Magische Antworten aus dem Kirschbaumweg - Im Gespräch mit Julia Lißel

Julia Lißel erhielt ihr Diplom im Bereich Musical an der Folkwang Universität der Künste in Essen und absolvierte zudem ein ergänzendes Studium an der Royal Academy of Music in London. Anschließend war die Künstlerin in diversen erfolgreichen Produktionen zu erleben, wie beispielsweise "Sister Act", "Sunst Boulevard", "Les Misérables" und "Jesus Christ Superstar". In Leipzig stand sie nicht nur in "Jekyll and Hyde" auf der Bühne, sondern begeisterte auch in der Inszenierung "Doktor Schwiago". Aktuell ist Julia im Disney - Musical "Mary Poppins" zu erleben, wo sie seit März 2018 die Erstbesetzung der "Winifred" verkörpert. Netterweise hat sich Julia die Zeit genommen, sich meinen Fragen zu stellen und euch in den folgenden Antworten einen kleinen Einblick in ihren bisherigen Weg auf und hinter der Bühne zu ermöglichen...

Wann stand  für dich fest, dass du im Genre „Musical“ tätig sein möchtest?

Als ich in meiner Heimatstadt im Gießener Stadttheater noch vor meinem Abitur die Rolle der "Mistress" in "Evita" verkörpern durfte.

Du standest bereits in vielen verschiedenen Produktionen auf der Bühne. Welche deiner bisherigen Rollen hat dabei für dich die größte Herausforderung dargestellt und welche Rolle hat dich am meisten geprägt?

Die herausforderndste Rolle war ohne Zweifel "Margaret Johnson" aus dem Musical "The Light in the Piazza", die ich während meines Masters in London 2016 an der Royal Academy of Music spielen durfte. Margaret hat mich sehr geprägt, da ich in eine so emotional vielschichtige Welt vorgedrungen bin und diese Rolle eine unglaubliche Entwicklung durchmacht und so viele Farben hat. Tiefgründig und humorvoll, verbunden mit unglaublich schöner Musik hat sie mich als Künstlerin und als Mensch tief berührt und ich habe bisher in jede Produktion etwas aus dieser Arbeit mitnehmen können.

Aktuell verkörperst du die Rolle der „Winifred Banks“ im Disney – Musical „Mary Poppins“ im Stage Theater an der Elbe. Die Filmvorlage entstand bereits im Jahre 1964. Was macht diese Show deiner Meinung nach auch heute noch aktuell und verleiht ihr den besonderen Zauber?

Es ist die Geschichte einer Familie, die durch verschiedene Umstände, wie u.a. Arbeit, Alltag, Erwartungshaltungen, gesellschaftlichen Druck und Geldsorgen ihren Zusammenhalt und ihre wahre Funktion als Familie verloren hat. Themen wie Respekt, Achtsamkeit, Wertschätzung, Geduld, Liebe und Freiheit werden durch 'Mary Poppins' wieder im Kern gelebt. Alles Themen, die zeitlos sind und die jedem von uns auch heute immer wieder begegnen. Der Zauber ist meiner Meinung nach die Art und Weise,  wie die Handlung erzählt wird. Die Kombination aus einer bewegenden Geschichte, toller Musik und mitreißenden Choreographien macht sie so besonders und magisch.

Wie würdest du die Rolle der „Winifred“ beschreiben und welche Gemeinsamkeiten hast du persönlich mit diesem Charakter? 

"Winifred"  ist für ihre Zeit eine sehr modern denkende Frau, die ihre Kinder am liebsten selber erziehen möchte und in "George" nicht nur den Ernährer der Familie, sondern einen Partner auf Augenhöhe sieht. Sie ist unglaublich warmherzig, humorvoll und hat viel Temperament. Und sie ist ein „Sprechdenker“. Damit meine ich, dass sie denkt, indem sie die Dinge ausspricht, was manchmal unfreiwillig komisch ist. Ich denke, ich finde mich in allem ein bisschen wieder. Unfreiwillig komisch bin ich laut meiner Freunde und Familie allerdings sehr oft :)

Wie beispielsweise die Inszenierung „Sister Act“, in welcher du ebenfalls in der Vergangenheit zu erleben warst, basiert auch „Mary Poppins“ auf einer Filmvorlage. Wie groß empfindest du die Herausforderung, derartigen Rollen, mit welchen die Zuschauer aufgrund des Originals bereits Bilder assoziieren, eine eigene Note zu verleihen?

Natürlich ist es immer eine Aufgabe, seinen eigenen Weg mit einer Rolle zu finden. Aber auch der einzig Wahre. Ich denke, die Herausforderung ist immer da, egal welche Rolle man spielt. Man hat vorgegebenes Material, Texte und Musik, befindet sich in einer bestimmten Zeit und in einer konkreten Situation und diese Vorlage muss man dann mit seiner ganz individuellen Qualität, seiner Stimme, seinem Körper und seiner Energie füllen. 

