Simply the best - Tina, ein Musical der Superlative

Ihr kennt sie alle - diese Shows, die einen rundum verzaubern, die einen mit einer emotionalen Geschichte, mitreißender Musik und einem brillianten Ensemble fesseln und berühren und die danach schreien, immer und immer wieder besucht zu werden. "Tina - Das Tina Turner Musical" ist genau solch eine Show mit einem riesengroßen Suchtpotential.
Seit das Musical im März im Stage Operettenhaus in Hamburg Premiere gefeiert hat, werden allabendlich hunderte Besucher mit auf eine berührende Reise durch das bewegte Leben Tina Turners genommen und lernen die Frau noch einmal ganz neu kennen. Auch mich hat es in diesem Monat zum ersten Mal seit Beginn der Spielzeit in das Hamburger Operettenhaus verschlagen und ich kann bereits an dieser Stelle verraten, ich habe der Show in der gleichen Woche noch zwei weitere Besuche abgestattet.

(c) Manuel Harlan

Das Musical "Tina" ist vergleichbar mit einer emotionalen Reise durch das Tagebuch Tina Turners. Mit viel Fingerspitzengefühl ist eine Produktion entwickelt worden, welche ganz tief in die Vergangenheit des Bühnenstars eintaucht und alle Höhen und Tiefen ihres Lebens ehrlich und gefühlvoll widerspiegelt. Der Zuschauer erlebt hautnah ihre Lebensgeschichte - ausgehend von ihrer Kindheit in Nutbush über ihre ersten Erfolge, aber auch Misserfolge, ihre Beziehung zu Ehemann Ike und ihr Abtauchen in Las Vegas bis hin zur ihrem Aufstieg als gefeierter Weltstar. Das Publikum wird mit einer bewegenden und zu Herzen gehenden Geschichte konfrontiert, welche man wohl nur mit dem Ausdruck "Achterbahnfahrt der Gefühle" zusammenfassen kann. Geboren als "Anna Mae Bullock" wächst die Sängerin in einfachen Verhältnissen in Nutbush, Tennessee auf. Nach der Trennung ihrer Eltern wird sie von ihrer Großmutter aufgenommen, welche sie auf all ihren Wegen durch ihre Jugendzeit begleitet. Mit 16 Jahren kommt es endlich zu einem Wiedersehen zwischen Anna Mae und ihrer Mutter sowie ihrer Schwester, zu welcher sie seit ihrer frühen Kindheit keinen Kontakt mehr hatte. Die Jugendliche zieht nach St. Louis zu ihrer Familie und entwickelt sich dort unter den strengen Augen ihrer Mutter weiter zu einer erwachsenen Frau. Wie der Zufall es will, lernt Anna Mae in ihrer neuen Heimat den allseits beliebten und insbesondere von weiblichen Zuschauern heiß begehrten Bandsänger "Ike Turner" kennen, der - beeindruckt von ihrer Energie und ihrer kraftvollen Stimme - Anna Mae in seine Band aufnimmt und sie mit seinen persönlichen Vorstellungen zu einer wahren Königin der Bühne formt. Der neu geborene Bühnenstar heiratet schließlich den Gesangspartner Ike und feiert unter dem Künstlernamen "Tina Turner" noch nie dagewesene Erfolge. Doch der Ruhm ist auch mit einer Schattenseite behaftet, denn der in der Öffentlichkeit so charmant erscheinende Ike entpuppt sich als ein aggressiver und gewaltätiger Mensch, der in 16 Jahre gemeinsamer Arbeit auf der Bühne und Zusammenleben in der Familie immer wieder die Hand gegen seine Frau und die Kinder erhebt. Gefangen in einer scheinbar aussichtslosen Situation versucht Tina ihrem Leben ein Ende zu bereiten und den Qualen mit einem Selbstmordversuch zu entfliehen, welcher jedoch scheitert. Die Sängerin steht schließlich vor einem einzigen Scherbenhaufen  - drangsaliert von ihrem gewaltbereiten Ehemann, auf den sie beruflich angewiesen zu sein scheint und ohne eigenes Geld in der Tasche, wagt sie nach ihrem misslungenen Suizidversuch einen neuen Ausbruch, welcher jedoch ebenfalls zum Scheitern verurteilt zu sein scheint....

