Begegnung mit Miss Saigon - große Gefühle im Musicaldome

19 lange Jahre war die dramatische Liebesgeschichte des amerikanischen GI Chris und der jungen Vietnamesin Kim von der deutschen Bühne verschwunden. 19 Jahre ertönte die von Claude - Michel Schönberg komponierte Musik in keinem Theater Deutschlands, doch nun, fast zwei Jahrzehnte später, kehrt "Miss Saigon" für anderthalb Monate nach Deutschland zurück. Am 22. Januar feierte die englischsprachige Tour ihr Deutschland - Debüt im Musicaldome, wo das Kölner Publikum sich bis zum 3. März gemeinsam mit den Charakteren auf eine Reise in vergangene Zeiten, eine Reise in fremde Kulturen, eine Reise in ein Stückchen Geschichte begeben kann.

Das Musical erzählt die herzzerreißende Geschichte der jungen Kim, die ihre Eltern im Krieg verloren hat und sich nun mit Jobs in zwielichtigen Etablissements versucht, über Wasser zu halten. Eines Abends lernt sie dort den amerikanischen Soldaten Chris kennen, der aktuell in Vietnam stationiert ist. Beide fühlen sich, trotz der Angst vor den eigenen Gefühlen, schnell zueinander hingezogen und so lernen Chris und Kim in einer eigentlich gekauften Liebesnacht die Bedeutung wahrer Liebe kennen. Doch das scheinbare Glück des jungen Paares währt nicht lange, denn der Krieg tobt unerbittlich in Saigon und reißt die Beiden auf dem geplanten Weg nach Amerika auseinander... Chris reist alleine zurück in seine Heimat, während Kim in Vietnam zurückbleibt...
Auch Jahre nach dieser schmerzhaften Trennung plagen Kim immer noch ihre Gefühle und Erinnerungen an die gemeinsame Zeit. Sie ist sich sicher, dass Chris eines Tages zurückkehren wird. Diese unerschütterliche Hoffnung und die Liebe zu Sohn Tam, der Kim aus der gemeinsamen Nacht geblieben ist, sind alles, was die junge Frau noch veranlasst weiter zu kämpfen. Für das Wohl ihres Jungen würde die junge Frau alles riskieren, auch ihr eigenes Leben. Eines Tages gelingt ihr mit Hilfe des Engineers die lang ersehnte Flucht nach Bangkok, wo sich nach drei langen Jahren die Wege Kims und Chris endlich wieder kreuzen. Jedoch trügt das langersehnte Glück abermals, konnte Kim doch nicht ahnen, dass, während sie ihr gesamtes Leben nur auf diesen einen Augenblick gerichtet hat, ihre große Liebe, trotz der noch bestehenden Gefühle, bereits ein neues Leben mit seiner Ehefrau Ellen aufgebaut hat. Kims Träume von der großen Liebe und einem Neuanfang für ihren Sohn in den Vereinigten Staaten scheinen mit einem Mal vor ihren Augen zu zerplatzen...

(c) Johan Persson

Die Geschichte des Musicals ist nicht nur sehr komplex, da sie auf historischen Stützpunkten beruht, sondern beinhaltet auch emotional eine ständige Achterbahnfahrt der Gefühle. Die Inszenierung stellt den Künstlern, die sich dieser Aufgabe stellen, immer wieder große Herausforderungen, die bei dieser Produktion jedoch von einer mehr als brillianten Cast scheinbar mit absoluter Leichtigkeit gelöst werden. Selten wurde bei einer Show ein solches Händchen für die passende Besetzung der vielschichtigen Charaktere bewiesen. 

Sooha Kim steht allabendlich in der Rolle der Vietnamesin "Kim" auf der Bühne und verzaubert ihr Publikum mit ihrer unbedarften und ehrlichen Art, diese komplexe Figur zu spielen. Von Anfang an zeigt die Darstellerin in jeglicher Gesangspassage absolute Sicherheit und lässt mit ihrer teils zerbrechlichen und gleichzeitig stimmgewaltigen Darbietung musikalische Träume wahr werden. Auch schauspielerisch entpuppt sich die junge Koreanerin als Idealbesetzung, da sie die Geschichte mit einer solchen Hingabe in all ihren Stationen durchlebt, ihre gesamten Emotionen in jede einzelne Szene legt und so die Gefühlslage der verzweifelten Kim dem Publikum transparent übermittelt. Ihre Darstellung kommt direkt aus dem Herzen und wirkt daher oftmals so realistisch, dass das Publikum von der Geschichte über drei Stunden hinweg völlig gefangen ist. Besonders deutlich arbeitet die Künstlerin die Entwicklung ihrer Rolle heraus, von einem jungen, naiven Mädchen hin zu einer liebenden und starken Mutter, die alles für ihren Sohn opfern würde.

