Evita - Die Geschichte einer umstrittenen Volksheldin eingebettet in große musikalische Arrangements

Argentinien Mitte des 20. Jahrhunderts: Eine Frau sorgt für Wirbel im Land. Als erste weibliche Vorreiterin in der politischen Führung Lateinamerikas, kämpft María Eva Duarte de Perón für die Rechte von Frauen und wird zur Legende im Gefecht um die Demokratisierung Argentiniens. 

Das Musical "Evita" erzählt die bewegende Geschichte um diese starke Frauenfigur, die zwar von dem Volk umjubelt, von der wohlhabenden Schicht hingegen eher belächelt und kritisiert wird. Eva Peróns Rolle in der Gesellschaft des Argentiniens der 40er Jahre ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Die Bürger verehrten sie gleich einer Heiligen und erhoben sie zur Mutter der Nation. Das Militär hingegen blickte skeptisch auf den großen Einfluss einer Frau im Hinblick auf die politische Führung des Landes und auch andere Staaten begegneten dem neuen Gesicht Argentiniens mit Vorsicht oder Abwehr, da die Regierung der Peróns zunehmend mit dem Faschismus der Nachkriegszeit in Verbindung gebracht wurde. 

Die Produktion mit der musikalischen Gestaltung von Komponist Andrew Llyod Webber widmet sich der Gallionsfigur Evita sowie ihrer bewegten Historie und blickt hinter die Kulissen des Mythos Perón. Wer war diese Frau wirklich? Welche Motive haben sie angetrieben und wie konnte sie an der Seite ihres Mannes eine solch überwältigende Macht erlangen? 

Die 1978 in London uraufgeführte Produktion ist bis heute jedes Jahr aufs Neue ein fester Bestandteil zahlreicher Theaterprogramme. Die unterschiedlichsten Inszenierungen haben das musicalbegeisterte Publikum bereits mit der dem Argentinien Mitte des 20. Jahrhunderts entsprungenen Geschichte konfrontiert und hinsichtlich der Bandbreite an kreativen Umsetzungen und Gestaltungsmöglichkeiten dieses Musicals aus dem Vollen geschöpft. Am 9.Oktober 2021 feierte die Produktion unter der Regie von Gil Mehmert große Premiere im Saarländischen Staatstheater.

Es ist kaum zu glauben, aber obwohl das Stück einen absoluten Klassiker der Musicalwelt darstellt, habe ich die Show bislang noch nie erleben dürfen. Dies sollte sich nun aber definitiv ändern und so wurde für das vergangene Wochenende ein Besuch in Saarbrücken geplant, wo die beiden Hauptfiguren, Eva Perón und Che, mit niemand Geringerem als Carina Sandhaus und David Jakobs besetzt wurden. Bereits der Blick auf die Besetzungsliste verspricht somit schon einmal Großes... doch eins nach dem anderen, widmen wir uns zunächst noch einmal der Handlung, die für die meisten Musicalliebhaber sicherlich schon bekannt ist.

Eva Perón, geboren als uneheliche Tochter eines Großgrundbesitzers, zog es bereits in frühen Jahren in die weite Welt hinaus. Als sie Tangosänger Augustín Magaldi in ihrer Heimat kennenlernt, packt sie die Sehnsucht nach der großen Freiheit und sie lässt sich von ihm mit nach Buenos Aires nehmen. Dort fasst sie schnell als Radiomoderatorin und Schauspielerin Fuß und tritt zunehmend in die Öffentlichkeit hinaus. So lernt sie schließlich im Zuge einer Wohltätigkeitsveranstaltung den Oberst Juan Perón kennen, mit dem sie im Jahre 1944 eine Beziehung eingeht. Während Eva und Juan sich ein gemeinsames Leben aufbauen, wird Argentinien von politischen Unruhen determiniert. Zusammen finden die Beiden den Zutritt in die politischen Kreise des sich nach neuer Ordnung sehnenden Landes und steigen schließlich zur politischen Spitze auf. Eva kämpft erbittert an der Seite ihres einflussreichen Mannes um einen politischen Umschwung in Argentinien und setzt sich für die Rechte des einfachen Bürgertums ein. Doch der Platz neben ihrem Mann kann ihr nicht genügen, sie nimmt immer mehr selbst in die Hand und gewinnt für das Volk zunehmend an Bedeutung. Eva wird zu einer Symbolfigur für Freiheitsrechte und den Aufbruch in neue Zeiten. Doch während ein Teil der Gesellschaft ihre Person verehrt, wächst in anderen gesellschaftlichen Kreisen die Kritik an Evita und ihrer Rolle in der Politik und es drängt sich immer mehr die Frage auf, ob die Motive für ihr Handeln wirklich so selbstlos sind, wie man anhand ihres sozialen Engagements meinen könnte.

