Zu Gast in der 10b - viel Spaß bei Komödieh und Tragödieh

Wer kennt ihn nicht, den wohl beliebtesten Jugendfilm aller Zeiten "Fack ju Göhte"?! Als vor ca. fünf Jahren dieser Filmhit die Kinosäle füllte, konnte wohl noch niemand ahnen, dass im Jahr 2018 der beliebte Herr Müller im Münchener Werksviertel noch einmal ganz neu zum Leben erweckt wird. Im Werk7 -Theater werden die Wünsche nach dem wohl coolsten Lehrer überhaupt Wirklichkeit. Anfang des Jahres hat Stage Entertainment sich - zum Erstaunen vieler Musicalfans - mit der Bühnenfassung der Filmsensation an ein ganz großes Experiment gewagt. Die Nachricht dieser eher ungewöhnlichen Musicalidee sorgte nicht zuletzt auch dank des unvergleichlichen Theaters, welches einer Turnhalle gleicht, für große Skepsis. Ist es möglich, einen solchen Film für eine Musicalbühne aufzubereiten und muss man überhaupt aus jedem Filmhit eine Bühnenversion entwickeln? In diesem Fall lautet die Antwort ganz klar: Auf jeden Fall! Wenn Stage dieses Risiko nicht eingegangen wäre, wäre die deutsche Musicallandschaft heute um ein Highlight ärmer. Hier wurde eine Kreativität, die dieses Genre ohnehin ausmacht, vollends ausgeschöpft. Bei dieser Show steht kein explosives hochmodernes Bühnenbild mit den neuesten Lichteffekten im Vordergrund, hier wird echte "handgemachte" Kunst auf die Bretter, die die Welt bedeuten, gebracht. "Fack ju Göhte" ist der Beweis dafür, dass in einem Musicaltheater so ziemlich alles möglich ist. Wer nach dem Besuch des Kinofilms bereits von der Begeisterung gepackt war und sich dachte: "Das war das "Geilste", was ich jemals in meinem Leben erleben durfte", der wird im Münchener Werksviertel ein wahres Wunder erleben -denn, was diese großartige Cast hier allabendlich auf die Bühne zaubert, stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten!


Max Hemmersdorfer steht aktuell als "Zeki Müller" auf der Bühne des Werk7 -Theaters  und beweist jeden Tag aufs Neue, warum er es mehr als verdient hat, in die großen Fußstapfen von Elyas M'Barek zu treten. Die Rolle ist ihm wie auf den Leib geschnitten und er beweist neben seinem komödiantischen Talent auch sein großes Gespür für all die Facetten der Rolle. Nachdem er über knapp drei Stunden hinweg mit seinem großartigen Schauspiel und seiner merklichen Spielfreude den Zuschauern ein breites Grinsen ins Gesicht gezaubert hat, gelingt es ihm mit Leichtigkeit, auch die zunächst verborgenen sanften Seiten Zekis mit seinem Song "Wegen dir" hervorzukitzeln. 

Johanna Spantzel ist mit ihrer Interpretation der "Lisi Schnabelstett" definitiv eines der Highlights in der Vorstellung. Kaum zu glauben, welches Comedytalent in einer Frau steckt, die ebenso wie ihr Bühnenpartner auch die eigentlichen Hintergründe der Figur keineswegs aus dem Auge verliert. Innerhalb der Rolle erlebt die Darstellerin eine große Wandlung von einer grauen Maus, die von keinem der Schüler akzeptiert wird, zu einer Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht und sich den gesamten Respekt ihrer Schüler erkämpft hat. Gemeinsam mit Max bildet sie meiner Meinung nach definitiv eines der harmonischsten Bühnenpaare auf Deutschlands Musicalmarkt. 


Frau Gerster wird von Elisabeth Ebner verkörpert, die ihre große Aufgabe mit Bravour meistert und sich mit ihrem Humor und ihrer herrlich lockeren Art in die Herzen der Zuschauer spielt. Nicht nur bei ihrem großen Auftritt "Asapissimo" glänzt sie mit ihrer bewundernswerten Bühnenpräsenz und bringt den Saal förmlich zum Beben. Mimik, Gestik und Körperspannung unterstreichen den dominanten und zynischen Charakter der Direktorin perfekt. 