(c) Manuel Harlan

"Tina" ist eine authentische und ergreifende Darstellung eines facettenreichen Lebens, welches neben großen Erfolgen auch immer wieder Situationen der Not, des Scheiterns und der Verzweiflung bereithält. Das Publikum erlebt in einer dreistündigen Show, wie Träume sich erfüllen und zugleich zerplatzen können, wie Ruhm und Erfolg zugleich mit der Kehrseite der Medallie behaftet sein können und wie man - konfrontiert mit dem Scheideweg - neue Stärke in sich selbst finden, für sich einstehen und seinem Leben eine neue Richtung, ja, wortwörtlich einen neuen musikalischen Stil verleihen kann. Die herzergreifende und realitätsgetreue Geschichte wird von einer erstklassigen Cast erzählt, die mit viel Feingefühl und künstlerischem Verständnis die Charaktere zum Leben erweckt und gemeinsam allabendlich eine Geschichte neu aufleben lässt, die einfach unter die Haut geht.

Angeführt wird die Vorstellung von der phänomenalen Darstellerin Kristina Love, die beinahe täglich in die Rolle der Tina Turner schlüpft und das Publikum mit ihrer Darbietung vor Staunen erblassen lässt. Wenn ihr denkt, ihr habt schon alles gehört, was die Musicalwelt zu bieten hat, dann seht euch unbedingt diese Meisterleitung an und ihr werdet begeistert sein, versprochen. Kristina gelingt es scheinbar mühelos, die rockige Seite des Bühnenstars Tina Turner und die zerbrechliche, menschliche Facette der in schwierigen Verhältnissen aufgewachsenen Anna Mae Bullock in ihrer Darstellung zu vereinen. Sie spannt mit ihrer Entwicklung der Figur kontinuierlich einen wunderbaren Bogen durch die Inszenierung und entwickelt sich somit in drei Stunden Spielzeit von einem unbedarften jungen Mädchen zu einer starken und selbstsicheren Persönlichkeit, die sich nicht nur durch den besonderen Schliff ihrer Welthits, sondern vor allem durch ihre unwerwechselbare Kämpfernatur auszeichnet. Die Künstlerin zeigt sich auf der Bühne unglaublich authentisch, nahbar und verletztlich und begegnet dem Publikum sowohl als echte Rockröhre,  als auch in Gestalt einer absolut bodenständigen und herzlichen Frau, die in ihrem Leben immer wieder mit schweren Herausforderungen konfrontiert worden ist und nur schrittweise gelernt hat, sich selbst zu behaupten. Neben ihrem ehrlichen, aus tiefer Seele kommenden Schauspiel, brilliert Kristina in jedem Fall mit ihrer unbeschreiblichen Stimme, welche ebenso wie die Stimme Tina Turners selbst, trotz ihrer Energie und Wucht, auch in zahlreichen Songs eine gewisse Wärme ausstrahlt und die Zuschauer mit all ihren Farben scheinbar zu umhüllen scheint. Kristina ist mehr als eine einfache Verkörperung der Musik - Ikone, ja, sie wird auf der Bühne selbst zu einem wahren Star, der mehr als verdient die gesamte Faszination und Begeisterung der Besucher erntet.

(c) Musicalmuffin

Neben Kristina Love durfte ich auch die alternierende Besetzung Nyassa Alberta in der Hauptrolle erleben, welche der Figur ebenfalls einen meisterlichen Feinschliff verleiht und die Emotionen Tina Turners mit einem tiefen Verständnis für den Charakter und die authentisch dargestellte Entwicklung der Rolle aufleben lässt. Ebenso wie der Erstbesetzung gelingt es auch Nyassa von der ersten Minute an, die Zuschauer mit ihrer Spielfreude und Energie auf der Bühne zu fesseln und ihre Herzen mit einer berührenden und zugleich nur so vor Kraft strotzenden Performance zu erreichen. Die Künstlerin verleiht der Rolle eine ganz persönliche Note und habt sich somit auch von der Darstellung Kristinas deutlich ab. Sie scheint förmlich mit der Figur, ihrem Schicksal sowie ihrem Innenleben auf der Bühne zu verschmelzen und jede Szene, jede Liedzeile und jeden Dialog mit einem starken Ausdruck und einer ganz tiefen Bedeutung zu behaften.
Eine wahre Glanzleistung von zwei einzigartigen Sängerinnen, welche beide auf ihre ganz eigene Art die ideale Besetzung für diese starke Persönlichkeit darstellen.