Ashley Gilmour verkörpert aktuell die Rolle des amerikanischen Soldaten "Chris", der immer wieder von seinen alten Gefühlen eingeholt wird und so über mehrere Jahre hinweg in einer absoluten Zerrissenheit zwischen Vergangenheit und Gegenwart leben muss. Genau dieses Chaos der Gefühle und den Zwispalt zwischen seinen Erinnerungen an die Zeit in Vietnam und dem Neuanfang in den USA lässt Ashley dank seines Fingerspitzengefühles für den Charakter und den emotionalen Ausnahmezustand, in dem sich der Soldat nach seiner Rückkehr nach Amerika befunden haben muss, authentisch aufleben. Alleine bei dem Gadanken an das Zusammenspiel des jungen Paares huscht mir eine Gänsehaut über den Rücken, denn Sooha und Ashley haben gemeinsam unzählige zauberhafte Momente geschaffen.

(c) Johan Persson

In der Rolle des "Engineer" durfte ich den großartigen Christian Rey Marbella bestaunen, der für diese Rolle erschaffen worden zu sein scheint. Mit seiner Verbindung von Humor und Ernsthaftigkeit führt er die Zuschauer durch den Abend und erntet für sein Talent, aus jeder Szene das absolute  Maximum zu holen und so ein Highlight nach dem anderen zu kreieren, mehr als verdient einen tosenden Applaus, der gar nicht mehr enden will. Christian gelingt es, in das von Tragik und Schmerz durchzogene Werk immer wieder ein angebrachtes Maß an Witz und Energie zu bringen, das den Abend gekonnt auflockert.

Elana Martin begeistert als Chris Ehefrau "Ellen", die aus bedingungsloser Liebe zu ihrem Mann diesen in seinem Chaos der Gefühle immer wieder aufs Neue auffängt und der Beziehung somit die nötige Stärke verleiht. Den Spagat zwischen der inneren Verzweiflung, Chris nicht helfen zu können und der äußeren fundamentalen Stärke präsentiert Elana sehr glaubwürdig und bringt somit eine für ihre Zeit sehr fortschrittliche Frau auf die Bühne, die aus purer Liebe jeden noch so schweren Schritt gemeinsam mit ihrem Mann geht.

Chris bester Freund und Kollege "John" wird von Ryan O' Gorman verkörpert, der für seinen Freund ebenso wie Ehefrau Ellen eine wichtige Stütze darstellt. Neben einer bewundernswerten Ruhe, die er oftmals in seiner Rolle ausstrahlt, kann Ryan in seinem Titel "Bui-Doi" auch mit einer sehr warmen und zugleich kräftigen Stimme glänzen.

Gerald Santos steht als Kims Cousin "Thuy" auf der Bühne, dem Kim als kleines Kind von den Eltern versprochen wurde. Authentisch bringt der Darsteller den selbstsüchtigen und skrupellosen Charakter auf die Bühne, der für sein eigenes Glück auch über Leichen gehen würde. Gerald gelingt es wahnsinnig gut, die Figur mit einer menschlichen Kälte und Unberechenbarkeit zu füllen und dem Publikum so zu ermöglichen, schnell eine Antipathie gegen den Offizier zu entwickeln. 

(c) Johan Persson

Vor dieser Cast kann man wirklich nur den Hut ziehen, denn das, was aktuell dem Kölner Publikum präsentiert wird, ist eigentlich nicht in Worte zu fassen, besonders, wenn man bedenkt, wie viele Darsteller an diesem Ergebnis beteiligt sind, denn neben den bereits erwähnten Hauptdarstellern wird das Theater auch von einem gewaltigen Ensemble ausgefüllt. In jeglicher Choreografie ist eine punktgenaue Synchronität zu erkennen, jedem Lied wird ein Stückchen Magie verliehen und jede Facette der Rollen wird mit schauspielerischer Perfektion, geleitet von tiefen, ehrlichen Emotionen, verkörpert. Solch eine Meisterleistung auf ganzer Linie raubt einem einfach den Atem.

