Jetzt und hier - Eine geistreiche Show der Spitzenklasse

Eine schicksalhafte Sekunde und plötzlich ist nichts mehr, wie es vorher einmal war. Ein Moment, der alles verändern soll und zwei Menschen den Boden unter den Füßen entreißt. "Ghost - das Musical" erzählt diese berührende Geschichte über Schmerz, Tod und die unerschütterliche Liebe, deren Kraft selbst die Grenzen zweier Welten überwinden kann.
Die herzzerreißende Geschichte um Molly und Sam berührte Tausende von Menschen vor den Bildschirmen und Kinoleinwänden. Der Film "Ghost" hat sich nicht nur zu einem echten Kassenschlager entwickelt, sondern ist auch in der Gefühlswelt der Fernsehzuschauer eingeschlagen wie eine Bombe. Bis heute ist der Film aus dem deutschen Fernsehprogramm nicht mehr wegzudenken. Doch nicht nur auf der Leinwand rührt die Story um das unzertrennliche Liebespaar zu Tränen, denn seit Anfang November ist Stuttgart um eine Musicalsensation reicher. Das gleichnamige Musical "Ghost", welches auf dem bekannten Kinohit basiert, hat im letzten Monat Einzug ins Stuttgarter Palladium Theater gefunden, wo der Zuschauer nun in eine Welt zwischen Realität und Illusion entführt wird.  

Das Musical ist an Facettenreichtum kaum zu überbieten, Verrat, Lügen und Intrigen werden thematisiert, der Besucher wird mit Schmerz, Wut und Hilflosigkeit konfrontiert, doch auch eine ordentliche Prise Humor darf nicht fehlen und natürlich wäre die Geschichte nichts ohne eine große Portion Romantik. Gemeinsam mit Sam und Molly begibt sich das Publikum auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle, die nicht nur das Leben des jungen Pärchens für immer verändern soll.

An dieser Stelle muss kurz erwähnt werden, die Show war bereits zuvor in Berlin und Hamburg zu erleben. Auch ich war im Theater des Westens schon Gast dieser Produktion und habe das Theater zwar sehr erfreut, aber ohne nachhaltige Eindrücke verlassen. Das Stück hat mir einen unterhaltsamen Abend beschert, mich jedoch nicht endgültig abgeholt und begeistert. 
Ganz anders in Stuttgart - selten hat mich eine Produktion von Anfang an so berührt und mitgerissen. Ich kann bereits an dieser Stelle vorwegnehmen, dass der Stuttgarter Inszenierung am folgenden Tag ein erneuter Besuch abgestattet wurde. Es waren zwei tränenreiche Abende voller Magie und Gänsehaut, die nach einer baldigen Wiederholung schreien... 

In Stuttgart schwingt sich allabendlich ein Traum von Cast über die Bretter, die die Welt bedeuten. In puncto Ensemble wurde ein exzellentes Händchen für die Besetzung einer jeden Rolle bewiesen. 

Als Erstbesetzung für den Protagonisten "Sam Wheat" steht Riccardo Greco auf der Bühne, der gesanglich wie auch schauspielerisch eine wahre Meisterleistung vollbringt, die mich sprachlos zurückgelassen hat. Er meistert die zahlreichen Herausforderungen, die die Rolle an den Darsteller stellt, mit Bravour und erschafft eine äußerst sympathische und warmherzige Interpretation der Figur, mit welcher der Zuschauer mitfühlt, mitleidet und mitfiebert. Mit scheinbarer Leichtigkeit gelingt es Riccardo, die unbändige Liebe zu Freundin Molly zu verkörpern, die von den dramatischen Ereignissen auf eine harte Probe gestellt wird. Bereits innerhalb der ersten Minuten gewinnt der Künstler nicht nur das Herz Mollys, sondern auch die Herzen des Publikums. Als dann der schicksalhafte Moment das Liebespaar trennt, lässt der Künstler die Verzweiflung und Hilflosigkeit des toten Sam glaubhaft aufleben und konfrontiert das Publikum mit dem Gefühlschaos des Protagonisten. Riccardo legt sein ganzes Herzblut in den Charakter und kreiert eine rundum brilliante Darstellung. Auch stimmlich vermag es der talentierte Sänger, einen besonderen Zauber freizusetzen. Mit gefühlvoller, warmer und beseelter Stimme erfüllt er den Raum und beschert seinen Zuschauern eine Gänsehaut nach der anderen. Fazit: Riccardo präsentiert in "Ghost" meiner Meinung nach eine der berührendsten und eindrucksvollsten Leistungen, die jemals auf einer Musicalbühne zu erleben war!