Ehemann "Ike Turner" wird aktuell von Mandela Wee Wee verkörpert, der sich inbesondere dank seines ausdrucksstarken Spiels und seiner eindringlichen Mimik als perfekte Besetzung erweist. Ebenso wie die Darstellerin der "Tina" scheint Mandela innerhalb seiner Rolle ganz ehrliche Gefühlsausbrüche zu durchleben und die Aggressionen sowie den mehrfach aufblitzenden Schmerz der Figur selbst zu spüren und für das Publikum mit Leichtigkeit transparent zu machen. Der Schauspieler präsentiert eine mehr als glaubwürdige Darstellung des gewaltätigen Ehemannes und zieht mit seiner unglaublich überzeugenden Verkörperung das gesamte Entsetzen und eine wahre Wut der Zuschauer auf sich. Trotz seines großartigen Talents, die bedrohliche Seite Ike Turners sichtbar werden zu lassen, vergisst Mandela im Hinblick auf die Interpretation auch niemals die Hintergründe des Mannes. Auch Ike hat es in seinem Leben nicht einfach gehabt, bereits in seiner Kindheit mussten er und seine Familie viel Ablehnung aufgrund der Hautfarbe erfahren. Der Sänger verlor bereits sehr früh seinen Vater, welcher an durch Gewalt zugefügten Verletzungen verstarb und trotz seines anfänglichen Erfolgs als Musiker verstrickte Ike sich in so manchen Skandal und entdeckte schließlich die Drogen für sich. All diese dramatischen Hintergründe arbeitet Mandela behutsam in seine Darstellung mit ein und macht dem Publikum so auch den versteckten Schmerz der Rolle ein wenig verständlicher.

(c) Musicalmuffin

Ebenfalls als eine unglaublich talentierte Schauspielerin erweist sich Adisat Semenitsch in der Rolle der Mutter "Zelma Bullock", die in ihrer Darbietung wunderbar die sichtbare Strenge mit der zunächst verborgen scheinenden Wärme und Zuneigung zu ihrer Tochter zu vereinen weiß. Adisat füllt die Figur mit ihrem selbstsicheren Auftretten auf der Bühne gekonnt aus und erobert die Herzen der Zuschauer insbesondere mit ihrer fantastischen Mimik und Gestik sowie ihrer herrlichen Betonung, mit welcher die Darstellerin all ihren Auftritten einen besonderen Nachdruck verleiht.

Auch Denise Lucia Aquino begeistert mit einer überzeugenden Interpretation der Schwester "Alline Bullock", welche sich insbesondere durch eine gewisse Spritzigkeit und Frische auszeichnet. Mit ihrer nahezu verspielten und unbedarft wirkenden Darstellung der Rolle gelingt es Denise besonders, dem sonst so dramatischen ersten Akt mit ihren Szenen einen Funken Leichtigkeit zu schenken.

Komplettiert wird die kleine Familie von Denise Obedekah, die als weise und herzliche Großmutter "Gran Georgeanna" auf der Bühne steht und das Publikum mit ihrer warmen und zärtlichen Stimme verzaubert und zu Tränen rührt. Trotz der begrenzten Anzahl der aktiven Auftritte dieser Rolle macht die Darbietung von Denise Obedekah es dem Zuschauer sehr leicht, mit der alten Frau zu sympathisieren und sich von ihrer Stimme durch so manche Szene tragen zu lassen.


(c) Manuel Harlan

In der Rolle von Tinas bester Freundin und anfänglicher Managerin "Rhonda Graam" durfte ich mich von der schauspielerisch sowie gesanglich sehr beeindruckenden Kristel Constant verzaubern lassen. Die Freundschaft zu "Tina", welche sie vor allem in dem Lied "Mit offenen Armen" gefühlvoll und sanft aufleben lässt, scheint tatsächlich ganz tief und voller Ehrlichkeit aus dem Herzen der Darstellerin zu sprechen. Ihr Zusammenspiel mit den unterschiedlichen Darstellerinnen der Hauptrolle wirkt absolut harmonisch und spiegelt die Kraft und Bedeutung einer Freundschaft, bzw. einer engen Verbundenheit in Herz und Seele brilliant wider.

Nikolas Heiber verkörpert die Rolle des Managers "Roger Davies" mit viel Humor und einer hohen Authentizität und gewinnt letztendlich nicht nur Tinas Vertrauen, sondern auch die Begeisterung des Publikums. Mit seinem dynamischen und manchmal fast schon schelmischen Auftreten gelingt es Nikolas ausgezeichnet, den jungen euphorischen Manager, welcher nur so vor Ideen sprudelt, aufblühen zu lassen.

In der Rolle des sympathischen und charmanten "Erwin Bach" steht Philipp Nowicki auf der Bühne, dem es wunderbar gelingt, Erwins Gefühle für die Sängerin, aber auch für den Menschen "Tina Turner" transparent zu machen und dem Zuschauer einen Einblick in das Innenleben der Figur zu ermöglichen. Mit viel Fingerspitzengefühl und einer ausgewogenen Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor erweckt Philipp den Weggefährten Tinas zum Leben und spielt sich mit seiner Präsenz auf der Bühne und dem herrlich dargestellten rheinischen Akzent in die Herzen der Zuschauer.

