Der Glanz musikalischer Schönheit - Eine fulminante Abschlussgala der Bad Hersfelder Festspiele

Ein letztes Mal lädt die Fanfare - eine kurze Sequenz, die sich mittlerweile bereits zu einer kleinen Hymne der Bad Hersfelder Festspiele erhoben hat - die Zuschauer ein, sich auf ihre Plätze zu begeben. Es kehrt Ruhe in jenem alten Gemäuer ein, das schon so viel gesehen und gehört hat. Ein kurzer Augenblick der Stille breitet sich über der traditionsreichen Spielstätte aus, bevor das Orchester unter erwartungsvollem Applaus die Bühne betritt - ein ganz kurzer Moment der Ruhe nur, der fast in gleicher Sekunde schon wieder verklungen ist und doch trotz aller Kürze und Vergänglichkeit so viel in sich trägt: Vorfreude, Euphorie, Spannung, Staunen... 
Dieser kurze Augenblick, in dem Realität und Theaterwelt die Hand nacheinander ausstrecken und sich die Tür in eine kunstvolle Sphäre öffnet, ist immer wieder etwas ganz Besonderes. Doch am 27. August 2023 trägt dieser Moment der gespannten Stille wahrlich eine Spur Magie in sich, denn es ist der letzte dieser Art für die diesjährige Festspielsaison einer Stadt, die das ganze Jahr über den Sommermonaten entgegenfiebert. Auch in dieser Saison ist es wieder einmal meisterlich gelungen, Groß und Klein mit einem bunten Bühnenprogramm zu verzaubern, das so viel mehr zu bieten hatte als reine Unterhaltung. Das Abbild gelebter Emotionen hängt förmlich über den Zuschauerreien, in denen in den vergangenen Wochen so viele Menschen in ihrem Gefühl sowie ihrer Leidenschaft für die Theaterkunst Verbundenheit erfahren durften. Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, wurde zwei Monate lang gelacht, geweint, gestritten, gescherzt, gewagt und gelitten. Träume wurden gewebt, Schlachten geschlagen (manchmal auch im Verborgenen der eigenen Seele) und Freundschaften geschlossen. Klingt pathetisch? Ja, vielleicht, aber wo wäre so ein Funken Pathos besser aufgehoben als im Rahmen einer Kulturveranstaltung, der es immer wieder aufs Neue grandios gelingt, Realität und Illusion zusammenzuführen und Menschen die Kraft des Theaters spüren zu lassen?! Die Zahlen sprechen für sich: Über 90 000 Zuschauerinnen und Zuschauer sind in diesem Jahr ein Teil eben jener Festspielfamilie geworden, die gemeinsam den Reichtum des Theaters zelebriert. Mit einer fulminanten Abschlussgala wurde nun am vergangenen Sonntag das Ende der diesjährigen Spielzeit eingeläutet. Ein letztes Mal für diesen Sommer wartet die Stiftsruine im Klang einer vielfältigen Liedauswahl mit ihrer ganz besonderen, unvergleichlichen kulturellen Festspielmagie auf - schöner kann man den Abschluss einer intensiven Zeit wohl nicht gestalten.

