängen des berüchtigten Château d'IF - einem Gefängnis unweit der Küste Marseilles. Dort sieht der gebrochene Mann all die Träume seines Lebensglücks an sich vorbeiziehen und verzehrt sich voller Schmerz nach seiner großen Liebe. In der Einsamkeit des Gefängnisses nagt der Zahn der Zeit an Edmond, bis ihn schließlich eine glückliche Fügung mit dem Mitgefangenen Abbé Faria zusammenführt. Gemeinsam gelingt es den Beiden einen Tunnel in den Tiefen der Dunkelheit zu graben, der Edmond schließlich wieder in die Freiheit hinaus führen soll. Doch als der Mann endlich wieder die Freiheit unter den Füßen spürt und die Sterne am Himmel über sich tanzen sieht, muss er feststellen, dass die Welt in Freiheit keineswegs mehr so aussieht wie vor seiner Zeit im Kerker. Scheinbare Freunde wurden zu Feinden, Missgunst und Niedertracht liegen im Schatten der Vergangenheit und die Frau seines Lebens führt nun ein selbiges an der Seite eines anderen Mannes - ausgerechnet jenen Mannes, der Edmond alles nehmen konnte, was ihm je etwas bedeutet hat... 


Die Produktion zeugt von einer künstlerischen Klasse, die sich auf allen Ebenen abzeichnet und ein atmosphärisches Meisterstück generiert, welches inhaltliche Tiefe und theatralen sowie musikalischen Scharfsinn zusammenführt. Die Architektur des Musicals beschert dem Zuschauer einen eindrucksvollen Theaterabend, verlangt den Künstlern auf der Bühne aber umso mehr ab. Die Fülle an charakterstarken Figuren und verdichteten Handlungssträngen fordert ein hochkarätiges Künstlerteam, wie es für die Lüneburger Inszenierung gewonnen werden konnte. 

Thomas Borchert verkörpert die Rolle des "Edmond Dantès" mit schauspielerischer Brillanz und präsentiert mit viel Feingefühl die Entwicklung einer stark gezeichneten Figur, die - zunächst gefestigt in ihrer inneren Stärke und Warmherzigkeit - im Laufe der Geschichte doch immer wieder nach ihrem eigenen Kern suchen und sich selbst zwischen all den Abgründen der Menschheit ergründen muss. Der Künstler verleiht dem Protagonisten eine unglaubliche Vielschichtigkeit, indem er mit den unterschiedlichen Empfindungen und Zügen des Charakters spielt und in Abhängigkeit von der jeweiligen Lebenssituation der Figur differente Charakterzeichnungen hervortreten lässt. Ist Edmond zu Beginn noch von einer inneren Leichtigkeit erfüllt und blickt seiner glücklichen Zukunft beinahe ein wenig verklärt entgegen, droht der junge Mann schon bald darauf gänzlich an dem Leid zu zerbrechen, das ihm die Niedertracht seiner Neider zufügt. Thomas Borchert gibt der physischen wie emotionalen Reise des Charakters viel Raum und verkörpert meisterlich das stete Entschwinden der Lebensgeister Edmonds während seiner dunklen Jahre im Gefängnis. Einzig der Gedanke an seine große Liebe Mercédès kann den Mann am Leben halten. Ebenso authentisch gelingt es dem Schauspieler jedoch, die figurale Entwicklung bis hin zu einem neu auferstehenden, kraftvollen Kämpfer zu spannen, der getrieben von Rachsucht und dem Wunsch nach Gerechtigkeit einen neuen Habitus der Stärke entwickelt. Vor allem im zweiten Akt wird das Publikum dank der schauspielerischen Größe des Künstlers mit einer scheinbar kompromisslos agierenden Figur konfrontiert, deren Herz zwischen den Mauern des Gefängnisses verlorengegangen zu sein scheint und die ihren eigentlichen menschlichen Kern erst wiederentdecken muss. Mit weichen schauspielerischen Farben bricht der Darsteller die vordergründige Kälte des Edmond, der sich hinter der Kunstfigur des Grafen von Monte Christo verschanzt, und lässt in Gestik und Mimik immer wieder Momente der Liebe und Güte aufblitzen. Getragen wird die gesamte Darbietung von einer phänomenalen gesanglichen Präsentation, die sich durch eine beeindruckende Führung einer warmen, tiefen und von den ersten Tönen an Gänsehaut zaubernden Stimme auszeichnet. Scheinbar mühelos lässt der Bariton all die großen Melodien des Stücks erklingen und reichert die exzellente Technik mit einer tiefen Emotionalität an, die die Lieder in ihrer vollen musikalischen Pracht erblühen lässt. 