(c) Musicalmuffin

Ob "Raymond", "Ikette" oder "Phil Spector", ob "John Carpenter", "Richard Bullock" oder "Craig" - eigentlich müsste man jedes einzelne Mitglied dieser äußerst talentierten und sympathischen Truppe hervorheben, denn gemeinsam erschafft dieses homogene Ensemble jeden Abend magische Stunden voller Leidenschaft und Emotionen. Jeder Charakter wird von diesen grandiosen Darstellern bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und wie ein roher Diamant zu einem funkelnden Meisterwerk geschliffen. Selten durften Musicalfans eine solch stimmgewaltige, spielfreudige und ausdrucksstarke Cast erleben!

Ich kann und möchte meine Begeisterung für diese famose Inszenierung auf keinen Fall verbergen, denn dieses Endprodukt, welches in sorgfältiger Arbeit erschaffen worden ist, lässt sich kaum in Worte fassen. Die allseits bekannten und geliebten Ohrwürmer von Tina Turner sind gezielt in die Produktion eingearbeitet worden und erzählen die Geschichte des Musicals aufgrund ihrer Atmosphäre und ihrer einprägsamen Liedtexte perfekt weiter. Hierbei spielen auch die Übersetzungen mancher Songs ins Deutsche eine große Rolle, welche in meinen Augen - entgegen der Erwartungen vieler - sehr gut geglückt sind. Zahlreiche große Hits, wie beispielsweise "(Simply) The Best", "What's Love Got To Do With It" oder auch "River Deep - Mountain High" sind in ihrem Kern im Englischen belassen worden, während Lieder, deren Inhalt die Geschichte grundlegend erzählen, wie zum Beispiel "Better Be Good To Me", "I Don't Want To Fight" oder auch "We Don't Need Another Hero" mit einer deutschen Übersetzung versehen worden sind, um die Essenz des Songs noch deutlicher zu machen. Die Übersetzung ist somit abhängig von der Funktion des Liedes im Gesamtkontext gewählt worden und trägt zum kognitiven und emotionalen Verständnis der Handlung bei.

(c) Manuel Harlan

Auch das Bühnenbild ist mit Blick auf die Story sehr gezielt ausgewählt worden. Das bunt schillernde und zugleich recht schlicht gehaltene Bühnenbild lässt den Darstellern und der Geschichte den nötigen Freiraum sich selbst zu erzählen und lenkt den Fokus stets auf den Inhalt und die Boschaften der einzelnen Szenen. Insebsondere zeichnet sich die Kulisse durch eine große LED - Leinwand aus, welche gepaart mit kleinen Kulissenteilen immer wieder an andere Schauplätze entführt - mal findet das Publikum sich in Tinas Haus wieder, mal auf der Bühne oder im Tonstudio, mal bereisen die Zuschauer gemeinsam mit Tina ihren Geburtsort Nutbush, mal führt der Weg nach Las Vegas oder London. Mit kleinen, aber geschickten Mitteln wird in jeder Szene der entsprechende Schauplatz deutlich gemacht und so der Grundstein für die von den fantastischen Darstellern erzählte Geschichte gelegt.

"Tina - Das Tina Turner Musical" ist eine rundum perfekte Produktion, in der ganz viel Herzblut  aller Beteiligten steckt. Der Zuschauer begleitet Medienstar und Vorbild Tina Turner durch ihre Vergangenheit, entdeckt ihre Wurzeln, erlebt die Höhen und Tiefen ihres Lebens und lernt eine ganz außergewöhnliche, starke Persönlichkeit neu kennen. Egal, ob man vor dem Musicalbesuch bereits Fan dieser Sängerin und ihrer Musik war oder nicht - nach dieser dreistündigen Reise durch jegliche Gefühle und Stationen, die das Leben zu bieten hat, kann man nur beeindruckt von dieser Kämpferin sein. Und nicht nur das - ich kann auch versprechen, dass ihr nach einem Besuch dieser Show von der Suchtgefahr dieses Stücks infiziert sein werdet, denn "Tina" verspricht eine noch nie dagewesene Mischung aus Energie, Leidenschaft und Emotion, die zu Herzen geht.
Rockig, berührend, atemberaubend - "Tina" ist ein Musical der Superlative!

(c) Musicalmuffin




(c) Musicalmuffin


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