Doch nicht nur die Cast brilliert mit einer unvorstellbaren Qualität, auch in puncto Kulissen werden jegliche Vorstellungen übertroffen. Detailreiche Kulissen entführen die Zuschauer in fremde Kulturen und ermöglichen eine Reise durch Asien und Amerika. Da die Requisiten perfekt an die jeweilige Zeit und Umgebung angepasst sind, wird es dem Publikum erleichtert, zeitlichen sowie regionalen Sprüngen zu folgen. Doch nicht nur die Liebe zum Detail ist bei dieser Produktion hervorzuheben, nein, auch und vor allem die Dimensionen des Bühnenbildes müssen an dieser Stelle betont werden. Fragt man sich zu Beginn noch, wie bloß dieses Stück Geschichte visuell auf die Bühne gebracht werden soll, so wird schnell deutlich, wie gut sich eine solche historische Begebenheit doch bildlich umsetzten lässt, wenn man den Fokus nicht nur auf das Notwendigste legt, sondern angedeutete Bilder mit viel Kreativität und kostenintensiven Ideen noch verfeinert. Wie nicht nur im Schauspiel der Künstler, sondern auch in der Wahl der Kulissen und Kostüme sichtbar wird, hat sich diese Inszenierung zum Ziel gesetzt, eine möglichst realitätsnahe und authentische Umsetzung zu entwickeln. Eine überdimensionale Büste des Machthaber Vietnams, ein gewaltiger Drache, eine riesige Freiheitsstatue - hier wird an keiner Ecke auch nur ansatzweise versucht zu sparen. Wenn dann schließlich auch noch ein aufwendig gestalteter, drei Tonnen schwerer Hubschrauber mit tosendem Lärm und grellen Scheinwerfern auf der Bühne landet, staunt auch der letzte Zuschauer mit einem fassungslosen Blick und einem offenstehenden Mund, mit welchen Maßstäben hier gearbeitet wird. Ergänzt werden die Kulissenelemente von einem fantastisch durchdachten Lichtkonzept und diversen Projektionen, die beispielsweise mit Fotos das Schicksal der Menschen, die dieses unvorstellbare Leid tatsächlich durchleben mussten, ganz natürlich in die Inszenierung einflechten und so die Grenze zwischen Theaterwelt und Realität verschwimmen lassen.

(c) Johan Persson

Musikalisch hält das Stück so manchen Gänsehaut - Moment bereit und verführt mit kraftvollen Liebesduetten und emotionalen Soli. Die Musik ist durchaus komplex, geht jedoch direkt ins Herz und schreit danach,  immer wieder gehört zu werden. Neben zahlreichen herzerwärmenden Liebesballaden, bringen vor allem die Songs des Engineers, wie beispielsweise "The American Dream" einen gewissen Schwung in die Produktion ohne dabei zu vergessen, welche Botschaft eigentlich hinter dem Lied steht.
 
Bitte, bitte, nutzt eure Chance und lasst euch dieses Meisterwerk auf gar keinen Fall entgehen. Diese Show ist definitv eines der beeindruckensten und prägensten Werke, das ich jemals erleben durfte und auch einige Tage nach meinem Besuch im Musicaldome ist es wirklich schwierig, das Erlebte und vor allem die damit verbundenen Gefühle in Worte zu fassen. Ihr müsst euch die Produktion auf jeden Fall mit eigenen Augen ansehen und den Zauber des Musicals am eigenen Leib spüren. Ein emotionaler Höhpunkt reiht sich an den nächsten und ermöglicht dem Zuschauer so eine einzigartig gefühlvolle Reise, die Kuluturen, ja, die Menschen verbindet. Andere, eigentlich weit entfernt scheinende Schicksale erscheinen plötzlich so nah und berühren tausende Menschen unabhängig von Nationalität, Hautfarbe, Religion oder Geschlecht. Einmal mehr kann man nur sagen: Musical verbindet!  


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