An seiner Seite steht Navina Heyne, die die Rolle der "Mercédès" mit stimmlicher wie schauspielerischer Bravour zu füllen vermag und ihr künstlerisches Handwerk mit gelebten Emotionen auf der Bühne verbindet, sodass das Publikum auf eine nahbare, hoch authentische Version einer jungen Frau trifft, die an ihrem tragischen Schicksal zu zerbrechen droht und doch mit neuer Stärke und Standhaftigkeit aus den harten Zeiten heraustritt. Es macht unglaubliche Freude, der Künstlerin dabei zuzusehen, wie sie mit viel Feingefühl und schauspielerischer Präzision eine greifbare, von Mehrdimensionalität geprägte Frauenfigur entwickelt, die eine sehr zarte, sanfte und vulnerable Seite an sich trägt und zugleich doch immer wieder in kraftvollen Momenten aufgeht, die sowohl die innere Stärke als auch die figurale Integrität des Charakters offenbaren. Im Zusammenspiel reichern Navina Heyne und Thomas Borchert beide das Band der Beziehung mit starken Emotionen an und scheinen das Spiel des Bühnenpartners mit ihrer eigenen Sensibilität für die Verwicklungen und Verbindungen zwischen den Charakteren zu befruchten. Die Figur der Mercédès nimmt in ihrer Vielschichtigkeit schnell klare Konturen an, da die Darstellerin sich voller Herzblut in die Rolle einlebt, sodass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion hier dank eines herausragenden Schauspiels schnell zu verschwimmen beginnen. Vor allem die Trauer und die inneren Qualen, die Mercédès nach der Festnahme ihres Verlobten ereilen, stellt Navina bravourös mit pointierter Darbietung heraus und lässt die Theaterbesucher in die Welt des Schmerzes einer gebrochenen Frau eintauchen, die glaubt, alles verloren zu haben. Doch auch die weibliche Protagonistin bleibt nicht dauerhaft in ihrer Trauer verhaftet. Im zweiten Akt erlebt das Publikum eine ebenso überzeugende Zeichnung einer standhaften Ehefrau und Mutter, die sich von ihrem Lebensglück verabschieden und notgedrungen eine neue Bindung - wenn auch nur auf dem Papier - eingehen musste, in dieser neuen Ehe jedoch ihr Herz unter einem dicken Panzer schützt und in sich eine ungeheuere Portion neuer Stärke bewahrt. Diese Stärke lebt jedoch nicht nur in Navinas szenischem Spiel auf, auch und insbesondere ihr stimmliches Volumen trägt die kraftvolle Darbietung. Mit glockenheller, warmer Stimme und präziser Intonation schafft die Künstlerin einen musikalischen Höhepunkt nach dem nächsten und weiß ihre gesamte gesangliche Qualität im Rahmen fordernder musikalischer Arrangements unter Beweis zu stellen.

