Ein eindrucksvoller Ball bis(s) zur Morgendämmerung - Zu Gast in der Stuttgarter Gruft

Eine Einladung zum Ball, ein Ausflug in schaurige Gemäuer, ein Tanz bis(s) zum Morgengrauen - die Vampire laden in Stuttgart zu einem schaurig-schönen Abend im Herzen der Gruft. Schon lange zählt die Produktion "Tanz der Vampire" zu den Erfolgsmusicals im deutschsprachigen Raum. Immer wieder tauchen in den verschiedensten Theatern mutige Gäste mit dem Grafen höchstpersönlich in die Dunkelheit ein. Aus diesem Grund ist es natürlich ganz klar, dass auch ich bereits mehrfach über die Show berichtet und meine Eindrücke - sowohl hinsichtlich der aktuellen deutschen als auch bezüglich der österreichischen Inszenierung - mit euch geteilt habe. Ich war selbst überzeugt davon, dass in der nächsten Zeit erst einmal keine neue Rezension zu den Vampiren online gehen wird, da ihr meine Ansichten zu der Produktion auf Musicalmuffin hinreichend nachlesen könnt. Doch ich wurde eines Besseren belehrt, denn wenn ihr gerade diesen Text lest, dann seid ihr bereits mittendrin in einem neuen Bericht rund um den Stuttgarter Mitternachtsball. Aber warum gibt es nun plötzlich doch einen neuen Text? Die Frage lässt sich ganz leicht beantworten: Es ist mir ein großes Anliegen, euch ein wenig mit in meinen Samstagabend im Palladium Theater zu nehmen und dieses besondere Erlebnis mit euch zu teilen. Ich muss zugeben, ich habe den Saal am vergangenen Wochenende mit einer gewissen Skepsis betreten. In der letzten Zeit wurden immer wieder sehr gemischte Meinungen bezüglich der Stuttgarter Inszenierung an mich herangetragen und so war die Sorge, dass das Stück auch für mich den Zauber verloren haben könnte, durch einige negative Kritiken geboren. Jedoch kann ich schon jetzt vorwegnehmen, diese Angst war mehr als unbegründet, denn ich durfte am Samstag eine meiner persönlich schönsten Vorstellungen bei den Vampiren genießen. Warum? Na, das erfahrt ihr in den nächsten Abschnitten. Macht euch bereit für einen schaurig-schönen virtuellen Ausflug in Stuttgarts Gruft.

(c) Brinkhoff & Mögenburg

Zum Inhalt sei an dieser Stelle nicht mehr viel gesagt, denn ich bin mir sicher, dass ihr fast alle bereits bestens mit der Geschichte rund um den zur Ewigkeit verdammten Grafen von Krolock und seinen "Gast" Sarah, die von Fernweh und der Sehnsucht nach Freiheit getrieben das Vampir - Schloss aufsucht, vertraut seid. Gemeinsam mit den Figuren des Musicals begibt man sich als Zuschauer auf eine abenteuerliche Reise in modrige Kellergewölbe und dämmrige Festsäle, die nicht nur durch ihren schaurigen Charme, sondern auch und insbesondere durch ihren Facettenreichtum besticht. Die Show ist gespickt mit unglaublich atmosphärischen Momenten, die das Publikum manchmal vor Spannung den Atem anhalten lassen, und zugleich wird der Theaterbesucher mit einer Vielfalt von herrlich humoristischen und schwungvollen Szenen reich beschenkt. Der Besuch in der Gruft hält bildlich gesprochen eine bunte Mischung verschiedener Farben bereit, die sich zu einem illustren Bild vereinigen. Dieser Facettenreichtum lässt sich insbesondere durch die auffällige Rollenvielfalt des Musicals erklären. Jede Figur bringt ihre individuelle Handschrift in die Geschichte ein und so reihen sich wunderbar witzgeladene Momente des Professor Abronsius an sehr tiefgründige, bewegende Szenen des in den Ketten der Ewigkeit gefangenen Grafen, der nach einer besonderen "Lebensfreiheit" dürstet.

(c) Stage Entertainment 

Doch gut gezeichnete Charaktere können auf der Bühne bekanntlich nur dann das Publikum in ihren Bann ziehen, wenn es den verkörpernden Künstlerinnen und Künstlern gelingt, ihnen mit viel schauspielerischer Hingabe Leben einzuhauchen. Die Stuttgarter Cast, welche ich an besagtem Abend auf den Brettern, die die Welt bedeuten, erleben durfte, schafft dies mit scheinbarer Leichtigkeit. 