Friedrich Lukas Sandmann begeistert das Publikum in der Rolle des ADHS- kranken "Danger", der in drei Stunden Spaß pur nicht nur lernt, wie man seine Aggressionen abbaut, sondern auch, was eigentlich wahre Liebe bedeutet. Lukas merkt man von der ersten Minute an, welche Freude ihm die Entwicklung des Charakters bringt und wie viel Energie er in dieser Rolle auf die Bühne bringen kann. Egal, ob beim Rappen, Singen oder Bewegen, in jeder seiner Szenen kann der junge Darsteller sein großes Talent unter Beweis stellen und mit seiner Spielfreude das Publikum mitreißen.

In der Rolle der "Chantal" durfte ich bei meinem letzten Besuch Jessica Rühle erleben, die der Erstbesetzung Rebekka Corcodel in nichts nachsteht. Ganz im Gegenteil! Jessica bringt ihre ganz eigene Darstellung der Schülerin auf die Bühne und verliert trotz des oberflächlich wirkenden Charakters, den sie großartig mit ihrer aufgesetzten Stimme und Mimik zum Ausdruck bringt, nie den eigentlichen Background, der hinter dem Verhalten der Rolle steckt, aus den Augen. Gekonnt verbindet Jessica typische Klischees der heutigen Gesellschaft mit ihren eigenen Ideen und formt so die Rolle der Chantal, die von der Schauspielerin Jella Hasse geprägt wurde, noch einmal ganz neu und individuell.
Gemeinsam mit ihrer Spielpartnerin Susi Studentkovski, die in der Rolle der "Zeynep" sowohl mit ihrem aufgesetzten Schauspiel als auch mit einer sehr sicheren Stimme geglänzt hat, haben die beiden Darstellerinnen das Klischee der oberflächlichen, konsumorientierten Girlies zu hundert Prozent erfüllt.


Die Rolle des "Burak" wird von Anthony Curtis Curby verkörpert, der nicht nur optisch die perfekte Besetzung für diese Rolle abgibt. Er scheint den Charakter auf der Bühne nicht nur zu spielen, sondern wirklich von Kopf bis Fuß auszuleben. Immer wieder sucht der sympathische Darsteller den Kontakt zum Publikum und bringt so den aggressiven und eigentlich eher schroffen Charakter des "Burak" dem Publikum letztlich sehr nah, wobei sich offenbart, dass hinter jeder rauen Schale ein weicher Kern steckt.

"Laura Schnabelstett" und "Jerome", die eine Art Gegengewicht zu den anderen "aufmüpfigen" Schülern der 10b bilden, werden von Sandra Leitner und Robin Cadet gespielt. Beide können mit einem außergewöhnlichen Schauspieltalent ihre Zuschauer begeistern und ihre ganz eigene kleine Geschichte erzählen. Sowohl Sandra als auch Robin blühen in ihrer jeweiligen Rolle völlig auf und können so ihre besonderen Stärken zum Ausdruck bringen. Während sich bei Sandra besonders in dem Lied "Weg von hier" erkennen lässt, welche sicher geführte und kräftige Stimme in ihr steckt, kann Robin neben seinem tänzerischen Talent auch mit einem exzellenten Gespür für den Witz und die Parodie seiner Figur begeistern.

Jennifer Siemann sorgt mit ihrer humorvollen Darstellung der Prostituierten "Charlie" für so manchen Lacher während der Vorstellung und kann besonders mit ihrer gespielten Oberflächlichkeit und dem engen Augenkontakt zum Zuschauer die Besucher mitreißen. Vor allem mit dem Song "Zeig uns, was du hast" kann die Darstellerin nicht nur unter Beweis stellen, dass sie schauspielerisch die optimale Besetzung für diese Rolle ist, auch gesanglich kann Jennifer mit einer kräftigen Stimme glänzen.