Eine wahre künstlerische Offenbarung erlebt der Zuschauer mit der rundum exzellenten Darstellung des "Fernand Mondego", einem von Neid und Liebeskummer getriebenen Gegenspieler Edmonds, der von Gerd Achilles mittels nuanciertem Schauspiel zum Leben erweckt wird. Dem Künstler gelingt es herausragend, einen egozentrischen Antagonisten auf die Bühne zu bringen, der blind vor Gier stets seinen eigenen Wünschen und Sehnsüchten hinterherläuft und dabei rücksichtslos alle zur Seite stößt, die ihm im Weg stehen. Gerds Schauspiel wird getragen von einer unglaublichen Präsenz, mit welcher der Darsteller in Windeseile die gesamte Bühne einzunehmen weiß, sowie von einer pointierten Ausarbeitung eines expressiven Figurengewands. Dabei entwickelt der Künstler einen ganz eigenen Habitus für die Figur, welcher eine gewisse Unantastbarkeit und Arroganz ausstrahlt, und erst gegen Ende erste Risse bekommt. Die Rolle wirkt insgesamt recht reduziert auf die Intreganz der Figur, doch Gerds meisterlicher Präsentation ist es zu verdanken, dass sie dabei keineswegs droht, in die Eindimensionalität abzurutschen. Hält die Figur zunächst noch die Maske des treuen Freundes und edlen Retters in der Not aufrecht, zeigt sie bereits schnell darauf ihr wahres Gesicht, das von Gier und Selbstverliebtheit entstellt ist. Geschickt spielt der Künstler mit den dunklen Seiten des Egos und veredelt seine anfängliche Masquerade eines fürsorglichen Freundes und Gefährten mit der nötigen Portion Charme. Der physischen Charakterzeichnung kommt im Rahmen dieser antagonistisch geprägten Verkörperung eine besondere Bedeutung zu, doch fast noch elementarer für die großartige Ausarbeitung des Bühnencharakters zeigt sich Gerds charakterstarke, markige und durchdringende Sprech- wie Singstimme. Die ausgefeilte Intonation der Dialoge gepaart mit einem selbstbewussten Spiel lässt eine ausgezeichnete Interpretation des blasierten Mannes aufblühen.


Franziska Ringe mimt die exzentrische Piratin "Luisa Vampa", die der zur damaligen Zeit typischen Rolle einer treuen Hausfrau und Gattin entsagt hat und mit ihrer weiblichen Crew auf einem Schiff die Meere unsicher macht. Mit sichtlicher Spielfreude bringt die Darstellerin eine selbstbewusste, willensstarke Piratenlady auf die Bühne, die sich von den Fesseln der geschlechtlichen Stigmatisierung befreit. Mit einer beinahe teuflischen Freude dreht die Figur den Spieß der damaligen Rollentypisierung um und sieht das männliche Geschlecht mehr als Spielball in einem Leben, das sie ganz nach ihren Regeln gestaltet. Franziska verleiht dem gekonnt überzeichneten Charakter eine eindrucksvolle Ausstrahlung und kreiert eine ein wenig verrucht wirkende Interpretation einer für ihre Zeit ungewöhnlich emanzipierten Frau. Mit ihrer exaltierten Darbietung kratzt sie immer wieder an den Grenzen der Übertreibung, doch weiß dank pointiertem Schauspiel die Extravaganz der Rolle auszubalancieren und dem Zuschauer dabei kleine Einblicke in die biografisch bedingte Intention des Charakters zu gewähren. Schwungvoll wirbelt die Künstlerin über die Bretter, die die Welt bedeuten, und bringt gesanglich wie schauspielerisch eine gehörige Portion Energie in die Inszenierung. 

Ohne Frage ein besonderes Highlight an diesem Abend bleibt die Darbietung von Sascha Littig, dem es mit scheinbarer Mühelosigkeit gelingt, eine unglaublich nahbare, berührende Interpretation des Mitgefangenen "Abbé Faria" zu kreieren. Der Rolle kommt buchbedingt leider nur eine kurze Auftrittsdauer zu, doch dank Saschas fantastischer künstlerischer Qualitäten bleibt die kurze Sequenz des Mannes, der Edmond mit seinem Tatendrang sowie seiner Herzenswärme neuen Lebensmut schenkt, bis zum Schluss unvergessen. Mit viel Fingerspitzengefühl koloriert der Darsteller eine hoch sympathische wie authentische Fassung eines belesenen, geistreichen Mannes. Dabei vermag es der Künstler, der Figur eine besondere Tiefgründigkeit und Ehrlichkeit zu verleihen, und zugleich doch auch eine kleine, feine Prise seines komödiantischen Talents einzustreuen, sodass aus der schauspielerischen Finesse ein farbiger Charakter erwächst, dessen Enthusiasmus man sich nicht entziehen kann. Veredelt wird der Auftritt von einer gesanglichen Fulminanz. Mit seiner wunderbar warmen Stimmfarbe fällt es Sascha nicht schwer, den gesanglichen Ansprüchen des Stücks gerecht zu werden und einen musikalischen Genuss zu kreieren.