Robert Meyer begeisterte an diesem Abend in der Rolle des "Graf von Krolock", die er mit seinem gesamten darstellerischen Können und einem wunderbaren Fingerspitzengefühl für die in dem Vapir vereinigten, teils konträren Seiten zum Leben erweckt. Der Künstler scheint auf der Bühne gänzlich mit der Rolle zu verschmelzen und gibt sich den Höhen und Tiefen des Grafen mit beeindruckender Leidenschaft hin. Mit sichtbarem schauspielerischen Talent erschafft er eine vielschichtige Interpretation der Rolle, die es dem Zuschauer ermöglicht, auch hinter die äußere Fassade des Lebendtoten zu blicken und Momente des Mitgefühls zu erleben. Auch gesanglich ist Robert der anspruchsvollen Aufgabe absolut gewachsen. Bei seinem ersten Auftritt mit der Nummer "Gott ist tot" kann der Sänger bereits aus dem Vollen schöpfen und seine stimmliche Exzellenz präsentieren. Wenn er zu den ersten Tönen ansetzt, wird es mucksmäuschenstill im Saal und der Zuschauer wird von einer warmen und kraftvollen Stimme umhüllt. 

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Die Rolle der jungen, freiheitssuchenden "Sarah" verkörpert Diana Schnierer, die ebenfalls auf allen Ebenen glänzen kann und sich als ideale Besetzung für die Rolle beweist. Mit ihrer glockenhellen Stimme erfüllt sie den Theatersaal und präsentiert ihre Gesangspassagen auf den Punkt. In allen Liedern zeigt sie absolute stimmliche Sicherheit und ermöglicht es dem Besucher, sich in die musikalischen Arrangements fallen zu lassen. Zudem erschafft Diana eine sehr authentische Version der rebellierenden, verträumten und teils doch recht naiven jungen Frau, die dem Ruf der Vampie nicht widerstehen kann. Mittels ihrer Schauspielkünste macht die Darstellerin es dem Publikum leicht, die Beweggründe Sarahs zu verstehen und den Charakter nicht für seine leichtfertigen, impulsiven Handlungen zu verurteilen. 

Weiterhin brilliert Vincent Van Gorp in der Rolle des jungen "Alfred", welche er mit viel spielerischer Freude und Hingabe zu füllen vermag. Es macht unglaubliche Freude, dem Darsteller in seiner Interaktion mit den Bühnenpartnern zuzusehen und eine große Sympathie für den introvertierten, gutmütigen Alfred zu entdecken. Geschickt spielt sich Vincent in die Herzen der Zuschauer und stellt seine enormen darstellerischen Qualitäten unter Beweis. Auf gesanglicher Ebene weiß der Künstler außerdem sowohl in den Solopartien als auch mit Bühnenpartnerin Diana Schnierer zu überzeugen und seine wundervolle Stimmfarbe gekonnt zu präsentieren. 

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Heimlicher Publikumsliebling war an diesem Abend ohne Frage Geburtstagskind Luc Steegers in der Rolle des kautzigen "Professor Abronsius". Brilliant erweckt der Künstler eine herrlich humoristisch angelegte Figur zum Leben, deren eigenwillige Art dem Zuschauer ein permanentes Lächeln auf die Lippen zaubert. Von Beginn an bringt der Darsteller in seiner Rolle einen tollen Charme in die Vorstellung ein und begeistert vor allem im Zusammenspiel mit Vincent van Gorp, wobei zwei völlig unterschiedlich geprägte Figuren aufeinandertreffen und das Publikum mit einer sehr individuellen Interaktion begeistern. Szenen in der Bibliothek oder in der Gruft strahlen nur so vor künstlerischer Perfektion, Pointen werden an den richtigen Stellen gesetzt, um den Saal mit Gelächter auszufüllen und es wird jede sich bietende Gelegenheit genutzt, den Habitus der eigenen Figur spielerisch hervorzuheben. 