Doch nicht nur Riccardo Greco hat mir mit seiner Darbietung einen tränenreichen Abend beschert, auch Walk-in Cover Hannes Staffler erschafft mit seiner individuellen Interpretation der Hauptrolle "Sam Wheat" ein Highlight der Musicalszene. Hannes zeichnet die Figur mit seiner ganz eigenen Handschrift.
Ihm gelingt es ebenfalls ausgezeichnet, die Gefühle der Rolle transparent werden zu lassen und dem Besucher so eine schnelle Identifikation mit dem jungen Mann zu ermöglichen. Der begnadete Künstler präsentiert eine liebevolle, herzensgute und vor allem sehr menschliche Darstellung und legt auch immer wieder Sams Humor offen. In seinem Spiel wird schnell deutlich, welch großes und von Sonnenschein erfülltes Herz Sam in sich trägt. Hannes schenkt der Figur eine unglaubliche Tiefe und Gutmütigkeit, der Zuschauer sympathisiert sofort mit dem zärtlichen und empathischen Sam. Man kann sich seinem Charme und seiner warmen Ausstrahlung einfach nicht entziehen. Stimmlich kann der Sänger in den Songs seine enorme gesangliche Qualität beweisen und den Besucher immer wieder in einen Zustand des Staunens versetzen. Eine Rolle, in der Hannes über zweieinhalb Stunden hinweg strahlen und mit all seinen künstlerischen und natürlich auch persönlichen Farben beeindrucken kann.

Roberta Valentini harmoniert als "Molly" mit beiden Bühnenpartnern exzellent und lässt mit ihnen den Zauber des Musicals in jeder einzelnen Sekunde erblühen. Sowohl die lebensfrohe, positive Facette der Rolle als auch die spätere Trauer setzt sie wunderbar um und berührt mit ganz ehrlichen, tiefen Gefühlen. Insbesondere die Zerrissenheit zwischen Vernunft und Gefühl und Hoffnung arbeitet die Künstlerin großartig aus und lässt den Zuschauer über den gesamten Abend hinweg an Mollys Seelenleben teilhaben. Die anfängliche Leichtigkeit, die Roberta der Rolle schenkt, tut der Show ebenso gut wie der spätere Schmerz und das Gefühl von Einsamkeit, das Molly nach dem Tod ihres geliebten Sams begleitet. 
Mit sanfter, engelsgleicher Stimme erleuchtet die Sängerin ein musikalisches Meisterwerk nach dem nächsten. Eine bessere Besetzung für diese starke Persönlichkeit hätte man nicht finden können. Jedes Wort, jeder Ton geht zu Herzen. 

In der Rolle des "Carl Brunner", Sams Mitarbeiter und bester Freund, begeistert Erstbesetzung Thomas Hohler, der sich als erstklassige Wahl für diese Rolle entpuppt. Eine komplexe Figur mit Ecken und Kanten und eine große schauspielerische Herausforderung, welche Thomas mit scheinbarer Leichtigkeit zu meistern weiß. Ihm gelingt der Spagat zwischen vertrauensvollem mitfühlenden Freund und ausgefuchstem skrupellosen Betrüger fabelhaft. Ebenso wie Molly und Sam täuscht der Darsteller dank seiner hohen schauspielerischen Qualitäten auch das Publikum über lange Zeit hinweg und lässt schlagartig die Maske des Charakters fallen. Doch dabei verliert Thomas nie die Beweggründe für diesen harten Entschluss und die Entwicklung der Rolle aus den Augen. Er verkörpert keinen kaltblütigen Mörder, dem andere Menschen gleichgültig sind, sondern einen sehr menschlichen Charakter, dessen Verzweiflung ihn im Laufe der Geschichte in die Enge treibt. Insbesondere diese Menschlichkeit und Sensibilität, die der Künstler der Figur schenkt, machen es dem Zuschauer möglich, die Rolle zu ergründen und sie - trotz ihrer schrecklichen Taten - letztendlich nicht von Grund auf zu verurteilen, sondern auch noch einen Funken Mitleid für sie zu empfinden.
Auch gesanglich präsentiert sich Thomas sensationell und ergänzt das Trio mit seiner unverwechselbaren Stimme perfekt.

Neben der Erstbesetzung durfte ich aber auch noch Cover Marius Bingel in dieser Rolle erleben, der die Figur mit seiner ganz eigenen, nicht minder gelungenen Interpretation füllt. Ebenso wie Thomas gelingt es dem jungen Künstler problemlos, beide Seiten der Figur auszuarbeiten und den Kern der Rolle für den Zuschauer ersichtlich zu transportieren. Auch seiner Darstellung sind die Verzweiflung und der Schreck über sein eigenes Handeln deutlich anzumerken. Besonders authentisch durchlebt Marius die Wandlung zum geldhungrigen Kontrahenten seines ehemals besten Freundes. Zorn, Angst, Hoffnungslosigkeit - alles ist in seinen Augen zu sehen und ebenso wie die Figur ist auch der Zuschauer zwischen den Gefühlen zerrissen. Marius' Spielfreude auf der Bühne ist den gesamten Abend über deutlich zu spüren. Er legt hundert Prozent in die Rolle und formt mit Begeisterung den facettenreichen Charakter.