Das Saarländische Staatstheater ist mit dieser Inszenierung eine Kooperation mit dem Theater Bonn eingegangen, wo das Musical bereits bis 2018 zu erleben war. Über zweieinhalb Stunden hinweg wird der Zuschauer in das Lateinamerika des vergangenen Jahrhunderts entführt und findet sich im Kampf um eine neue politische Ausrichtung wieder. Innerhalb dieser Inszenierung stehen insbesondere der einzelne Künstler bzw. das Ensemble im Mittelpunkt. Die Produktion "Evita" kommt ohne opulente Kulissen aus, vielmehr liegt der Fokus auf der Entwicklung der Figuren und der entsprechenden Ausgestaltung der Cast. 

Carina Sandhaus steht ebenso wie Bettina Mönch in der Rolle der Titelfigur "Evita" auf der Bühne und kreiert über den Abend hinweg eine ausdrucksstarke Version der historischen Figur. In der Ausgestaltung dieses facettenreichen Charakters mit Ecken und Kanten beweist die Künstlerin großes schauspielerisches Geschick und verleiht der Rolle dank ihrer Bühnenpräsenz eine besondere Größe. Auch gesanglich meistert Carina die mit diesem Engagement verbundene Herausforderung brillant und füllt die komplexen musikalischen Arrangements mit ihrer stimmlichen Energie und Präzision wunderbar aus. Ihr beeindruckender Stimmunfang kommt hierbei wunderbar zur Geltung und der Zuschauer kann über so manchen Ton nur mit offenem Mund staunen. Insgesamt arbeitet die Musicaldarstellerin die Charakterzüge sehr gekonnt aus und präsentiert eine authentische Darstellung der Heldin des argentinischen Volkes, jedoch so, dass einige Facetten des Mythos "Perón" für das Publikum weiterhin ungreifbar bleiben.  

David Jakobs verkörpert die Rolle des "Che", dem in erster Linie eine erzählende und damit auch stark wertende Funktion innerhalb des Stücks zukommt. Mit viel Fingerspitzengefühl für die von der Figur vertretenen Werte und Einstellungen führt der Künstler durch die Geschichte und entwickelt die Rolle zu einem verbindenden Element zwischen der dargebotenen Historie und dem Publikum, das mit Ches ungefilterten Ansichten bezüglich des sich ereignenden Umschwungs in Argentinien konfrontiert wird. David gelingt es herausragend, die Tragik vieler Momente und die oftmals mitschwingende Schwermütigkeit mit äußerst zynischen, teils provokant anmutenden Wertungen auszubalancieren sowie mit seinen Kommentaren einen Anlass zu schaffen, die gefeierte Figur der Eva Perón in ihrer Popularität zu hinterfragen. David gestaltet mit viel Hingabe zum Detail einen Charakter aus, der für seine Werte einsteht und trotz aller Kritikpunkte hinsichtlich des Auftretens Evitas auch Augenblicke des Mitgefühls für die große Kämpferin durchlebt. Ebenso soll natürlich die abermals gezeigte Stimmgewalt des Sängers keinesfalls unerwähnt bleiben. 

Als Evitas Ehemann "Juan Perón" steht in dieser Inszenierung Stefan Röttig auf der Bühne, der innerhalb dieses Engagements ebenfalls großes schauspielerisches Talent beweist. Dank der die Bühne einnehmenden Präsenz beider Schauspieler gelingt das Zusammenspiel von Stefan Röttig und Carina Sandhaus als Bühnenehepaar grandios. Der Künstler präsentiert eine sehr ausgefeilte Interpretation der historischen Figur, die in der Öffentlichkeit gemeinsam mit Ehefrau Eva sehr willensstark und für eine neue politische Zukunft brennend auftritt, sich jedoch im Privaten auch immer wieder um ihre Machterhaltung sorgt und durchaus kritisch auf Evitas Rolle in der Gesellschaft blickt. 

Weiterhin begeistert Max Dollinger in der Rolle des Tangosängers "Augustín Magaldi". Trotz seiner nicht so zahlreichen Auftritte innerhalb der Show bleiben die Momente, in denen der Künstler seine Stimme auf der Bühne präsentieren darf, definitiv im Kopf. Das Lied "On this night of a thousand stars" schafft für ihn den Rahmen, dem Zuschauer seine volle stimmliche Qualität zu präsentieren und mit seiner warmen und zugleich sehr kraftvollen Stimme zu beeindrucken. Hervorragend dargeboten umhüllt der Song das Publikum und unterstützt die charismatische Darstellung des Charakters. 