Die Rolle des Grafensohns "Herbert" verkörpert Jakub Wocial mit sichtlicher Spielfreude und Bühnenpräsenz und erschafft somit eine weitere Figur, die einen sehr pointierten Witz in die Show bringt. Zielsicher hält der Künstler die Balance zwischen ehrlichem Wesen und aufgesetzter Gestik und Mimik, die sich insbesondere bei "Wenn Liebe in dir ist" entfalten kann. Bei all der Komik der Rollenentwicklung verliert Jakub jedoch niemals die die Figur ebenfalls ausmachende Bissigkeit und Laszivität aus den Augen und unterstreicht mit seiner überzeugenden Darbietung die Doppeldeutigkeit des Charakters. 

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Ein weiteres Highlight an diesem Abend bilden die Auftritte von Anja Backus, die herausragend die Entwicklung der "Magda" aufzeigt und der Figur einen starken Ausdruck verleiht. Mit stimmlicher Sicherheit präsentiert sie den Song "Tot zu sein ist komisch" und schmettert ihre gesanglichen Passagen mit einer solchen Intensität, dass der Zuschauer nicht anders kann, als staunend das Spektakel zu genießen. Die Wandlung von der zurückhaltenden, etwas unsicheren Magd zu einer exzentrischen, nach Blut dürstenden Vampirdame lässt Anja wunderbar transparent werden und so fesselt sie das Publikum mit ihren schauspielerischen Qualitäten an die von Entwicklung geprägte Rolle.

In der Rolle des "Chagal" steht Oleg Krasovitskii auf der Bühne des Palladium Theaters, der eine sehr mitreißende Interpretation der Figur aufleben lässt. Teils fiel es nicht ganz leicht, dem Text des Darstellers zu folgen, da die Aussprache aufgrund seiner russischen Herkunft etwas erschwert ist, doch seine grandiosen darstellerischen Fähigkeiten machen diesen Umstand wieder wett. Mit kleinen Gesten und starker Mimik gelingt es Oleg exzellent, den Theaterbesucher für seine Darbietung zu begeistern. Das Zusammenspiel mit Spielpartnerin Anja Backus wirkt stimmig und es macht große Freude, den beiden bei der Entwicklung eines vorwitzigen, die Gruft in Schwung bringenden Vampirpärchens zusehen zu dürfen.

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Dawn Bullock verkörpert die Rolle von Chagals Frau "Rebecca", die sich von ihrem Mann aufgrund diverser Fehltritte ständig betrogen fühlt und doch ein enges Band zu ihrem Gemahlen aufrechterhält. Die Darstellerin hat die Aufgabe, eine dem Skript geschuldete eher im Hintergrund agierende Figur an die Zuschauer heranzutragen und meistert diese Herausforderung mit Bravour. Mit schauspielerischem Geschick holt sie das Maximum aus der lediglich im ersten Akt präsenten Figur heraus und kreiert einen selbstbewussten Charakter, dessen weicher Kern trotz der anfänglichen Grobheit Rebeccas wunderbar zum Ausdruck kommt. Obwohl die Figur innerhalb der Ehe definitiv das Zepter in der Hand hält, gelingt es dem Theaterbesucher dank Dawns tollem Spiel dennoch einen Blick auf ihre weiche Seite zu erhaschen.

In der Rolle des sprachlich nicht sonderlich versierten Dieners "Koukol" begeistert Lukas Löw, der seine Sache bereits in Oberhausen großartig gemacht hat und in der Stuttgarter Inszenierung abermals extrem positiv auffällt. Ihm wird aufgrund der Konstruktion der Figur, welche sich nur schwer artikulieren kann, die Aufgabe zuteil, stärker als andere Darsteller den Ausdruck über die Körperlichkeit bzw. über Gestik und Mimik in den Vordergrund zu stellen und trotz des besonderen Rollenprofils eine Verbindung zu den Zuschauern im Saal aufzubauen. Dies gelingt Lukas ausgezeichnet! Mit Detailverliebtheit und Raffinesse im Spiel kreiert der Künstler eine Figur, die man als Theaterbesucher einfach in sein Herz schließen muss. 

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Das gesamte Ensemble tritt sehr harmonisch auf und scheint aufeinander eingespielt zu sein. Die beeindruckenden Tanzszenen des Stücks werden präzise vorgeführt und die Ensemblenummern sind von der stimmlichen Kraft des Ensembles gezeichnet. Besonders hervor stechen dabei beispielsweise Thijs Kobes sowie Rafael Albert, die mit ihrer Stimmgewalt als Gesangssolisten überraschen können. 

