Ein neues Gesicht in Nutbush - Im Gespräch mit Nico Schweers

Nico Schweers ist schon lange kein Unbekannter mehr in der Welt des Musicals. In zahlreichen Produktionen wirkte er in den vergangenen Jahren mit und verzauberte das Publikum in den unterschiedlichsten Rollen. Geboren in Bonn, absolvierte der Künstler seine Ausbildung an der "Bayrischen Theaterakademie August Everding", die er im Jahre 2014 erfolgreich abschloss. Bereits während seiner Studienzeit war Nico unter anderem in "Hair" und "Dracula" zu erleben. Sein weiterer Weg führte ihn dann zu der Show "Ich war noch niemals in New York", wo der gebürtige Bonner auf mehreren Stationen der Tour zu sehen war. In der Stuttgarter Inszenierung "Der Glöckner von Notre Dame" wirkte der aufgeschlossene Darsteller als Cover für die Figur des "Phoebus" mit. Aktuell ist Nico Schweers Teil der Tina-Cast in Hamburg, die allabendlich die bewegte Lebensgeschichte Tina Turners auf die Bühne bringt. Dort ist er pünktlich zur Wiedereröffnung der Show als Besetzung für die Rolle "Erwin Bach" eingestiegen. Nico hat sich netterweise die Zeit genommen, ein paar Einblicke in seine berufliche Laufbahn und die damit verbundenen Erfahrungen aus den unterschiedlichen Produktionen zu gewähren. Auch sein neues Engagement in Hamburg soll im folgenden Interview natürlich keinesfalls zu kurz kommen. Bühne frei für Nico Schweers...


Wann bist du das erste Mal mit dem Genre „Musical“ in Berührung gekommen und gibt es einen Zeitpunkt, der für deine Entscheidung, selbst auf der Bühne stehen zu wollen, ausschlaggebend war?

Meine Eltern waren immer musicalbegeistert und meine Schwester und ich haben tatsächlich oft "Elisabeth" und "Tanz der Vampire" auf CD gehört. Mit meinen Eltern war ich als Kind schon in "Starlight Express und "Elisabeth", aber damals konnte ich das noch gar nicht richtig verarbeiten.

Als ich dann in der 11. Klasse das Musical "Aida" gesehen habe, da wusste ich schon in der Pause zwischen den Akten: „Das will ich auch machen!“

Du hast deine Ausbildung an der „Bayrischen Theaterakademie August Everding“ absolviert. Wie hast du die Zeit dort selbst empfunden und gibt es etwas, das dich in dieser Zeit besonders geprägt hat?

Das Studium an sich war ein Traum, ich habe mich aber selber sehr unter Druck gesetzt, bzw. hatte sehr mit meinem Selbstbewusstsein zu kämpfen. Ich habe mich ständig gefragt, ob es gut genug ist, was ich da mache. Reicht meine Leistung aus, um später mal einen Job zu bekommen? Im Nachhinein wünschte ich mir, ich wäre mehr im Hier und Jetzt gewesen und hätte einfach die Studienzeit genossen.

Du hast bereits in zahlreichen Produktionen auf der Bühne gestanden. Gibt es einen Moment aus den vergangenen Jahren, den du heute besonders gerne noch einmal erleben würdest?

Ich werde immer in Erinnerung behalten, wie ich mein erstes Angebot für meine erste Longrun-Produktion bekommen habe. Ich saß gerade im Fernbus auf dem Weg zu einer anderen Audition und musste mich sehr zusammenreißen, um nicht die ganzen Leute um mich herum zu nerven. Gott sei Dank saß meine Freundin Julia-Elena Heinrich neben mir, um mich in den Arm zu nehmen und diesen Moment mit mir zu teilen. 
Außerdem werde ich nie vergessen, welches Gefühl man hat, wenn man bei Disneys "Glöckner von Notre Dame" die letzten Töne gemeinsam singt. Das war jeden Abend Gänsehaut pur!

In der Show „Ich war noch niemals in New York“ warst du unter anderem in den Rollen des „Axel Staudach“ sowie des Kapitäns zu sehen. Welche Erinnerungen verbindest du mit diesem Musical, an welchem du in verschiedenen Städten mitgewirkt hast und bist du während dieser Zeit auch einmal mit Udo Jürgens selbst in Berührung gekommen?

Als ich die Show gespielt habe, war Udo Jürgens selbst leider bereits verstorben. Ich war als Cover "Axel" sehr sehr sehr viel in den Proben mit unseren kleinen Florians involviert und die Energie und Lockerheit von diesen talentierten Jungs hat mich immer wieder umgehauen. Die haben einfach gemacht, ohne viel darüber nachzudenken. Das habe ich mir ein bisschen für künftige Produktionen mitgenommen.
Außerdem hat es mich sehr inspiriert, Sarah Schütz beim Arbeiten zuzusehen bzw. mit ihr zu spielen und ich glaube, ich habe sehr viel von ihr in dieser Zeit lernen können.