Doch, was wäre die Produktion ohne ein fantastisches Ensemble, welches von der ersten Minute an Vollgas gibt und den Abend erst unvergesslich macht?! Besonders dieses Stück lebt von großartigen Ensemblemitgliedern, die sich während der Vorstellung in Windeseile von einer Rolle in die nächste verwandeln und so blitzschnell neue Charaktere kreieren. Eben noch der dümmlich wirkende "Paco", nun schon der geldhunrige "Attila" und in der nächsten Minute plötzlich der alte Theaterlehrer "Herr Gundlach". Doch nicht nur schauspielerisch hat das Musical so manche Herausforderung für die Cast in petto, auch in Sachen Choreografie verlangt die energiegeladene Show den Darstellern so einiges ab. Ohne ein solch spielfreudiges und sehr harmonisches Ensemble wäre es überhaupt nicht möglich gewesen, all die kleineren, aber sehr wichtigen und nicht zuletzt wahnsinnig witzigen Rollen darzustellen und damit wäre dem Publikum eine Fülle an sensationellen Comedy - Elementen entgangen. Ein riesengroßes Kompliment an Elena Zvirbulis, Enrico Treuse, Niklas Brunner, Kevin Reichmann, Kevin Schmid, Jessy Lapp, Kiara Brunken, Silvio Römer, Stephanie Steffens und all die anderen Chaoten der 10b, die das Nachsitzen in der Goethe - Gesamtschule unvergesslich machen.

Die gesamte Show steckt voller Witz, Schwung und Spaß pur. Alle wichtigen Szenen und Zitate des Films wurden auch für das Musical übernommen, sodass jeder "Fack ju Göhte" - Fan definitiv auf seine Kosten kommen wird. Dennoch ist dem Team ein eigenständiges Produkt gelungen, das auch gewisse Unterschiede und Ausarbeitungen zum Film feststellen lässt und von der mitreißenden Musik, die die verschiedenen Farben des Stücks unterstützt, getragen wird. Hier ist es  nicht das Ziel, den Erfolg des Films zu kopieren, hier geht es darum, ein Live - Erlebnis auf die Beine zu stellen, welches von seinem eigenen Konzept lebt.


Die Idee, eine ganz neue Bedeutung des Wortes "Musical" auf die Bühne zu bringen, ist im Werk7-Theater meisterhaft gelungen. Egal, wie groß die Skepsis der Zuschauer auch zu Beginn der Vorstellung sein mag, spätestens beim Finale tobt die Schule - äh, der Saal - bis in die letzte Schulbank und ein jeder Kritiker muss sich eingestehen, dass hier auf besondere Art und Weise eine ganz neue Dimension von Musiktheater geschaffen wurde. Nein, es ist kein glitzerndes Disney - Musical. Nein, es gibt keine prachtvollen, schillernden Kostüme und Special -Effects."Fack ju Göhte" ist einfach eine Show, die von der Kunst der Darsteller, der Einbindung des Publikums, dem Ideenreichtum des Kreativ - Teams und vor allem dem Herz, welches auf allen Ebenen in diese Inszenierung gesteckt worden ist, lebt.


Die Tatsache, dass dieser Vorreiter für eine ganz neue Interpretation des Genres Musical München bereits in einem Monat schon wieder verlassen muss, ist ein starker Verlust für den deutschen Musicalmarkt. Ich kann nur noch einmal ganz klar betonen, wer die Chance nicht nutzt, sich seiner Skepsis unterwirft und nicht einmal seine Vorurteile ablegt, der wird eine riesige Musicalsensation, die sowohl zu Lachkrämpfen als auch zu Tränchen rührt, verpassen. Fasst euch ein Herz, besucht diese völlig verrückte Schule im Werksviertel und lasst euch von Zeki, Lisi, Chantal und Co begeistern. Es war ein "Sprung ins kalte Wasser", eine derartige Show aus dem Boden zu stampfen, aber der Plan ist mehr als aufgegangen. Also, schnappt euch "asapissimo" eure Schulsachen und erlebt gemeinsam mit der 10b und dem definitiv coolsten Aushilfslehrer der Welt ein einzigartiges Abenteuer in Münchens kunterbunter Schule. 

(c) Stage Entertainment 

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