Ein Abstecher nach Oz - Im Gespräch mit Sonnenschein Martina Lechner
Also, die „kleine Damengarderobe“ saß gestern beim Italiener zusammen und wir
haben uns tatsächlich genau darüber unterhalten.
Wir haben alle im Studium die Erfahrung gemacht, dass man uns in eine bestimmte
Schublade stecken wollte – typtechnisch, aber vor allem auch fatalerweise,
dass man uns dazu bringen wollte, unsere Stimme unserem Aussehen anzupassen –
bist du etwas stärker oder größer, MUSST du ein starker Belter sein, wer klein
und zierlich ist, MUSS klassisch und Disney Balladen singen können – dabei ist
die Stimme etwas so Persönliches und Vielschichtiges wie die Künstler selbst.
Was man wirklich an sich entdecken kann, sollte man nicht von den
Vorstellungen anderer limitieren lassen. :-) Ganz wichtig!
2019 standest du in dem Musical „Aida“ in der Rolle der „Amneris“ auf der Bühne. Was war für dich die größte Herausforderung an diesem Engagement?
Ja, da sind wir auch gleich bei dem eingeimpften Punkt. In meinem Kopf war Amneris
IMMER eine große, blonde Frau. Das bin ich ja nun so gar nicht. Aber meinen
Regisseur hat das nicht interessiert. Er meinte: „Dafür sind Kostüm und Maske
da – eine schöne Frau ist eine schöne Frau – und ich brauche eine schöne Frau,
die das singen und spielen kann.“
Die größte Herausforderung war, nicht gleich schon entschuldigend und halb
verschämt in den Proben zu erscheinen, weil ich dem Bild, das ich immer von
Amneris hatte, nicht entsprach. Sich davon freizumachen und rein mit der
Essenz des Charakters zu spielen, das war eine großartige Erfahrung – und sicher
mit der Grund, warum ich in "Wicked" Cover Glinda bekommen habe. Wäre ich in meinem
alten Denkmuster stecken geblieben, hätte ich mich gar nicht erst beworben.
In den vergangenen Monaten hast du mitten in den Proben für die Hamburger Inszenierung von „Wicked“ gesteckt. Wie hat sich der Probenprozess in der momentan sehr herausfordernden Zeit gestaltet?
Ich beantworte dir diese Zeilen auf dem Weg in meinen ersten kleinen Urlaub, den ich ganz bewusst sehr knapp nach der Probenzeit gesetzt habe. Ich habe in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass ich die Belastung der Aufbauphase gerne unterschätze, und da "Wicked" eine Neuinszenierung war, und wir uns nicht ins gemachte Bett legen konnten – weder, was die bühnentechnischen Herausforderungen anbelangt, noch stimmlich (alles ist neu arrangiert), noch tänzerisch, war alles sehr intensiv und anstrengend. Dazu kam, dass wir in der Woche nach der Premiere direkt mit den Cover - Proben für unsere Alternates anfangen mussten, das heißt, wir spielen quasi seit der Premiere Doppelshows. Darum bin ich froh, jetzt erst einmal die letzten Sonnenstrahlen tanken und eine kleine Erholungsphase nach diesem Marathon einlegen zu können!
Wie hast du das erste Kennenlernen mit den neuen Kollegen erlebt und wie gefällt dir bislang die Zusammenarbeit mit der Cast?
Die Cast ist wirklich außergewöhnlich! Ich habe selten so einen ehrlichen,
bedingungslosen Support füreinander erlebt. Wir unternehmen viel, tauschen uns
aus, haben Backstage wirklich Spaß miteinander. Es ist ein wunderbarer
Mix von sehr unterschiedlichen Menschen, was das Zusammenspiel hinter und vor
allem auch auf der Bühne zu einem echten Abenteuer macht.
Hast du die Produktion in der Vergangenheit bereits gesehen und welche Erinnerungen verbindest du gegebenenfalls aufgrund vergangener Theaterbesuche mit dieser Show?
Jaaaa, "Wicked" war mein erstes Theaterstück am Westend.
Ich weiß noch, dass ich damals völlig geflasht von der Londonder Theaterkultur
neben meinem Bruder im Victoria Theatre saß, einen quietschorangen Muffin aß,
kurz bevor das Opening losging und danach einfach nur sprachlos da saß und
wusste, dass ich Musical mein Leben lang machen will.
Es ist also ein "Dreh- und Angelpunkt - Musical" in meinem Leben.