In der Stuttgarter Inszenierung von „Der Glöckner von Notre Dame“ warst du als Cover für die Rolle des „Phoebus“ zu erleben. Was hat diese Produktion von Stage Entertainment ausgezeichnet und inwiefern hat sich dieses Stück fundamental von anderen Disney-Musicals unterschieden?

Ich finde, das ist sehr schwer in Worte zu fassen, da dieses Musical unfassbar emotional ist und man es einfach selbst erlebt haben muss. Das Stück ist sehr direkt und ehrlich und erreicht mit wenigen Mitteln so viel.
Ich glaube, um die Frage kurz zu beantworten, kann man folgende Punkte festhalten: Die Musik, das Gefühl, das minimalistische Bühnenbild, und vor allem die Gemeinschaft auf der Bühne.

Was war für dich an dieser Rolle die größte Herausforderung?

Ganz ehrlich, ich habe mich im ersten Monat vor JEDER SHOW  beim Glöckner eine Stunde lang eingesungen. Ich bin kein großer Fan von langem Einsingen, ich wollte aber sichergehen, dass meine Stimme die Show richtig „abspeichert“, denn gesanglich ist diese Show für jeden Sänger vermutlich eine echte Herausforderung.
Eine weitere Herausforderung war tatsächlich, nicht in Tränen auszubrechen während des Finales - vor allem in den ersten Shows. Das ist mir nur bedingt gelungen.

In Bozen standest du in Andrew Lloyd Webbers „Sunset Boulevard“ auf der Bühne. Welche Eindrücke hast du aus dieser Produktion mitgenommen?

Das Team und das Theater waren mir ja bereits aus der Produktion "West Side Story" bekannt und somit war ich mit dem Team sehr vertraut. Ich habe beide Male die Zeit in Bozen sehr genossen. Das Theater kümmert sich gut um seine Angestellten und Bozen ist einfach wunderschön.

Nun bist du Teil der neuen Tina-Cast in Hamburg, die die bewegende Geschichte rund um Tina Turners Lebensweg erzählt. Was hat dich an dieser Show besonders gereizt? Hattest du das Stück vor der langen Zwangspause bereits in Hamburg oder eventuell im Ausland erlebt?

Ich habe von "Tina" damals die allererste Preview in Deutschland sehen dürfen und danach noch ein paar Mal, weil Freunde von mir damals schon der Cast angehörten. Mir war schon zu dieser Zeit bewusst, dass ich unbedingt Teil dieser einzigartigen Show sein möchte. Ich glaube, ich habe noch nie erlebt, dass ein Musical so emotional, aber gleichzeitig auch so powervoll und partymäßig sein kann.

Aber vor allem müsste nach der Tötung von George Floyd und der darauffolgenden „I cant breathe“-Bewegung auch dem Letzten bewusst sein, wie aktuell die Thematik dieses Stücks ist, weshalb es so wichtig ist, dass es wieder gespielt werden kann.

Wann fanden die Auditions für diese Show statt und wie haben sich diese gestaltet? Nimm uns gerne einmal ein wenig mit in diesen „Bewerbungsprozess“ für Tina…

Puh, ich kann das gar nicht so genau sagen, da durch die Pandemie sich auf der einen Seite meine Pläne ständig geändert haben und auf der anderen Seite die von Stage Entertainment (bezüglich der Frage, wann und ob "Tina" in eine andere Stadt umziehen soll). Es gab auf jeden Fall mehrere Runden.
Ich erinnere mich daran, dass in einer Runde das Kreativteam per Videochat auf einem RIESIGEN Fernseher zu sehen war und ich quasi in Richtung des Fernsehers die Szenen gespielt habe. Normalerweise sitzt das ganze Castingteam an Tischen vor dir, bei dieser Audition musste sich das Team aber wegen Abstandsregeln verteilen und saß in einem großen „U“ um einen herum; das war ein sehr merkwürdiges Gefühl. Das Klavier stand dann am linken Ende vom „U“, in diese Richtung habe ich dann gesungen. Also saß das Castingdepartement hinter mir in meinem Rücken, während ich gesungen habe.... alles sehr gewöhnungsbedürftig.
Davor oder danach gab es noch eine Tanzrunde, in der wir Männer in kleinen Gruppen "Tailfeather" und "Disco Inferno" getanzt haben. Das hat riesigen Spaß gemacht.

Wie hast du den – aufgrund der aktuellen pandemischen Situation sicherlich erschwerten Probenprozess – für „Tina“ empfunden? Welche besonderen Abläufe haben sich durch die Corona-Krise hierbei ergeben und wie lief das erste Zusammentreffen der Cast ab?