(c) BHF/S. Sennewald 

Der diesjährige Abschied von der Stiftsruine - für zwei Monate das Zuhause vieler spielfreudiger Künstler sowie begeisterter Zuschauer - sollte ebenso unterhaltsam wie bewegend ausfallen. Mit musikalischem Verständnis und Fingerspitzengefühl ist es gelungen, einen Abend der Emotionen zu kreieren, der sowohl dem lachenden als auch dem weinenden Auge, welche beide wohl unweigerlich mit dem letzten Festspieltag verbunden sind, in seinem Facettenreichtum gerecht wird. Gefühlvolle Momente treffen auf humoristische Sequenzen und beweisen in ihrem Zusammenspiel abermals den Blick der Bad Hersfelder Festspiele für künstlerische Geschmacksvielfalt und natürlich für die richtige Würze. Bereits die orchestrale Eröffnung, im Rahmen derer die Ouvertüre aus "Donna Diana" zum Besten gegeben wird, kommt energiegeladen, verspielt und als ahnungsvolle Kunde eines bewegenden Abends, der in den nächsten zwei Stunden folgen sollte, daher. Unter der Leitung von Christoph Wohlleben entführt das Orchester, welches mit einer beeindruckenden klanglichen Größe und Präzision zu begeistern weiß, über zwei Stunden hinweg in fremde Welten und erschafft dabei musikalische Bilder. Klangliche Eleganz und melodische Heiterkeit fließen im Rahmen einer herausragenden Präsentation zusammen und vereinen sich in der beeindruckenden Orchesterleistung zu einem farbenfrohen Potpourri, das von der schlichten Schönheit bekannter Melodien ebenso wie von dem spannungsgeladenen Kribbeln fremder Harmonien getragen wird. An eine mitreißende Eröffnung sollte sich ein vielfältiges Programm anschließen, das sich vielleicht am besten mit einem der abendlichen Liedauswahl entnommenen Liedtitel beschreiben lässt: "Ein bisserl fürs Herz und ein bisserl fürs Hirn". Das Publikum erwartet eine facettenreiche Reise durch Musical, Filmmusik und Oper - da gibt es die eingängigen Melodien zum Mitklatschen, die gefühlvollen Nummern zum Wegträumen und die etwas unbekannteren, experimentelleren Klänge zum Nachspüren neuer musikalischer Impulse. Vor dem Hintergrund des diesjährigen Mottos "Summertime" eröffnet sich für die Zuschauer die Möglichkeit, einer musikalischen Linie zu lauschen, die immer wieder spannenden Abzweigungen in unerwartete Richtungen folgt, und in brillanten Interpretationen eines Orchesters zu versinken, das in Größe und Klangqualität in der Theaterwelt sicherlich seinesgleichen sucht.

(c) BHF/S. Sennewald 

Entsprechend des eindrucksvollen orchestralen Niveaus wird die Gala von ebenso versierten Sängerinnen und Sängern stimmlich ausgestaltet, die mit leidenschaftlichen, kraftvollen wie beflügelnden Darbietungen zu verzaubern vermögen. Auf gesanglicher Ebene eröffnet Frank Winkels die Veranstaltung mit einer wunderbar gefühlvollen Interpretation des Songs "The impossible dream " aus dem Musical "Der Mann von La Mancha". Mit seinem hohen Bariton und seiner herausragenden Bühnenpräsenz lässt der Künstler jede seiner Nummern an diesem Abend in musikalischem Glanz erblühen und erfüllt das alte Gemäuer der Stiftsruine mit dem majestätischen Strahlen einer einzigartigen gesanglichen Präsentation. Eine besondere Größe erlangt hierbei der Titel "You're nothing without me", den Frank im Duett gemeinsam mit Gesangspartner Rob Pelzer aufleben lässt und dabei seine warme klangvolle Stimme ausgezeichnet in Szene setzt.

Rob Pelzer begeistert nicht minder mit seinen nuancierten, kraftvollen Auftritten, die hin und wieder von einer besonderen, leicht humoristischen Spritzigkeit leben und in ihrer exzentrischen Ausgestaltung zugleich von einem phänomenalen gesanglichen Geschick zeugen. Mit der Darbietung von Songs, wie bereits zuvor erwähnter Titel "Ein bisserl fürs Herz und ein bisserl fürs Hirn" - entsprungen aus dem Musical "Mozart" - oder auch "Für mich solls rote Rosen regnen", gelingt dem Künstler ein exzellenter Einsatz einer kernigen Stimme im Sinne einer charakterstarken, charmanten Liedpräsentation. Rob blickt hierbei ganz tief in die Seele des jeweiligen Songs, ergründet die textliche Ebene und entwickelt so aus jeder Nummer feinfühlig eine eigene kleine musikalische Geschichte. 