Nicht nur Fernand Mondego ist Edmonds Glück ein Dorn im Auge, auch der "Baron Danglars" und der Richter "Gérard von Villefort" kämpfen mit harten Bandagen und verlassen zu ihrem eigenen Vorteil ebenso ganz gerne einmal den Weg der Gerechtigkeit. Verkörpert werden beide Figuren mit handwerklicher Präzision von Oliver Hennes und Steffen Neutze. Vor allem mit Blick auf die Figur des Gérard würde man sich wirklich wünschen, das Buch würde noch mehr Raum für seine Figur geben, denn Steffen Neutze scheint mit seiner Präsenz  die Blicke der Zuschauer beinahe magnetisch anzuziehen und beeindruckt durch kleine und zugleich unglaublich wirkungsvolle Nuancen in Gestik und Mimik. Zudem glänzt der Künstler mit seiner lyrisch gefärbten, ummantelnden Stimme, die nicht nur musikalische Akzente setzt, sondern den Tönen zugleich ein besonderes Timbre schenkt. Doch auch mit Oliver Hennes konnte eine ideale Besetzung für die Rolle des geldhungrigen, egozentrischen Barons gewonnen werden - ein rücksichtslos agierender Charakter, dem der Darsteller hier eine sehr markante Figurenzeichnung verleiht. Mit sicherer Intonation und spielerischer Stärke komplettiert der Künstler das antagonistisch eingefärbte Trio, das ausdrucksstark verkörpert einen kernigen Gegenspieler zu der Welt des Mitgefühls und der Gerechtigkeit abbildet.

In dieser Inszenierung steht ein großes, stimmgewaltiges Ensemble auf der Bühne, das mit erkennbarer Spielfreude und Leidenschaft in das Frankreich des 19. Jahrhunderts entführt. Mit dem Opernchor sowie einem erweiterten Ensemble des "Extra-Chors" konnte eine Riege versierter Künstlerinnen und Künstler gewonnen werden, deren stimmliche Stärke es braucht, um den anspruchsvollen Kompositionen des Musicals die volle Pracht zu entlocken. Die Fülle an klassisch ausgebildeten Stimmen, die sich hier in den musikalischen Arrangements vereinen, webt einen wunderbaren Klangteppich, der sich über den gesamten Theatersaal entspannt und in aller Srimmgewalt bewegende musikalische Momente schafft. In den Rollen des jungen Pärchens "Albert von Morcerf" und "Valentine" überzeugen Anton Frederik von Mansberg und Pia Naegeli mit einem harmonischen Zusammenspiel, das die Liebe und Zuneigung der beiden Figuren zueinander offenbart und die romantische Verbindung der Charaktere - eingebettet in authentische Gefühlsexpressionen - wunderbar offenlegt. Auch Andrea Marchetti weiß seine Rolle des "Jacopo", der zu einem treuen Begleiter und Weggefährten Edmonds wird, authentisch auszufüllen und kreiert eine Figur, die es dem Zuschauer leicht macht, mit dem jungen Mann zu sympatisieren.

Die musikalische Linie Frank Wildhorns ist in ihrer Prägnanz beeindruckend wie genial und folgt dabei einer ähnlichen Architektur wie in anderen Produktionen, die die Handschrift des Komponisten tragen. Charakteristisch für seine musikalischen Arrangements ist definitiv eine klangliche Opulenz, die sich gerade in dem Musical "Der Graf von Monte Christo" exzellent widerspiegelt. Anders als in so manch anderer Produktion steuert die musikalische Linie hier nicht auf ausgewählte Höhepunkte hin, sondern reiht eine große Melodie an die nächste. Da bleibt kaum Zeit zum Durchatmen, denn beinahe jede Nummer steuert auf ihren eigenen Klimax zu und ist als kleines musikalisches Feuerwerk komponiert, im Rahmen dessen einerseits die Gefühle der Figuren hervorragend transportiert werden können und andererseits viel Raum für den einzelnen Künstler bleibt, seine gesangliche Variabilität und stimmliche Stärke zu präsentieren. Filigrane Duette reihen sich an ausdrucksstarke Soli und auch die ein oder andere schwungvolle Ensemblenummer darf natürlich nicht fehlen, um ein möglichst klangvolles und in dieser Inszenierung wirklich sehr stimmstarkes Gesamtwerk aufleben zu lassen. 
Besonders positiv fällt dabei für den geneigten Hörer der satte Klang der Lüneburger Symphoniker auf, die den starken musikalischen Arrangements genau das richtige klangvolle Fundament bereiten, um die Schönheit der einzelnen Kompositionen in voller Kraft erstrahlen zu lassen. Einziger Wermutstropfen bleibt hierbei an diesem Abend lediglich eine nicht ganz austarierte Tonabmischung, die zwar den orchestralen Klang ausgezeichnet hervorhebt, dabei jedoch in den ersten Szenen ein Textverständnis erschwert, da der Gesang dank nicht hundertprozentig ausgefeilter Technik anfänglich droht unterzugehen. Doch im Laufe der Vorstellung pendelt sich die Abmischung dann punktgenau ein, sodass der Zuschauer nach einigen Szenen in den vollen Genuss eines Zusammenspiels aus stimmlicher und orchestraler Brillanz kommt.