Das erste Treffen der Cast war vor dem Operettenhaus und es ist immer komisch, in eine bereits bestehende Cast hineinzukommen. Man ist für die Kollegen erst einmal ein Fremder, während diese schon Monate, wenn nicht sogar Jahre, zusammen gearbeitet haben und bereits wie eine Familie zusammengewachsen sind. Wir Neuen wurden jedoch mehr als herzlich aufgenommen.
Ich erinnere mich noch, dass wir erst einmal einen PCR-Test gemacht haben und die ersten Tage waren wir alle sehr verunsichert bezüglich der Corona-Regeln. Darf man sich umarmen? Wie nah darf man beim Singen nebeneinander sitzen? Wo darf ich essen und trinken?
Die Coronamaßnahmen auf einer Arbeitsstelle sind viel strenger als bei Freizeitbeschäftigungen und Gott sei Dank nimmt Stage Entertainment die Gesundheit seiner Mitarbeiter sehr ernst.
Das hat aber auch zu vielen Veränderungen für die uns sonst so bekannten Probenabläufe geführt.
Es wurde mit großem Abstand zueinander mit Maske musikalisch geprobt. Auch die szenischen Proben waren mit Maske. Und versuch einmal, Tinas Emotionen wahrzunehmen und darauf einzugehen, wenn du ihre Mimik nicht sehen kannst. Oder mit Tina zu flirten, während beide Maske tragen. Das war alles sehr neu, aber auch interessant.

Am 8. Oktober hat das Musical große Wiedereröffnung im Stage Operettenhaus gefeiert. Wie hast du diesen Abend erlebt und welches Gefühl war es, nach solch einer langen Zwangspause endlich die Geschichte von Tina und Erwin erzählen zu dürfen?

Ach, ich hatte sowas von Pipi in den Augen. Ich war so gerührt von der Energie des Publikums, wie es auf uns reagiert hat und wie laut sie uns applaudiert haben. 
Man kann tatsächlich schlicht und einfach sagen, ich war wieder zuhause. Hört sich für den einen oder anderen vielleicht kitschig an, entspricht bei mir aber der Wahrheit.

Das Musical handelt aber in erster Linie definitiv von Tinas Leben. Erwin ist nur ein Teil von ihrer riesengroßen, abenteuerlichen und beeindruckenden Geschichte und ich bin auch froh, während des Abends in verschiedene Rollen schlüpfen zu können und sie so zu unterstützen. Vor allem in "Disco Inferno"... 😊

In den vergangenen Monaten hast du als Künstler viel auf dem Schiff gearbeitet. Verrate uns gerne ein wenig mehr über deine Auftritte auf dem Schiff! Was hat dir diese Form des Arbeitens für „klassische“ Theaterproduktionen vielleicht auch mitgegeben?

Meine Arbeit auf der "Mein Schiff – Flotte" hat mir vor allem wieder ein geordnetes und erfüllendes Arbeitsleben geschenkt. Ich konnte wieder Routine in Abläufe entwickeln und endlich wieder auf etwas hinarbeiten. Einer meiner besten Kumpel, Philipp Nowicki, und ich haben gemeinsam drei Shows entwickelt, in denen wir Lieder, die uns am Herzen liegen, gesungen haben. Wir haben aber auch Moderationen eingebaut, in denen wir von der Arbeit im Theater und aus unserem Privatleben erzählen konnten. 
Das, was mir im Vorfeld am meisten Angst gemacht hat, habe ich am Ende geliebt: Privat auf der Bühne zu sein.

Gibt es eine Rolle, die du in Zukunft unbedingt einmal spielen wollen würdest?

Ich würde mich unfassbar freuen, einmal in Disneys "Aida" mitwirken zu können. Generell ist es mir aber eher wichtig, mit tollen Kollegen zusammenzuarbeiten als in einem speziellem Stück.

Was ist das Wertvollste, das dir die Arbeit auf der Bühne geschenkt hat?

Meine Freunde, die ich durch die Arbeit kennengelernt habe.

Was bedeutet „Glück“ für dich ganz persönlich?

Für mich gibt es zwei Arten von Glück. Die eine ist das Glück in Relation zu anderen Personen.

Zum Beispiel: Ich finde Geld, jemand anderes hat es verloren. 
Oder: Ich habe Glück in einem reichen Land geboren zu sein, andere hatten das Glück nicht und kämpfen vielleicht jeden Tag um ihre Existenz. 
Man bezeichnet also als Glück nur die Tatsache, dass es einem im Vergleich zu jemand anderem besser geht. Man ist also privilegiert.

Eine andere Art von Glück ist für mich die eigene Zufriedenheit. Und was dieses Glück angeht, bin ich sehr glücklich!

 

Schnellfragerunde:

Nico in drei Worten? - zuverlässig, lustig, penibel

- Lieblingssong aus „Tina“? - "Disco Inferno"

- Was versüßt dir den Start in den Tag? - Mein morgendliches Schokomüsli

- Favorisierter Disney-Film? - "Pocahontas"

- Ein Zitat, das dich geprägt hat? - „Alles eine Frage der Einstellung" (ich nenne es gerne „Einstellungssache“)

Vielen Dank für dieses offene und äußerst sympathische Gespräch! Es war eine große Freude, gemeinsam mit dir einen Blick auf vergangene Engagements und deine neue Herausforderung in Hamburg bzw. Nutbush werfen zu dürfen und ich bedanke mich ganz herzlich für deine Zeit! Alles Gute für die aktuelle Spielzeit im Stage Operettenhaus! 

Fotos: (c) Milan van Waardenburg 



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