Weiterhin hervorgehoben werden muss die Darbietung der Künstlerin Nina Links, die als "Peróns Geliebte" zwar auch nur einen großen Auftritt bekommt, diesen jedoch zu einem denkwürdigen und besonders beeindruckenden Moment erblühen lässt. Mittels des Titels "Du nimmst den Koffer wieder in die Hand" zeigt Nina eine große gesangliche Leistung und brilliert in einem Lied, das im Ohr bleibt und insbesondere durch diesen Ohrwurmcharakter an Bedeutung für das Musicalerlebnis gewinnt. 

Neben den genannten Hauptdarstellern steht ein exzellentes Ensemble auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Dabei fällt vor allem die Größe des Ensembles äußerst positiv auf. Eine Vielzahl an großen Stimmen klingt bei "Evita" durch den Saal des Saarländischen Staatstheater und erfüllt den Raum mit "vollen" und "satten" Klängen. Insbesondere bei diesem Musical ist die Größe des Ensembles sehr hilfreich, da die musikalische Gestaltung sehr klassisch, ja beinahe operngleich anmutet, und somit für eine Bühne voller beeindruckender Stimmen geschaffen ist. Ebenso kommen auch spektakuläre tänzerische Elemente keinesfalls zu kurz. Die drei großen Kunstformen des Musiktheaters werden hier gelungen miteinander verwoben. 

Die Musik hebt sich insgesamt deutlich von der zahlreicher anderer Musicals ab. Sie weckt aufgrund ihrer Komplexität Faszination im Zuhörer, obwohl man zugeben muss, dass nur wenige Titel beim ersten Hören wirklich eingängig für das Ohr sind. Besonders fällt auf, dass die Handlung grundsätzlich primär durch gesangliche Darbietungen erzählt wird und es keine reinen Sprechszenen gibt. Dies wirkt zunächst ein wenig ungewöhnlich, aber wenn man sich auf diese Art des Musicals einlässt, kann gerade jenes musikalische Arrangement, im Rahmen dessen die Darsteller hervorragend die Bandbreite ihrer Stimme präsentieren können, zu einem großen Genuss führen.

Ein Kritikpunkt, der mein Theatererlebnis beeinflusst hat, muss jedoch kurz erwähnt werden. Die Abmischung von Gesang und Instrumenten habe ich an diesem Abend als nicht ganz glücklich empfunden. Das Orchester, welches für fantastische musikalische Untermalung gesorgt hat, hat leider in der Abmischung die Darsteller teils übertönt. Vor allem im ersten Akt fiel es mir auf meinem Platz im Rang doch mamchmal recht schwer, den Texten akustisch zu folgen und somit auch einige Handlungsverläufe zu verstehen. Dieser Punkt schmälert die großartige Leistung aller Beteiligten natürlich keineswegs, jedoch wäre noch eine Optimierung der Akustik hilfreich, um auf allen Plätzen im Saal der Geschichte ohne Anstrengung folgen zu können.

Das Musical sorgt sicherlich aufgrund seines einzigartigen Charakters und seiner Andersartigkeit mit Blick auf zahlreiche Produktionen für kontroversen Gesprächsstoff. Man muss sich auf die neue Art eines musikalischen Erzählens einer äußert bewegten und dramatischen Lebensgeschichte einlassen. In jedem Fall regt die Show dazu an, sich intensiver mit den Geschehnissen der damaligen Zeit auseinanderzusetzen und auch noch nach dem Theaterbesuch in das Lateinamerika des vergangenen Jahrhunderts einzutauchen. Die Produktion beeindruckt mit ihrer komplexen Konzeption in jeder Hinsicht und lässt Raum für Interpretationen. Die Inszenierung in Saarbrücken besticht insbesondere mit der großartigen Besetzung, die für die Spielzeit gewonnen werden konnte. Die Cast und das Team hinter der Bühne haben eine sehr ausgefeilte Produktion geschaffen, die dazu animiert, sich nicht nur geschichtlich, sondern auch künstlerisch auf bislang vielleicht noch eher unbekannte Pfade zu wagen und die Frage nach der umstrittenen Rolle einer heldenhaften Kämpferin oder aber nach der einer selbstverliebten Egozentrikerin zu erörtern.

Fotos: (c) Martin Kaufhold/
Saarländisches Staatstheater 


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