Dass wir es jetzt spielen, und auch noch als Neuinszenierung, das ist
wirklich... wicked!
„Wicked“ war bereits in der Vergangenheit eine sehr beliebte Produktion, von der sich zahlreiche Zuschauer haben begeistern lassen. Was macht deiner Meinung nach den Zauber dieses Musicals aus?
Hihi,
darüber haben wir natürlich in letzter Zeit viiiiiel gesprochen.
Zuallererst…weil es einfach die brillanteste Umsetzung eines so grundlegenden
Themas ist, die ich mir nur vorstellen kann – und, wegen der Musik! :-)
Die ist und bleibt einfach zeitlos episch! Sie berührt, reißt mit und löst beim
Hören einfach so starke Emotionen aus… vor allem das „I WILL – ICH WERDE“
musikalisch bis ins kleinste Detail in jeder Note stecken, dass man gar nicht
anders kann, als sich von diesem Gefühl des „Geh, und leb dein Leben! Geh, du
schaffst es! Trau dich! Es ist möglich!“ erfüllen zu lassen.
Zusätzlich sind in englischer Sprache die Texte und Melodien so unfassbar klug
kombiniert, dass wohl Sondheim selbst Steven Schwartz anerkennend auf die
Schulter klopfen würde. Die Melodie drückt aus, was der Text sagt. Wieder keine andere Chance, als direkt beim Hörer anzukommen. Brilliant!
Zum Zauber der Geschichte selbst :
Das Überwinden von Grenzen –
die Grenzen zwischen zwei unterschiedlichen Menschen, die Grenzen der eigenen
Fähigkeiten, die Grenzen, die wir ziehen, um etwas bewerten zu können...die Sehnsucht nach Nähe!
Nähe zu den Aspekten, die jemand anders verkörpert, die man vielleicht laut
äußerlich ablehnt, aber sich tief im Inneren wünscht. Nähe zu einem schier
unerfüllbaren Traum. Zu einem Menschen, den man still und heimlich liebt.
Der Zauber, der dem innewohnt, wenn man diese Nähe erlebt, seine Grenzen
aufgibt und sich vom Fremden inspirieren lässt, es integriert, statt es
abzulehnen.
Dieses Thema ist so fundamental greifbar für jeden Menschen, egal in welcher
Lebenslage..
Und "Wicked" findet 1000 kleine Beispiele, Metaphern und Wege, um diesen Zauber
darzustellen.
Den Zauberer von Oz hat man vielleicht gesehen und in die Schublade "Kenne
ich" gesteckt. Und alleine die Idee von "Wicked", basiert darauf, etwas, das man
bereits in eine Schublade gesteckt hat, wieder heraus zu kramen und nochmal
mit anderen Augen zu betrachten. Diese Idee steckt in jedem Liedtitel, in jedem
Dialog, in jedem Bühnenteil und Kostüm. Es ist … brillant! :-)
Wie hast du die Premiere erlebt?
Die
Premiere war wunderbar. Zwar war meine gefühlte Premiere bereits die erste
Preview – denn da war zum ersten Mal wieder Publikum dabei, und das macht einen riesigen Unterschied. Deshalb war die eigentliche Premiere, bis auf eine grandiose
Stimmung wie im sprichwörtlichen Hexenkessel, gar nicht mehr so
außergewöhnlich.
Die Feier danach hat perfekt zur Cast gepasst: Sie war nicht aufgetakelt und
besonders glamourös, sondern ein gemütliches, gechilltes Beisammensein. Man
konnte endlich mal die anderen Abteilungen ein bisschen näher kennenlernen –
weil das unter den Coronaauflagen im Theater leider sehr schwierig war/ist (alles wird streng getrennt, um evtl. Ausbrüche leichter eindämmen zu können)
und alles in allem waren wir einfach alle sehr glücklich, dass das Publikum
mit dem neuen Look dieses Epos glücklich war.
Mit
deinem Podcast „Musical
& mehr“ bringst
du deinen Zuhörern die Arbeit auf der Bühne näher und teilst gemeinsam mit
tollen Interviewgästen deine Erfahrungen. Wie hast du die Arbeit an diesem
großartigen Projekt erlebt? Was war für dich die größte Schwierigkeit an der
Umsetzung dieser Idee?
Oh, die große Schwierigkeit ist und bleibt die Zeit!
Sowohl ich als auch meine Gäste haben einfach einen vollen Terminkalender,
aber ich hoffe, dass sich doch bis zum Ende des Jahres noch zwei bis drei Folgen machen
lassen.