Ein Highlight der Show ist ohne Frage Kim Sanders' Darstellung der humorvoll aufgelegten und ein wenig verrückten Spiritistin "Oda Mae Brown". Unglaublich, was diese Frau aus der Rolle macht! Sie schafft es ohne Probleme, das sonst so tragische Stück mit ihrem Humor und Charme aufzuhellen und dem Publikum Momente des Durchatmens zu ermöglichen. Sie holt das Maximum aus dem Charakter, ohne dabei den Bogen der Komik, den dieses Musical verträgt, zu überspannen. Mehrere Faktoren wirken in Kims Darbietung zusammen - ein grandioses Timing, eine fantastische Mimik und natürlich auch eine warme, soulige Stimme. Kim spielt sich ab der ersten Minute in die Herzen der Zuschauer und erntet für ihre phänomenale Leistung schließlich tosenden Applaus von einem Publikum, das die Frau am liebsten gar nicht mehr gehen lassen möchte.

Eine weitere Sensation stellt sicherlich Enrico Treuse als "U - Bahn Geist" dar, der noch eine ganz neue, fetzige Farbe in die Produktion mischt und nicht nur mit seiner Power beeindruckt. Er legt seine gesamte Energie in die frustrierte, im Inneren zerbrochene Figur, die durch die äußere Aufmachung überaus gruselig und angsteinflößend erscheint und kreiert so einen zunächst sehr abschreckend wirkenden Charakter, dessen Verhalten jedoch umso verständlicher wird, je näher man an die Rolle "zoomt". Auch den Rap - Part, der sich wie alle Auftritte des U-Bahn-Geistes mit regelrechtem Donnerhall in der Show ankündigt, meistert Enrico bravourös. Stimmlich als auch schauspielerisch eine große Bereicherung für diese Inszenierung!

Man könnte ganze Romane über diese für die Produktion brennende Cast schreiben, die auf allen Ebenen perfekt harmoniert und mit ihrer Homogenität einen unvergleichlichen Musicalabend erschafft. In jeder Szene werden hundert Prozent gegeben, um die Geschichte so authentisch und bewegend wie möglich zu erzählen. Dem gesamten Ensemble ist die Freude am Geschichten - Erzählen deutlich anzumerken. Gesanglich wie auch schauspielerisch eine herausragende Cast mit zahlreichen Talenten! Rundum eine Leistung zum Niederknien!

Wie auch schon zuvor in Berlin und Hamburg sind wieder einige Tricks in die Aufführung eingearbeitet worden, um den Zuschauer auch in die mystische, "geistreiche" Welt entführen zu können, die der Show zusätzlich noch einen ganz besonderen Charme verleihen. Meisterhaft begibt sich die Produktion so mit dem Publikum in eine Welt voller Illusionen. 
Die Inszenierung zeichnet sich vor allem durch die Liebe zum Detail aus, die eine unglaublich hohe Qualität auf allen Ebenen ermöglicht. Das Bühnenbild lädt nicht nur zum Staunen ein, sondern führt die Zuschauer vor allem durch die Handlungsorte der Geschichte. Da wird man beispielsweise zu einer U - Bahnfahrt mit großem Spektakel eingeladen, man lernt das neu gekaufte Appartement von Molly und Sam lernen oder macht auch einen kleinen Abstecher in die Bank, den Arbeitsplatz von Sam und Carl. 

Das Musical "Ghost" ist eine Show der Spitzenklasse, die von einem genialen Team mit viel Leidenschaft und Liebe entwickelt wurde. Warum die Inszenierung nun bei mir einen ganz anderen Gesamteindruck hinterlassen hat als damals in Berlin, kann ich gar nicht wirklich beantworten. Ich weiß nur, dass sich in Stuttgart ein absolut rundes Gesamtkunstwerk präsentiert, das einen auch nach dem Verlassen des Theaters noch in seinen Fängen hält. Die klitzekleinen Änderungen haben der Inszenierung sehr gut getan und insbesondere die Besetzung ist für den Zauber dieser Produktion verantwortlich. Ein Meisterwerk mit ganz viel Herz und Charme und vor allem mit hohem Suchtpotenzial! Also, bei mir sind die Zweifel nun auf jeden Fall fort: "Ghost" ist ein Geschenk der Musicalwelt, das man gesehen haben muss!

                                                               Fotos: (c) Stage Entertainment 


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