Hast du ein Lieblingslied oder einen Lieblingsmoment in diesem magischen Musical?

Ich liebe die Nummer "Schritt für Schritt", auch wenn ich dabei gar nicht auf der Bühne bin ;) Sie ist unglaublich toll aufgebaut und sprüht vor Energie. Ein sehr bewegender Moment ist für mich immer die Szene, in der die Kinder "George" ihr angespartes Geld schenken und man "George" ansieht, wie ihn das rührt.


Hast du eine Traumrolle, die du in Zukunft unbedingt einmal spielen möchtest? 

"Dot" aus Stephen Sondheims "Sunday in the park with George" .

Welchen Beruf hättest du ergriffen, wenn du heute nicht auf der Bühne stehen würdest?

Ich denke, mein Weg hätte mich in die ganzheitliche Heilarbeit geführt. In jedem Fall wäre es ein Beruf, in dem ich mit Menschen zu tun habe. 

Dein Beruf selbst ist ja wahnsinnig herausfordernd und körperlich kostet er sehr viel Kraft. Hast du einen Ausgleich oder wie motivierst du dich täglich? 

Ich habe für mich herausgefunden, dass die tägliche Arbeit an mir selber immer der Weg zu einem ausgeglichenen und energiegeladenen Wohlbefinden ist. Körperlich mache ich viel Yoga und auch Fitness. Für meinen Geist ist Meditation ein wunderbares Tool. In unserem Beruf sind wir ja sehr viel im Außen, da ist der Blick nach innen enorm wichtig. Ich liebe die Natur, da tanke ich sehr schnell und effektiv auf und ich versuche mich neben meinem Beruf mit anderen Themen außer dem Theater zu beschäftigen, lese gerne, und im Sommer ist der Garten mein Ausgleich. 

Als Musicaldarstellerin musst du ja insgesamt sehr oft deinen Standort wechseln und viel reisen. Empfindest du das eher als Vor- oder Nachteil?

In jedem Fall hat es Vor- und Nachteile. Man lernt viele Orte und Menschen kennen und erweitert seinen Horizont, merkt aber auch sehr stark, wo es einen hinzieht und wo man wirklich zu Hause ist. Sicherlich hat es auch viel mit dem Lebensabschnitt zu tun, in dem man sich gerade befindet. Kurz nach der Uni ist es toll, die Welt zu entdecken. Hat man seinen Platz gefunden und eine Familie gegründet, braucht man das viele Umziehen dann nicht mehr so :) und ist dankbar, länger an einem Ort bleiben zu können. 

Du hast Dein Diplom zur Musical-Darstellerin an der Folkwang Universität der Künste erworben und hast sogar ein Stipendium erhalten. Was glaubst du, welche Voraussetzungen müssen Studieninteressierte mitbringen, wenn sie selbst einmal erfolgreich auf der Bühne stehen möchten?

Wie in jedem Bereich ist der Grundstock natürlich, dass man die künstlerischen Voraussetzungen mitbringt. Ob es nun Tanz, Gesang oder Schauspiel ist oder alle drei Sparten. Mindestens genauso wichtig ist die Bereitschaft sich immer weiterzuentwickeln, denn als Künstler ist man nie fertig. Die Kunst lebt davon, immer wieder Neues, Ungeahntes zu erschaffen und in eine Richtung zu gehen, die man nicht planen kann. Ein sehr essentieller Punkt ist außerdem, sich auf diesen Lebensstil einzulassen und damit glücklich zu sein, denn er kann einen sehr fordern. Ich persönlich glaube, dass man immer eine intrinsische Motivation braucht. Vom Applaus alleine wird man nicht glücklich.

Wie würdest du dich selbst in drei Worten beschreiben? 

Warmherzig, neugierig, offen

Was ist dein größter Wunsch für die Zukunft? 

Weiterhin tolle Erfahrungen in diesem Beruf zu machen, die mich immer fordern und auf eine neue Ebene bringen und zu gegebener Zeit mein Wissen einmal an junge Künstler weiterzugeben.

Liebe Julia, ganz herzlichen Dank für dieses offene und sehr sympathische Interview! Wir wünschen dir weiterhin eine magische Zeit im Kirschbaumweg und freuen uns auf alle weiteren Produktionen, in denen wir dich erleben werden.

       



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Große Emotionen im Sherwood Forest - Mit Robin Hood kommt eine neue Zeit des Musiktheaters

Wenn die Sehnsucht tanzen geht - Schaurig-schöne Ästhetik und düstere Fulminanz in Hamburgs Gruft

Theater kann die Welt verändern - "Der Club der toten Dichter", ein eindringliches Meisterwerk, das die Sprache des Herzens spricht