(c) BHF/S. Sennewald 

Neben dem genannten Duett zweier starker Sänger darf das Publikum ebenso die Vereinigung zweier weiblicher Stimmen vor dem Hintergrund eines wundervoll gestalteten Duetts erfahren, im Rahmen dessen Sidonie Smith und Willemijn Verkaik ihre stimmliche Brillanz unter Beweis stellen können. Letztere - mittlerweile ohne Frage als Grande Dame des Musicalgenres bekannt - leiht der Abschlussgala in diesem Jahr ihre außergewöhnliche Stimme und veredelt den Abschluss der Festspielsaison mit einem zarten Glanz und einem Hauch von  Broadway. Kraftvoll und zugleich unglaublich berührend präsentiert die Sängerin eine kleine Auswahl an Songs, die dem stimmlichen Volumen der Künstlerin gerecht werden. Mit scheinbarer Leichtigkeit singt sie sich in die Herzen der staunenden Besucher und umwebt ihre meisterliche Gesangsdarbietung dabei mit einer ordentlichen Portion Gefühl, die das Publikum eine besondere Nähe zu der Sängerin spüren lässt. Insbesondere mit der eindrucksvollen Interpretation des Songs "All by myself" gelingt Willemijn eine stimmliche Höchstleistung mit Gänsehautgarantie.

Energiegeladen und dynamisch präsentiert sich auch Sidonie Smith, deren stimmliche Fülle und Qualität "Fabulous, Baby!" aus dem Musicalklassiker "Sister Act" ebenso erstrahlen lassen wie "In his eyes" aus der Produktion "Jekyll and Hyde". Das bunte Programm ermöglicht es der Künstlerin, aus den Vollen zu schöpfen und ihren großen stimmlichen Facettenreichtum ins Scheinwerferlicht zu rücken. Mit sichtbarer Leidenschaft reißt die Musikerin das Festspielpublikum mit und spürt den verborgenen Emotionen jener Lieder nach, die an diesem Abend von ihr mit grandios ausgebildeter Stimme zum Besten gegeben werden. Schlussendlich erhebt sich vor allem das pointierte Zusammenspiel zwischen Sängerin und Orchester zu einem Highlight der Gala, indem Gesang und instrumentale Gestaltung gemeinsam mit dem großen Titel "C'era und volta in West" - hierzulande besser bekannt als "Spiel mir das Lied vom Tod" - für einen kollektiven Gänsehautmoment auf den Zuschauerrängen sorgen.


"Das Herz passt mir nicht in den Mund" heißt es in "König Lear", einem tragischen Shakespeare-Klassiker, der in dieser Spielzeit in eindrucksvollem Gewand auf der Bühne der Stiftsruine zu erleben war. Bei dem gesanglichen Auftritt jener drei Künstlerinnen, die in dieser Produktion ein differentes Schwesterntrio verkörpert haben, stimmt dieser Ausspruch nicht so ganz, denn Friederike Ott, Katrin Röver und Nora Buzalka reichern ihr Terzett mit so viel Hingabe und Groove an, dass die dargebotene Interpretation des Songs "I will survive" nur so vor Leidenschaft und musikalischer Freude sprudelt. Zartsinnig lassen sich die Drei auf ihre Gesangspartnerinnen ein und verweben ihre Stimmen im Sinne eines beeindruckenden musikalischen Gesamtkunstwerks. Voller Genuss folgt das Publikum den Künstlerinnen durch die Geschichte des Songs, die hier sowohl von der gesanglichen Stärke als auch von einem herrlichen Talent für Inszenierung lebt, und gibt sich bereitwillig der euphorischen Stimmung des Trios hin.

Die Riege hochkarätiger Solisten komplettiert Andreas Bongard, der mit einer großartigen Darbietung des Titels "You'll be back" - entstammend aus dem Musical "Hamilton" - für Begeisterungsstürme im Zuschauerraum sorgt. Mit scheinbarer Mühelosigkeit verbindet der Ausnahmekünstler schauspielerische Raffinesse und gesangliche Brillanz und taucht so für wenige Minuten in die mitreißende Interpretation einer skurrilen, komödiantisch angelegten Königsfigur ab. Andreas kann mit stimmlicher Stärke sowie verblüffender Präzision und Nuanciertheit begeistern. Warm und kraftvoll erhebt sich die atemberaubende Stimme des Sängers über der Ruine und erfüllt jeden Winkel des Gemäuers mit einem sanften Schauer musikalischer Schönheit.