Die Tatsache, dass aufgrund der Corona-Einschränkungen kleine Veränderungen am Ablauf der Show vorgenommen werden mussten, fällt dem Wiederholungstäter, der die Produktion bereits mehrfach gesehen hat, natürlich auf. Sicherlich ist es ein Manko für die Inszenierung, dass die Darsteller nun nicht mehr wie gewohnt den Zuschauerraum bespielen dürfen. Vor allem der erste Auftritt des Grafen wirkte durch die Ausdehnung auf den gesamten Saal doch immer sehr pompös und beeindruckend. Dennoch wurden in Anbetracht der Lage gute Lösungen gefunden, sodass insbesondere der erste Auftritt der Vampire auch in der alternativen Variante einen eindrucksvollen Charakter aufweist. Zudem wird die fehlende physische Nähe des Zuschauers zu den Figuren hervorragend durch das ausgezeichnete Schauspiel aller Beteiligten auf der Bühne ausgeglichen, sodass das Publikum weiterhin eine direkte Verbindung auf emotionaler Ebene aufbauen kann. 

(c) Brinkhoff & Mögenburg

Die Vorstellung am vergangenen Wochenende konnte mich nach so langer Zwangspause umso mehr abholen. Nachdem der letzte Besuch in der Gruft schon länger als zwei Jahre zurückliegt, macht es doppelt Spaß, sich in die Dunkelheit fallen und sich von einer Gruppe äußerst talentierter Bühnenblutsauger mitreißen zu lassen. Zu der Begeisterung tragen einerseits gut geschriebene Dialoge bei, die dem Zuschauer des Öfteren ein Lächeln entlocken können, und andererseits lebt die Produktion von der musikalischen Linie, die gut ins Ohr geht und in toll vorgetragener Weise zu faszinieren vermag. Vor allem das Finale lädt dabei zum Mitfeiern und Genießen ein. Einziger Wermutstropfen ist hier die nicht immer gelungene Abmischung, die es dem Publikum vor allem zu Beginn der Vorstellung teils schwer macht, den vorgetragenen Texten zu folgen. An mancher Stelle erscheint das Verhältnis der Lautstärke von Gesang und Musik leider recht unausgewogen, sodass die Abmischung des Sounds sicherlich noch Potenzial zur Verfeinerung bietet. Insbesondere bei solch gelungen arrangierter Musik macht es doch am meisten Freude, wenn man eine fein aufeinander abgestimmte Harmonie aus Gesang und instrumenteller Begleitung erleben kann.

(c) Stage Entertainment 

Fragt man nun also final, ob sich die Show während ihrer langen Spielzeit in puncto Qualität abgenutzt hat, so lautet meine Antwort ganz klar: Nein! Mir persönlich hat das Musical bei diesem Besuch beinahe mehr Freude bereitet als je zuvor. Selbst wenn es in meinen Augen sicherlich sinnvoll wäre, die Musicallandschaft mit noch mehr Vielfalt zu erfüllen und dem Erfolgsmusical hin und wieder auch einmal eine Spielpause zu geben, um den Charme der Show anschließend wieder mit neuer Kraft aufleben lassen zu können, lohnt sich ein Besuch in Stuttgarts Gruft ohne Frage. Die Cast weiß das Potenzial des Stücks vollends zu nutzen und begeistert mit ihrer künstlerischen Stärke auf ganzer Linie. Fabelhaft wirken alle Akteure während der Vorstellung zusammen und lassen das Musical in seinem besten Licht erstrahlen - hier tanzen nicht nur die Vampire, hier vollführt das Herz eines Musicalfans ebenfalls vor Begeisterung einen Tanz. Die Produktion zeichnet sich durch eine sehr eindrucksvolle, düstere Atmosphäre aus, die den Theaterbesucher aus dem gewohnten Alltagstrott reißt und ihn für drei zauberhafte Stunden in eine mystische Welt katapultiert, in der Blutsauger vom Leid der Ewigkeit erzählen, Spiegel Geheimnisse verraten und Knoblauch Wunder wirkt. Die Vampire bitten zum Tanz und gerade nach der Corona-Pause der vergangenen zwei Jahre macht es doch große Freude, das Tanzbein auf dem schaurig-schönen Mitternachtsball zu schwingen!

(c) Stage Entertainment 



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