Ich liebe das Projekt und möchte es auf alle Fälle weiterführen.
Es ist so spannend zu sehen, warum meine Kollegen tun, was sie tun. Sich auch
von Pandemien, Umzügen, Strapazen nicht abbringen zu lassen von dem Brennen für
ihren Beruf. Ich war total überrascht zu erfahren, dass vor allem viele
angehende Darsteller den Podcast nutzen, um sich Infos über die Kollegen zu
holen, mit denen sie wahrscheinlich irgendwann zusammenarbeiten. Ich fand es
total ermutigend, dass ich junge Kollegen auf diese Weise erreichen kann.
Wie
hast du das vergangene Jahr erlebt? Hattest du in den letzten zwölf Monaten noch
einmal die Möglichkeit, auf einer Bühne zu stehen oder dich eventuell in
bestimmten Bereichen weiterzubilden?
Ich hatte sehr großes Glück. Meine Arbeitgeber waren durch die Bank sehr mutig, schnell in der Umsetzung ihrer Hygienekonzepte und kreativ in ihrem Bemühen, die Menschen nicht zu lange von Kultur abzuschneiden. Die Reaktion war durch die Bank sehr emotional. Die Freude der Menschen, Musik und Theater live zu erleben – die Energie zu spüren, ihrer eigenen Fantasie beim Arbeiten zusehen zu können. Deshalb konnte ich auch in der Zeit der Pandemie arbeiten. Und wenn ich nicht gearbeitet habe, habe ich jedoch die Zeit genutzt, um meine Akkus wieder aufzuladen und neue Wege zu finden, mit meiner Familie und meinen Freunden zu connecten. Vielleicht nicht live, aber definitiv mit mehr Zeit und weniger Stress auf einer tieferen und intensiveren Ebene.
Welche ist deine größte Stärke und welche deine größte Schwäche?
Haha - generell oder als Darstellerin?
Ich bin leider oft ein bisschen verpeilt, definitiv tollpatschig und in meiner
Zeitplanung nicht ganz so konsequent, wie ich es gern wäre! ;-)
Meine Stärken sind in meinen Augen, dass ich sehr wach und an meinen Kollegen und
der Geschichte dahinter interessiert bin, ohne, dass es mich viel Mühe und Konzentration kostet.
Ich mache das einfach automatisch und gern. Außerdem bin ich jetzt auch schon
lange genug dabei, dass ich mich von gelegentlichen hochkochenden Gefühlen
nicht so leicht anstecken lasse und es schaffe, in solchen Situationen ruhig
und besonnen zu bleiben. Meine Kollegen meinen, das tut oft ganz gut! :-)
Hast
du in beruflicher oder persönlicher Hinsicht ein Vorbild?
Nein, tatsächlich nicht.
Also, wie mein Podcast vermuten lässt, lasse ich mich gerne von spannenden
Menschen inspirieren. Davon gibt es aber so viele und zu meinem großen Glück darf ich einige davon seit Jahren Freunde nennen, sodass es ganz unmöglich wäre, sich auf einen Menschen
zu beschränken.
Was bedeutet „Heimat“ für dich persönlich?
Alles - einfach Kraft tanken. Heimat bedeutet, Friede und Freude… und Dialekt! ;-) Das ist bei mir Zigeuner meistens mehr ein Gefühl, das Menschen auslösen, als ein Land. Aber die steirischen Berge… ja, doch, die sind schon auch Heimat!
Schnellfragerunde:
Lieblingslied aus "Wicked"? - The wizard and I
Lieblingsbuch? - Die Bücherdiebin
Auf der Bühne zu stehen, bedeutet für mich... - Mein Leben erfüllt zu leben und das zu tun, was mein Herz gern macht.
Motivation an anstrengenden Tagen? - Musik, Familie & Contessa Lebkuchen
Traumreiseziel? - Canada
Dafür bin ich dankbar... - Für die Möglichkeit, mein Leben so zu leben, wie ich es für gut befinde: meinen Träumen treu - und gut für mich und andere.
Ein großes Dankeschön von Herzen für dieses herrlich erfrischende und sympathische Interview, liebe Martina! Es hat mir wieder einmal große Freude bereitet, gemeinsam mit dir eine kleine Reise durch deinen Alltag auf und hinter der Bühne zu machen. Ich wünsche dir eine wunderbare Spielzeit in Hamburg mit unvergesslichen Momenten!
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