(c) BHF/S. Sennewald 

Einen Höhepunkt der Galagestaltung stellt sicherlich die mitreißende Moderationslinie dar, die Peter Englert an diesem Abend einschlägt. Charmant, charismatisch und mit der nötigen Portion Witz, Leichtigkeit und Esprit führt der Künstler durch die Veranstaltung. Hierbei verbinder er immer wieder humoristische Kniffs mit inhaltlichen Hintergrundaspekten und verpackt den Informationsgehalt liebevoll in einer unterhaltsamen Umrahmung. Der Moderator gibt sich auf den Brettern, die die Welt bedeuten, sehr nahbar, baut in Windeseile eine direkte Verbindung zu den Zuschauern auf und überbrückt auch kleinere Pausen, die in der ein oder anderen technischen Schwierigkeit wurzeln, mit viel Herz und Humor. Augen und Ohren des Publikums folgen dem Künstler auf Schritt und Tritt, sodass sich schnell die Erkenntnis einstellt, es wurde genau der Richtige für die Besetzung der moderierenden Rolle, die den Weg durch den Galaabend weist, gefunden. 

Neben einem bewegenden Galaprogramm fungiert die Abschlussveranstaltung der Festspiele auch als Bühne für das Überreichen des alljährlich vergebenen Zuschauerpreises. In diesem Jahr geht die Auszeichnung an Andreas Bongard, der mit seinem Galaauftritt den Verdienst dieser Zuschauerentscheidung noch einmal unterstreichen kann. Dem Künstler gelang es in der diesjährigen Spielzeit hervorragend, mit seiner Verkörperung der Figur Jesu in der Produktion "Jesus Christ Superstar" einen nachdrücklichen Eindruck in den Herzen des Publikums zu hinterlassen und sich damit eine Vielzahl an Stimmen im Rahmen des Zuschauervotings zu sichern. Am 27. August wird die Auszeichnung in Form eines Rings von Intendant Jörn Hinkel, Stifter Matthias Laufer-Klitsch sowie Bürgermeisterin Anke Hofmann verliehen, sodass die Besucher der Gala an der sichtlichen Freude des Preisträgers teilhaben können.

(c) BHF/S. Sennewald 

Die Gestaltung des gesamten Abends durchziehen eine wunderbare Vielfältigkeit sowie der Mut, sich auch abseits des typischen Musical-/Konzertprogramms zu bedienen. In großer musikalischer Besetzung - sowohl auf qualitativer als auch auf quantitativer Ebene - wird jeder Melodie ihr ganz persönlicher Moment gewidmet, der alle Farben der Emotionspalette zu bespielen weiß. Unter dem sternenbesetzten Nachthimmel erhebt sich die Stiftsruine in ihrer gesamten Pracht und Atmosphäre zu einem magischen Ort, an dem an diesem besonderen 27. August der Zauber von Musik und Theater in der Luft zu liegen scheint. Das Finale der fulminanten Galaveranstaltung bildet eine kurze und doch sehr eindrucksvolle pyrotechnische Inszenierung (Besucher wissen hier von der Begrifflichkeit des Feuerwerks zu differenzieren ;-)), die die Festspielsaison in gebührender Zelebration beschließt. Der Glanz der Leuchtkörper wird zum Bindeglied zwischen funkelndem Sternenzelt und vor Freude und Rührung erstrahlendem Zuschauerraum und taucht die historische Spielstätte in ein Lichtermeer. Damit endet abermals eine unvergessliche Festspielzeit. Liebgewonnene Figuren und besondere Geschichten werden in den Herzen der Zuschauer überdauern und damit auch nach Spielzeitende niemals an Lebendigkeit verlieren. Mit einer fantastischen, stimmungsvollen Abschlussgala findet die Festspielsaison 2023 einen würdigen Abschluss, der die unterschiedlichsten Emotionen anspricht, Freude, Glücksgefühle, Rührung, Euphorie und natürlich auch einen kleinen Tropfen der Melancholie und Wehmut. Doch vor allem eines ist allen Beteiligten auf und hinter der Bühne gelungen, nämlich eine ordentliche Portion Vorfreude in dem Publikum zu wecken, das den Beginn eines neuen Abschnitts einer sommerlichen Theaterära auf einer der schönsten Bühnen Deutschlands schon kaum mehr erwarten kann.

(c) BHF/S. Sennewald 


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