Als weiterer Geniestreich dieser Inszenierung erweist sich definitiv das schlichte und zugleich akribisch ausgefeilte Bühnenbild, welches es mit teils ganz simplen Kniffen vermag, plastische Bilder heraufzubeschwören und den Zuschauer an die unterschiedlichsten Orte zwischen glänzendem Ballsaal und modrigem Gefängnis zu entführen. In der szenischen Umsetzung wurde großer Wert auf eine visuelle Rahmung des Geschehens gelegt, welche sich in ihrem Ideenreichtum als äußerst wirkungsvoll entpuppt und dem Stück eine optische Ästhetik verleiht. Bereits die Eröffnung der Vorstellung sorgt auf visueller Ebene für den ersten Gänsehautmoment, als zwei gealterte, von der Zeit sowie dem tragischen Schicksal gezeichnete, zukünftige Versionen der Protagonisten die Bühne betreten und durch ein symbolisch aufgeladenes, überdimensionales Uhrenpendel voneinander getrennt werden. In düsterer, Unheil verkündender Kulisse kommt der Eröffnungsszene dabei beinahe etwas Epochales zu.
Weiterhin verleiht vor allem das Spiel zwischen Dunkelheit und kleinen Momenten des Lichts - wie es das Publikum an Edmonds Seite in den Tiefen des Gefängnisses erfährt - der Inszenierung eine besondere Ausdrucksstärke und visualisiert gekonnt den die gesamte Handlung prägenden Kampf zwischen dem Licht der Menschlichkeit und der Dunkelheit von Niedertracht und Verrat.

Mit der Musicalproduktion "Der Graf von Monte Christo" erlebt der Zuschauer am Theater Lüneburg eine in jeglicher Hinsicht hochwertige Umsetzung eines verdichteten Stoffes, die durch visuellen Ideenreichtum sowie akustische Vortrefflichkeit zu glänzen vermag. An der Seite von charakterstarken Figuren zieht es den Theaterbesucher in die dunkle Vergangenheit, wo nichts ist, wie es zunächst zu sein scheint. Das Publikum erwarten hier nicht nur auf physischer Ebene beeindruckende Fechtchoreografien, nein, das dargebotene Duell wird vielmehr zu einem Symbol, das die gesamte Handlung durchzieht. Hier treffen Gegensätze aufeinander, die im antithetischen Kampf manchmal miteinander zu verschmelzen drohen - ein Kampf zwischen Gerechtigkeit und Niedertracht, zwischen Herzensgüte und Rache, zwischen Liebe und Leid. 
Die Geschichte rund um den schicksalhaften Weg des Edmond Dantès konnte bereits in vielerlei Hinsicht rezipiert werden, doch selten hat eine inszenatorische Umsetzung mit solch einer künstlerischen Kraft und Genialität das Tor zu nahbaren Charakteren im Kontext tragischer Verwicklungen und bewegender Verbindungen geöffnet. Hoch atmosphärisch findet in Lüneburg ein Musical seinen Weg auf die Bretter, die die Welt bedeuten, dem insbesondere ein fantastisches Ensemble, das sich gesanglich wie schauspielerisch als rundum versiert erweist, jegliche Pracht entlockt. Tosender Applaus, der gar kein Ende nehmen will, ist die äquivalente Antwort auf eine spektakuläre Inszenierung, die sich in Balance zwischen ausgezeichnetem Handwerk und emotionaler Kraft als wahres Juwel der Theaterlandschaft entpuppt. 

Fotos: (c) Theater Lüneburg/Andreas Tamme

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